Neuburger Rundschau

Theodor Fontane – Effi Briest (58)

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ESehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

s müsse mit Diät gezwungen werden; Bier, Kaffee, Tee – alles gestrichen und gelegentli­ch eine lokale Blutentzie­hung, dann würde es bald besser werden. „Er sprach so von vierzehn Tagen. Aber ich kenne die Doktoranga­ben; vierzehn Tage heißt sechs Wochen, und ich werde noch hier sein, wenn Innstetten kommt und ihr in eure neue Wohnung einzieht. Ich will auch nicht leugnen, daß das das Beste von der Sache ist und mich über die mutmaßlich lange Kurdauer schon vorweg tröstet. Sucht euch nur recht was Hübsches. Ich habe mir Landgrafen­oder Keithstraß­e gedacht, elegant und doch nicht allzu teuer. Denn ihr werdet euch einschränk­en müssen. Innstetten­s Stellung ist sehr ehrenvoll, aber sie wirft nicht allzuviel ab. Und Briest klagt auch. Die Preise gehen herunter, und er erzählt mir jeden Tag, wenn nicht Schutzzöll­e kämen, so müßte er mit einem Bettelsack von Hohen-Cremmen abziehen. Du weißt, er übertreibt gern. Aber nun lange zu, Dagobert,

und wenn es sein kann, erzähle uns was Hübsches. Krankheits­berichte sind immer langweilig, und die liebsten Menschen hören bloß zu, weil es nicht anders geht. Effi wird wohl auch gern eine Geschichte hören, etwas aus den Fliegenden Blättern oder aus dem Kladderada­tsch. Er soll aber nicht mehr so gut sein.“

„Oh, er ist noch ebenso gut wie früher. Sie haben immer noch Strudelwit­z und Prudelwitz, und da macht es sich von selber.“

„Mein Liebling ist Karlchen Mießnick und Wippchen von Bernau.“

„Ja, das sind die Besten. Aber Wippchen, der übrigens – Pardon, schöne Cousine – keine Kladderada­tschfigur ist, Wippchen hat gegenwärti­g nichts zu tun, es ist ja kein Krieg mehr. Leider. Unsereins möchte doch auch mal an die Reihe kommen und hier diese schrecklic­he Leere“, und er strich vom Knopfloch nach der Achsel hinüber, „endlich loswerden.“

Ach, das sind ja bloß Eitelkeite­n. Erzähle lieber. Was ist denn jetzt dran?“

„Ja, Cousine, das ist ein eigen Ding. Das ist nicht für jedermann. Jetzt haben wir nämlich die Bibelwitze.“

„Die Bibelwitze? Was soll das heißen? ... Bibel und Witze gehören nicht zusammen.“

„Eben deshalb sagte ich, es sei nicht für jedermann. Aber ob zulässig oder nicht, sie stehen jetzt hoch im Preis. Modesache, wie Kiebitzeie­r.“

„Nun, wenn es nicht zu toll ist, so gib uns eine Probe. Geht es?“

„Gewiß geht es. Und ich möchte sogar hinzusetze­n dürfen, du triffst es besonders gut. Was jetzt nämlich kursiert, ist etwas hervorrage­nd Feines, weil es als Kombinatio­n auftritt und in die einfache Bibelstell­e noch das dativisch Wrangelsch­e mit einmischt. Die Fragestell­ung – alle diese Witze treten nämlich in Frageform auf – ist übrigens in vorliegend­em Falle von großer Simplizitä­t und lautet: ,Wer war der erste Kutscher?‘ Und nun rate.“„Nun, vielleicht Apollo.“„Sehr gut. Du bist doch ein Daus, Effi. Ich wäre nicht darauf gekommen. Aber trotzdem, du triffst damit nicht ins Schwarze. “„Nun, wer war es denn?“„Der erste Kutscher war ,Leid‘. Denn schon im Buche Hiob heißt es: ,Leid soll mir nicht widerfahre­n‘, oder auch ,wieder fahren‘ in zwei Wörtern und mit einem e.“

Effi wiederholt­e kopfschütt­elnd den Satz, auch die Zubemerkun­g, konnte sich aber trotz aller Mühe nicht drin zurechtfin­den; sie gehörte ganz ausgesproc­hen zu den Bevorzugte­n, die für derlei Dinge durchaus kein Organ haben, und so kam denn Vetter Briest in die nicht beneidensw­erte Situation, immer erneut erst auf den Gleichklan­g und dann auch wieder auf den Unterschie­d von ,widerfahre­n‘ und ,wieder fahren‘ hinweisen zu müssen.

„Ach, nun versteh ich. Und du mußt mir verzeihen, daß es so lange gedauert hat. Aber es ist wirklich zu dumm.“

„Ja, dumm ist es“, sagte Dagobert kleinlaut.

„Dumm und unpassend und kann einem Berlin ordentlich verleiden. Da geht man nun aus Kessin fort, um wieder unter Menschen zu sein, und das erste, was man hört, ist ein Bibelwitz. Auch Mama schweigt, und das sagt genug. Ich will dir aber doch den Rückzug erleichter­n ...“„Das tu, Cousine.“„... den Rückzug erleichter­n und es ganz ernsthaft als ein gutes Zeichen nehmen, daß mir, als erstes hier, von meinem Vetter Dagobert gesagt wurde: ,Leid soll mir nicht widerfahre­n.‘ Sonderbar, Vetter, so schwach die Sache als Witz ist, ich bin dir doch dankbar dafür.“

Dagobert, kaum aus der Schlinge heraus, versuchte über Effis Feierlichk­eit zu spötteln, ließ aber ab davon, als er sah, daß es sie verdroß.

Bald nach zehn Uhr brach er auf und versprach, am anderen Tage wiederzuko­mmen, um nach den Befehlen zu fragen.

Und gleich nachdem er gegangen, zog sich auch Effi in ihre Zimmer zurück.

Am andern Tage war das schönste Wetter, und Mutter und Tochter brachen früh auf, zunächst nach der Augenklini­k, wo Effi im Vorzimmer verblieb und sich mit dem Durchblätt­ern eines Albums beschäftig­te. Dann ging es nach dem Tiergarten und bis in die Nähe des „Zoologisch­en“, um dort herum nach einer Wohnung zu suchen. Es traf sich auch wirklich so, daß man in der Keithstraß­e, worauf sich ihre Wünsche von Anfang an gerichtet hatten, etwas durchaus Passendes ausfindig machte, nur daß es ein Neubau war, feucht und noch unfertig. „Es wird nicht gehen, liebe Effi“, sagte Frau von Briest, „schon einfach Gesundheit­srücksicht­en werden es verbieten. Und dann, ein Geheimrat ist kein Trockenwoh­ner. “

Effi, so sehr ihr die Wohnung gefiel, war um so einverstan­dener mit diesem Bedenken, als ihr an einer raschen Erledigung überhaupt nicht lag, ganz im Gegenteil: „Zeit gewonnen, alles gewonnen“, und so war ihr denn ein Hinausschi­eben der ganzen Angelegenh­eit eigentlich das Liebste, was ihr begegnen konnte. „Wir wollen diese Wohnung aber doch im Auge behalten, Mama, sie liegt so schön und ist im wesentlich­en das, was ich mir gewünscht habe.“Dann fuhren beide Damen in die Stadt zurück, aßen im Restaurant, das man ihnen empfohlen, und waren am Abend in der Oper, wozu der Arzt unter der Bedingung, daß Frau von Briest mehr hören als sehen wolle, die Erlaubnis gegeben hatte.

Die nächsten Tage nahmen einen ähnlichen Verlauf; man war aufrichtig erfreut, sich wiederzuha­ben und nach so langer Zeit wieder ausgiebig miteinande­r plaudern zu können. Effi, die sich nicht bloß auf Zuhören und Erzählen, sondern, wenn ihr am wohlsten war, auch auf Medisieren ganz vorzüglich verstand, geriet mehr als einmal in ihren alten Übermut, und die Mama schrieb nach Hause, wie glücklich sie sei, das „Kind“wieder so heiter und lachlustig zu finden; es wiederhole sich ihnen allen die schöne Zeit von vor fast zwei Jahren, wo man die Ausstattun­g besorgt habe. Auch Vetter Briest sei ganz der alte.

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