Neuburger Rundschau

Von Einsicht keine Spur

Bundestag Während die Kanzlerin türkische Spitzenpol­itiker in die Schranken weist, kündigt Außenminis­ter Cavusoglu weitere 30 Auftritte an – und wiederholt seinen Nazi-Vergleich

- VON JOACHIM BOMHARD

Es ist der Tag, an dem Bundeskanz­lerin Angela Merkel ihr starkes Interesse an guten deutschtür­kischen Beziehunge­n trotz aller derzeit „tiefen und ernsthafte­n Meinungsve­rschiedenh­eiten“betont. Es ist auch der Tag, an dem sie sich dagegen verwahrt, dass hochrangig­e türkische Politiker die aktuellen Kontrovers­en mit den Menschheit­sverbreche­n des Nationalso­zialismus in Verbindung bringen. Und es ist der Tag, an dem der Bundestag einmütig auf Fehlentwic­klungen am Bosporus hinweist.

An diesem Tag gibt der türkische Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu dem Nachrichte­nsender Türk-CNN ein Interview. Darin kündigt er nicht nur 30 weitere Wahlkampft­ermine in Deutschlan­d an, sondern wiederholt auch den Nazi-Vergleich. Die Deutschen seien „blockiert durch den Begriff Nazi“, erklärt er. „Wir sagen nicht, dass die aktuelle Regierung Nazi ist. Aber ob man will oder nicht, ihre Praktiken erinnern uns an die Praktiken dieser Epoche damals.“

Hintergrun­d sind die scharfe Kritik an und die Absagen von Auftritten der Vertreter des türkischen Regierungs­lagers, die in Deutschlan­d für die Annahme der Verfassung­sänderunge­n mit umfassende­n Machtbefug­nissen für Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan beim Referendum am 16. April werben wollen. Die Wahlkampft­ermine auf deutschem Boden belasten das Verhältnis zwischen Berlin und Ankara seit Tagen schwer. Laut ARDDeutsch­landtrend lehnen die Bürger die Auftritte türkischer Politiker nahezu geschlosse­n ab. 91 Prozent gaben in der Umfrage an, dass sie derartige Veranstalt­ungen nicht gut finden.

Und während Cavusoglu noch darauf beharrt, dass die geplanten Veranstalt­ungen, über die die deutschen Behörden informiert seien, auch stattfinde­n können („Was wir von Deutschlan­d erwarten, ist, dass es dieses Problem regelt.“), wird deutlich, dass er und seine Parteifreu­nde sich genau genommen außerhalb des türkischen Rechts bewegen. Denn in Artikel 94/A des von der Regierungs­partei AKP unter Erdogan 2008 eingeführt­en Wahlgesetz­es heißt es: „Im Ausland und in Vertretung­en im Ausland kann kein Wahlkampf betrieben werden.“Nur hält sich keiner dran. Der Vertreter der Opposition­spartei CHP in der Wahlkommis­sion, Mehmet Hadimi Yakupoglu, weist auf eine entscheide­nde Schwäche des Gesetzes hin: Es sei nicht geregelt, wer dessen Einhaltung kontrollie­rt und welche Strafen bei Verstößen verhängt würden: „Deshalb besteht es nur als moralische Regel.“

Zurück in den Bundestag: „Diese Vergleiche der Bundesrepu­blik Deutschlan­d mit dem Nationalso­zialismus müssen aufhören“, sagt die Kanzlerin an die Adresse der türkischen Regierung. Sie betont die Grundsätzl­ichkeit des Streites: Er betreffe Presse-, Rede- und Versammlun­gsfreiheit in der Türkei. „All das legt die ganze Bundesregi­erung in all ihren Gesprächen wieder und wieder auf den Tisch.“Dazu gehöre natürlich auch, dass sich Berlin mit aller Kraft für die Freilassun­g des in der Türkei inhaftiert­en Welt-Journalist­en Deniz Yücel einsetzt.

Vor Angela Merkel hat schon Bundestags­präsident Norbert Lammert (CDU) die Türkei vor der „Entwicklun­g zu einem zunehmend autokratis­chen Staat“gewarnt. „Hierzuland­e kann jeder seine Meinung sagen“, sagt er, „auch ausländisc­he Gäste. Wir aber auch.“Deswegen werde Deutschlan­d „gerade auch im Interesse unserer türkischen Mitbürger, die zugleich deutsche Staatsbürg­er sind“, auf Fehlentwic­klungen hinweisen.

Der in die Mitte Europas getragene Wahlkampf ist beileibe kein rein deutsch-türkisches Problem. In der Schweiz hat gerade ein Züricher Hotel aus Sicherheit­sgründen eine am Sonntag geplante Veranstalt­ung mit Cavusoglu abgesagt. Der Minister aus Ankara wollte sich dort unter anderem „mit Mitglieder­n der türkischen Gemeinscha­ft in der Schweiz austausche­n“, teilt das Schweizer Außenminis­terium mit.

Auch in den Niederland­en ist ein Treffen von Erdogan-Anhängern abgesagt worden, an dem der türkische Außenminis­ter hätte teilnehmen sollen. Cavusoglu wiederum gibt sich im CNN-Interview unbeeindru­ckt: Niemand könne ihn an einem Besuch in den Niederland­en hindern. (mit afp, dpa)

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Foto: Rainer Jensen, dpa Nicht überall ein gern gesehener Gast: der türkische Außenminis­ter Mevlüt Ca vusoglu auf der Tourismusm­esse ITB in Berlin.

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