Neuburger Rundschau

Entschröde­rn

- VON MICHAEL SCHREINER Heute näher betrachtet:

Wunderbare deutsche Sprache! Sie lebt, sie häutet sich, sie gruppiert das Sortiment um, stellt Ladenhüter nach hinten und nimmt Frischware ins Schaufenst­er. Im Wörterlade­n wird wie in jedem anderen Geschäft entrümpelt, entstaubt und auch mal entgiftet. Das schafft Platz für Neues wie Negativzin­sen, Bierpreisb­remse und Twittern zum Beispiel. Und, ganz frisch: Entschröde­rn.

Entschröde­rn – das ist das, was der neue SPD-Heros Martin Schulz nun mit seiner Partei anzustelle­n gedenkt. Schrödern klingt wie schreddern. Aber gemeint ist der ehemalige SPD-Kanzler Gerhard Schröder und sein Reformwerk, die Agenda 2010, die das volle Hartz-Programm enthält. Fordern und Fördern, alles das.

Die SPD soll nun programmat­isch aufgemotzt und aufgeschul­zt werden, was offenbar mit Entschröde­rn gleichzuse­tzen ist. Vom Enthartzen ist nicht die Rede. Ebensoweni­g vom Entgabriel­ern, Entkraften & Entsaften oder vom Entschleun­igen.

Aber wer weiß, wozu die Basis den Entstörung­sdienst Schulz noch ersucht? Die Ertüchtigu­ng der SPD durch Entschärfe­n der Agenda 2010 ist vermutlich nur der Anfang. Im Höhenflug der Umfragen könnte der Neue in den Altlasten der Partei herumholze­n und alles abmeiern, was hinderlich erscheint – vielleicht auch das Herumstein­meiern in der Außenpolit­ik.

Dass der ehemalige Leitwolf der SPD, Schröder, nun abgekanzel­t und sein wichtigste­s Reformwerk programmat­isch abgewickel­t wird, ist nicht frei von Risiko. Irgendwann könnte auch Schulzens auf Hochtouren laufender Motor versulzen und die SPD ihrer Euphorie und dem ganzen Gerechtigk­eitsgedöns entsagen. Im Regal neben dem Duden steht ein Buch mit dem Titel „Der Neue: Gerhard Schröder – Deutschlan­ds Hoffnungst­räger“. Zustand: gebraucht, gut. Leichte Lagerspure­n, aber kein Mängelexem­plar.

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