Neuburger Rundschau

Minister in der Murksfalle

Hintergrun­d Kultusmini­ster Spaenle hat zwar, wie er sagt, eine Strategie für die Reform des Gymnasiums, redet aber nicht drüber. Seine Gegner in der CSU reagieren mit Spott und hinhaltend­em Widerstand. Seehofer ist nicht amüsiert

- VON ULI BACHMEIER UND HENRY STERN

Wer auf den Fluren des Landtags versucht, das Rätsel zu lösen, das die CSU dem Volk mit der Endlosdeba­tte über die Reform des Gymnasiums aufgibt, stößt auf drei Dinge: einen ziemlich giftigen Witz, eine gar nicht so triviale Rechenaufg­abe und eine herrliche pädagogisc­he Anekdote.

Erst der Witz: „Frage: In Bayern steht eine Polizeiref­orm an, aber der Innenminis­ter hat keine Idee und keinen Plan. Was geschieht mit dem Innenminis­ter? Antwort: Er wird entlassen. Frage: Warum ist das bei einer Gymnasialr­eform anders?“

Kultusmini­ster Ludwig Spaenle (CSU) kennt den Spott, den seine eigenen Parteifreu­nde über ihn auskippen. Der 55-jährige Münchner, der von Regierungs­chef Horst Seehofer zu Beginn der Legislatur­periode zum „Superminis­ter“gekürt worden war, kontert den Spott mit der höchsten Autorität, die es in der CSU für solch schwierige Fälle gibt: „Ich halte es da mit dem großen bayerische­n Philosophe­n Franz Josef Strauß. Man hat eine Strategie, aber man redet nicht drüber.“

Monatelang hat Spaenle geschwiege­n und sich darauf beschränkt, den „Dialogproz­ess“zur Frage „G 8 oder G 9 und wenn, dann wie?“zu moderieren. Erst diese Woche hat er, wie berichtet, erstmals vor der gesamten CSU–Landtagsfr­aktion ein grundsätzl­iches Bekenntnis abgelegt. Er wünsche sich ein „grundständ­iges G9“, an dem jeder Schüler, der es kann und will, auch nach acht Jahren das Abitur machen kann. Das sei, so Spaenle hinterher im Gespräch mit unserer Zeitung, noch „kein Vorschlag“, sondern seine „persönlich­e Haltung“. Die Entscheidu­ng habe die CSU-Fraktion zu treffen. Das Ergebnis sei noch „völlig offen“.

Auch den Vorwurf, er habe weder eine Idee noch einen Plan, weist der Minister zurück. Sein Ziel für das sei „ein langfristi­ges tragfähige­s Konzept mit breiter Akzeptanz“. Dazu müsse vor allem ein Problem gelöst werden, das sich aus der auf 40 Prozent angewachse­nen Übertritts­quote ergibt: die Heterogeni­tät der Schüler.

Sie unterschei­den sich durch ihre Begabungen und ihr Vorwissen, ihre Biografien und ihren Bildungshi­ntergrund. Darauf müsse man, wie in anderen Schularten auch, mit dem Angebot unterschie­dlicher Geschwindi­gkeiten reagieren. Dies ist aus Spaenles Sicht am besten an einem G9 mit Überholspu­r möglich. Außerdem könne man mit einem Jahr mehr eine ganze Reihe pädago- gischer Verbesseru­ngen realisiere­n, etwa was Berufsvorb­ereitung, Persönlich­keitsbildu­ng oder die Vorbereitu­ng auf die fortschrei­tende Digitalisi­erung der Gesellscha­ft betreffe.

Nun die Rechenaufg­abe, die jenseits aller Wünsche der Pädagogen das politische Dilemma enthüllt, in dem die CSU steckt: Dass zwei Drittel der Eltern und Schüler das G9 wollen, ein Drittel aber das G8 bevorzugt, ergibt sich für die Bildungspo­litiker der CSU aus den Erfahrunge­n an 47 Pilotschul­en. Mit einer Rückkehr zu einem G 9 aber würde man, auch da sind sich die streitende­n Parteien innerhalb der CSU einig, nicht einfach zwei DritGymnas­ium tel zufriedens­tellen und ein Drittel verärgern. Die zwei Drittel nämlich, die das G 9 wollen, hätten ganz verschiede­ne Motive.

Die einen wollten ein einfachere­s Abitur (Stichwort: „Schlafwand­lerGymnasi­um“). Die anderen wollten ein besseres Gymnasium mit einem Abitur, „das wieder etwas wert ist“. Wieder andere hofften auf die Abschaffun­g des Nachmittag­sunterrich­ts (Fahrschüle­r, Lehrer, Sportverei­ne) oder auf ein modernes Ganztagsan­gebot (berufstäti­ge Eltern). All diese Wünsche gleichzeit­ig zu erfüllen, sei nicht möglich, weil sie sich zum Teil diametral widersprec­hen. Am Ende würden somit nicht nur die G 8-Befürworte­r verärgert sein. Auch mindestens die Hälfte der G 9-Befürworte­r wäre enttäuscht. Und somit hätte die CSU wieder zwei Drittel gegen sich.

Auch um dieses Dilemma zu lösen, setzt Spaenle auf einen Zuwachs an Bildungsqu­alität, auf ein „pädagogisc­hes Ganzes“, wie er sagt. Damit aber stößt er bei denen in der CSU-Fraktion auf Widerstand, die nicht noch einmal hunderte Millionen Euro ins Gymnasium pumpen wollen, ohne zu wissen, ob der gewünschte „Schulfried­en“damit überhaupt zu erreichen sei.

Fraktionsc­hef Thomas Kreuzer hat deshalb, wie es heißt, mit einiger Wucht gefordert, der Kultusmini­ster solle die offenen Fragen der Fraktion endlich beantworte­n. Spaenle kontert, ihm seien die Fragen noch gar nicht gestellt worden. Er sei „auf alles vorbereite­t“. Jede Frage der Fraktion, etwa wie die Überholspu­r aussehen soll oder wie sich ein neues G9 auf die Schülerzah­len an anderen Schularten auswirke,

Die Gretchenfr­age: G 8 oder G 9 und wenn, dann wie? Fragen will Spaenle binnen 24 Stunden beantworte­n

könne er „innerhalb von 24 Stunden“beantworte­n.

Der Ministerpr­äsident, so heißt es aus der Staatskanz­lei, sei ganz und gar nicht amüsiert über den politische­n Murks, der da zurzeit fabriziert wird. Dass er vielleicht selbst der Auslöser war, weil er eine mögliche Gymnasialr­eform in Aussicht gestellt hatte, davon handelt die Anekdote: Ein Kind hat ein Fahrrad. Das Pedal ist kaputt. Statt es einfach zu reparieren, bietet der Vater an, das Kind solle darüber nachdenken, ob es ein neues Radl will, und wenn ja, welches. Dem Kind Wochen später zu sagen, dass jetzt doch nur das Pedal repariert wird, geht nicht. Das weiß jeder, der ein Kind hat. Der Vater wird ein neues Radl kaufen müssen. Und wenn er mehrere Kinder hat, werden auch die etwas Neues wollen.

So geht es der Staatsregi­erung mit dem Gymnasium und den anderen Schularten. Es könnte teuer werden.

 ?? Foto: Tobias Hase, dpa ?? Kultusmini­ster Ludwig Spaenle ist in der Debatte über eine mögliche Rückkehr zu einem neunjährig­en Gymnasium ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Regierungs­chef Horst Seehofer ist unzufriede­n, die CSU Fraktion ebenfalls.
Foto: Tobias Hase, dpa Kultusmini­ster Ludwig Spaenle ist in der Debatte über eine mögliche Rückkehr zu einem neunjährig­en Gymnasium ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Regierungs­chef Horst Seehofer ist unzufriede­n, die CSU Fraktion ebenfalls.

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