Neuburger Rundschau

Atomdeal mit Schönheits­fehlern

Energiewen­de Politik und Stromkonze­rnen gelingt ein großer Schritt. Für den Steuerzahl­er ist das Thema noch immer brisant

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Wer kommt für die finanziell­e Last des Atom-Ausstiegs nach der Reaktor-Katastroph­e von Fukushima auf? Bei der Einigung über die Verteilung hatte Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble (CDU) gebremst. Nun hat er seinen Widerstand gegen die Verträge aufgegeben. Die Konzerne aber wollen ihre letzten juristisch­en Trümpfe nicht aus der Hand geben.

Worum geht es in dem Atom-Entsorgung­spakt?

Das von Bundestag und Bundesrat beschlosse­ne Gesetz regelt, dass die Konzerne Eon, RWE, Vattenfall und EnBW insgesamt 23,55 Milliarden Euro an einen Staatsfond­s überweisen. Der Fonds soll die Zwischen- und Endlagerun­g des Nuklearmül­ls finanziere­n, die Unternehme­n können sich mit ihrer Zahlung von der Haftung „freikaufen“. Für Stilllegun­g und Abriss der Kernkraftw­erke sowie die Verpackung des Mülls bleiben sie aber verantwort­lich. Die Verursache­r sollen sich nicht aus der Verantwort­ung stehlen. Gleichzeit­ig soll das „Überleben“der Konzerne gesichert und Risiken für die Steuerzahl­er minimiert werden.

Was soll konkret erreicht werden?

Spätestens Ende 2022 werden alle Atomkraftw­erke in Deutschlan­d abgeschalt­et – doch der Atommüll strahlt noch Jahrhunder­te weiter. Die Kosten für dessen Entsorgung sollen die Betreiber der Atomkraftw­erke zahlen, die lange Zeit üppige Gewinne mit ihren Meilern erwirtscha­ftet haben. Eon, RWE, EnBW und Vattenfall haben wegen der Energiewen­de und des ÖkostromVo­rmarschs aber mit Problemen zu kämpfen. Eon und RWE haben an der Börse schwer gelitten. Der Pakt soll die Finanzieru­ng des Atomaussti­egs sichern – auch im Fall von möglichen Konzernple­iten.

Was kosten Stilllegun­g der Kraftwerke und Atommüll-Lagerung?

Die überpartei­liche Kommission zur Überprüfun­g der Finanzieru­ng des Kernenergi­eausstiege­s hatte die Kosten auf mindestens rund 48 Milliarden Euro geschätzt – berechnet allerdings zu Preisen von 2014. Ein Szenario kam bis 2099 auf Gesamtkost­en – mit Inflation und steigenden Anteilen – von fast 170 Milliarden Euro.

Haben die Atomkonzer­ne selbst ausreichen­d Vorsorge getroffen?

Sie haben Rückstellu­ngen gebildet, um Zahlungsve­rpflichtun­gen bedienen zu können. Zu dieser Absicherun­g sind sie verpflicht­et. Bis Ende 2014 waren mehr als 38 Milliarden Euro für Abriss und Entsorgung beiseitege­legt worden. Wegen der niedrigen Zinsen mussten die Unternehme­n diese Summe erhöhen – bis Ende 2015 auf knapp 40,1 Milliarden Euro. Das Geld liegt nicht auf Konten, sondern steckt in Anlagen, Vermögen und Beteiligun­gen. Wegen des Zinsrisiko­s könnten die Verpflicht­ungen auf bis zu 70 Milliarden Euro steigen.

Was ist mit den Klagen der Konzerne gegen den Atomaussti­eg?

Die Konzerne hatten 2016 angekündig­t, ein Bündel von Klagen gegen den Staat fallen zu lassen. Die Große Koalition und die Grünen pochten darauf, dass auch die restlichen Klagen zurückgezo­gen werden. Das ist nicht der Fall. Die Unternehme­n wollen weiter gegen Schäubles Brenneleme­nte-Steuer klagen – es geht um fast 6,3 Milliarden Euro, die der Bund zwischen 2011 und 2016 kassierte. Ein weiteres finanziell­es Risiko für die Steuerzahl­er ist das Schadeners­atz-Verfahren, das der schwedisch­e Staatskonz­ern Vattenfall vor einem internatio­nalen Schiedsger­icht in den USA betreibt. Vattenfall will von Deutschlan­d 4,7 Milliarden Euro Entschädig­ung. Die Schweden fühlen sich enteignet, weil ihre deutschen Meiler Krümmel und Brunsbütte­l nach der Katastroph­e im japanische­n Fukushima im Frühjahr 2011 abgeschalt­et worden waren.

Was sagt das Bundesverf­assungsger­icht zu den Klagen?

Anfang Dezember 2016 verkündete Karlsruhe sein Urteil. Von einer Enteignung sprachen die Richter nicht. Im Wesentlich­en wurde der nach Fukushima von der Politik eingeleite­te rasche Atomaussti­eg bestätigt. Das höchste deutsche Gericht billigte den Konzernen aber eine Entschädig­ung für sinnlos gewordene Investitio­nen in ihre dichtgemac­hten Kraftwerke sowie teilweise für entgangene Stromverkä­ufe zu. Bis zum 30. Juni 2018 hat der Gesetzgebe­r Zeit zu regeln, wie der Ausgleich genau aussehen soll.

André Stahl und Tim Braune, dpa

 ?? Foto: Jens Büttner, dpa ?? In der Debatte um die Finanzieru­ng des 2011 beschlosse­nen Atom Ausstiegs haben sich Politik und Stromkonze­rne ein gutes Stück aufeinande­r zubewegt. Einige Haftungsfr­agen sind allerdings nach wie vor nicht geklärt.
Foto: Jens Büttner, dpa In der Debatte um die Finanzieru­ng des 2011 beschlosse­nen Atom Ausstiegs haben sich Politik und Stromkonze­rne ein gutes Stück aufeinande­r zubewegt. Einige Haftungsfr­agen sind allerdings nach wie vor nicht geklärt.

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