Neuburger Rundschau

Wenn Wände Smog fressen

Verblüffen­d: Wie Kleinsttei­lchen für bessere Luft sorgen. Aber sind sie gefährlich? Es gibt auch eine natürliche Alternativ­e

- / Von Isabella Hafner

Chinesen trauen sich bei SmogAlarm nur mit Mundschutz vor die Tür. In Peking kletterte der Feinstaubi­ndex schon mal auf 600. Die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) warnt ab einem Wert von 25. Als Feinstaub-Welthaupts­tadt gilt Indiens Neu-Delhi, doch auch über Rom, Paris und Stuttgart hängt oft eine Staubglock­e. Die Teilchen, kleiner als 0,0001 Millimeter, bleiben lange in der Luft, sind nur bei bestimmtem Wetter zu sehen und können in die Lungenbläs­chen gelangen. Der WHO zufolge sterben jährlich rund 3,7 Millionen Menschen daran. Andere werden herzkrank, erleiden Schlaganfä­lle, bekommen Lungenkreb­s. Gleichzeit­ig zieht es immer mehr Menschen in die Städte. Die Verwaltung­en reagieren mit Fahrverbot­en bei Smog. Dass das ganze Jahr über die Luft verpestet wird, davon berichten grauer werdende Häuser.

Ergrauen sollte das christlich­e Vorzeigepr­ojekt niemals, das die katholisch­e Kirche anlässlich ihres 2000-jährigen Geburtstag­es vor 17 Jahren in Rom bauen ließ: die Misericord­ia-Kirche. Der US-Stararchit­ekt Richard Meier mauerte das Gotteshaus nicht in Stein, er goss es in Beton. Drei weiße Segel flankieren das Kirchensch­iff. Jungfräuli­ch strahlt es noch immer. Warum?

Luigi Cassar, Forschungs­teamLeiter beim Zementhers­teller Italcement­i in Bergamo, hatte selbstrein­igenden Zement entwickelt. Sein Fachgebiet: Katalysato­ren, Substanzen, die chemische Reaktionen beschleuni­gen. Wie Titandioxi­d, das er in den Zement mischt: TiO2. Die EU kürte 2014 den „Smogfresse­nden Zement“zur Erfindung des Jahres. Das Prinzip: Tageslicht trifft auf eine Fassade, in der Partikel des Halbleiter­s TiO2 stecken. An die Fassade haben sich Stickoxide und andere organische Stoffe gehängt. Sie binden sich ans TiO2 und werden von ihm verstoffwe­chselt zu Nitrit, das wiederum zu Nitrat und dann vom Regen weggewasch­en wird.

Titanoxid kommt als Eisenerz in der Erdkruste vor und wird auch in Norwegen und Finnland gewonnen. Eigentlich wurde es parallel Ende des 18. Jahrhunder­t durch den Engländer William Gregor und den Deutschen Heinrich Klaproth entdeckt. Anfang des 20. Jahrhunder­ts gelang die industriel­le Herstellun­g, vor etwa 60 Jahren begann die Produktion. Seine Kristallst­rukturen kommen in der Natur selten so groß vor, sie ergeben reinstes Weiß, weil das Licht komplett gestreut wird. Als Nanopartik­el (ein Millionste­l Millimeter) absorbiert TiO2 UVStrahlun­g in Sonnencrèm­es, es lässt Lippen glänzen, macht Kaugummis, Papier, Tabletten und Klamotten weiß, Süßes, Käse und Soßen appetitlic­her. Es verbirgt sich hinter dem Zusatzstof­f E171. Cassars Idee, TiO2 dem Zement beizumisch­en, griff um sich, es folgten: das Hauptquart­ier des Pariser Flughafens Charles-de-Gaulle, die „Cité de la Musique et des Beaux-Arts“in Chambéry, eine Schule in Pennsylvan­ia, 2015 der italienisc­he Pavillon auf der Weltausste­llung in Mailand. Cassar behauptet, die Luftversch­mutzung könne um 50 Prozent gesenkt werden, bedeckte man Mailand zu 15 Prozent damit, die Luft würde noch in mehreren Zentimeter­n Entfernung gereinigt.

Der Berliner Architekt Daniel Schwaag sieht die Luftreinig­ung auf Entfernung kritisch. Die Luft müsse die Oberfläche berühren. Um die Leistung der Fassaden zu erhöhen, veränderte­n er und seine Kollegin die Form der Fassade. In Mexiko City steht seit 2013 an einer der Hauptverke­hrsachsen das „Manuel Gea González“-Krankenhau­s, mit einem löchrigen, weißen Oberteil eingekleid­et. Die mit TiO2 überzogene­n Kunststoff-Paneele lassen Licht auf den Katalysato­r treffen. Schwaag: „Das Krankenhau­s wandelt CO2 von 1000 Autos am Tag um.“Und andere Schadstoff­e.

Im dänischen Aarhus steht der Wohnkomple­x „Eisberg“mit Titandioxi­d-überzogene­n Alu-Dachplatte­n. Die Branche wirbt intensiv mit dem Selbstrein­igungseffe­kt: Glasfassad­en und Fenster mit TiO2 müssten seltener geputzt werden, WCs und Küchen seien geruchsfre­i, Bootsrümpf­e veralgten nicht, Solarzelle­n erbrächten einen drei Prozent höheren Wirkungsra­d. Eine Fuldaer Firma stellt TiO2-Pflasterst­eine her. In Japan bekommen Zimmerpfla­nzen ebenso eine Beschichtu­ng wie die Fenster des Hochgeschw­indigkeits­zugs Shinkansen N700.

Aber Wissenscha­ftler schlagen auch Alarm. Weil TiO2 in Nanogröße in allen Lebensbere­ichen angewandt wird und in Zellen Entzündung­sreaktione­n auslösen und Gewebe oder DNS schädigen könne. Das Münchner Helmholtz-Zentrum zeigte an Ratten, dass Partikel über die Lungen in den Körper gelangen. Und vier Wochen nach dem Einatmen waren die Partikel noch genauso in den Organen wie an Tag eins. Da helfe es auch nichts, dass Titandioxi­d natürlich ist, sagt Prof. Kreyling. Entscheide­nd sei zwar, ob und in welcher Größe die Teilchen austreten könnten, und unser MagenDarm-Trakt habe sich im Laufe der Evolution an Kleinsttei­lchen gewöhnt – aber die Lunge reagiere sensibler. Forscher in Cambridge haben 2004 berechnet, dass Briten im Schnitt täglich 2,5 Milligramm TiO2 aufnehmen, durch Tabletten, Zahnpasta, Süßigkeite­n. Kreyling: „Das ist viel, es addiert sich jeden Tag.“Solange Langzeitst­udien fehlen, müsse davon ausgegange­n werden, dass sich Partikel in Organen anreichern. Ab der Geburt. Architekt Schwaag freilich sieht kein Gesundheit­srisiko: „Solange nicht bewiesen ist, dass TiO2-Einatmen tödlich ist, ist es besser, die Luft von giftigen Stickoxide­n zu reinigen, anstatt nichts zu tun und sich an diesen zu vergiften.“Zudem würden Nanopartik­el schnell zusammenkl­eben, also keine Nanos mehr sein …

Aber es gibt alternativ­e Smogfresse­r. Das Institut für Verfahrens­und Textiltech­nik in Denkendorf bei Stuttgart forscht an Mooswänden. Zackenmütz­enmoos. Stuttgart ist Deutschlan­ds Smog-Metropole, 2015 der wurde Tagesgrenz­wert an 63 Tagen überschrit­ten. Moos? Es ist klein, wächst dicht. Weil es keine Wurzeln hat, nimmt es Nährstoffe über die Blätter auf. Und deren Papillen ziehen Feinstaub elektrosta­tisch an. Wie viel davon es verdauen kann, ist noch unklar. Aber es lässt sich von Sonne stressen und muss bewässert werden. Und jede der 20000 Moos-Arten ist anders…

Beide Erfindunge­n jedenfalls könnten helfen, sind aber „End-ofPipe-Lösungen“: Versuche also, Schlechtes weniger schlecht zu machen. Besser wäre es, von vornherein das Gute zu fördern. Darin sind sich alle Forscher einig. Weniger Autos, mehr Fahrräder, vor allem in den Städten, aus Vernunft.

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Fotos: afp, Fotolia Modellhaft (von links): der Beton der Misericord­ia Kirche in Rom, die Struktur der Fas sade des González Krankenhau­ses in Mexiko und Algen wände, entwickelt in Denkendorf bei Stuttgart.
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