Nachbarn werden streitlustiger
Amtsgericht Neben dem Kleinkrieg am Gartenzaun beschäftigen die Richter Bestellungen im Darknet, Flüchtlinge und Reichsbürger
Wenn ein Ast oder eine Hecke auf das Grundstück des Nachbarn ragt, endet der Streit darüber immer häufiger vor Gericht. Die Akte landet dann auf dem Schreibtisch von Amtsgerichtsdirektorin und Richterin Dorothea DenekeStoll – und ein oft aufwendiges Verfahren beginnt. Die Direktorin zog gestern gemeinsam mit Geschäftsleiter Günther Frey sowie Pressesprecherin und Richterin Celina Nappenbach Bilanz über das vergangene Jahr am Neuburger Amtsgericht.
Die Zivilsachen sind 2016 bayernweit zurückgegangen. Ein Trend, der sich auch in Neuburg zeigt, berichtet Deneke-Stoll. Insgesamt gab es 2016 665 streitige Zivilverfahren, im Vorjahr waren es 747. Die Nach
barschaftsstreitigkeiten haben zugenommen. Also zeitintensive Fälle, bei denen man gelegentlich rausfahren und sich die Situation vor Ort anschauen müsse, erklärt die Direktorin. „Wir sind mit Arbeit immer noch ganz gut bestückt.“In den vergangenen zwei Jahren wurden insgesamt 39 Nachbarschaftsstreitigkeiten verhandelt, 2012 waren es nur vier. Aber nicht nur die Nachbarn werden streitlustiger. Laut den Familienrich
tern würden auch Eltern immer verbissener um das Sorge- und Umgangsrecht ihrer Kinder kämpfen.
Zur Erfolgsgeschichte entwickeln sich die sogenannten Güterichterver
fahren, sagt Deneke-Stoll. Dabei geht es oft um familiäre, zwischenmenschliche Geschichten, bei denen die Beteiligten sich nicht im Ge- richtssaal, sondern an einem runden Tisch in der Bibliothek des Amtsgerichts treffen. Ein speziell geschulter Richter bespreche den Fall dabei mit den Parteien anhand eines Flipcharts, entspannt bei Kaffee und Keksen, schildert Nappenbach. Im vergangenen Jahr gab es sieben dieser Güterichterverfahren und alle wurden erfolgreich mit einem Vergleich beendet, so die Direktorin.
Bei den Mietsachen spiegelt sich der enge Wohnungsmarkt wider: Die Vermieter akzeptierten inzwischen lange Räumungsfristen, nur damit die Mieter die Wohnung überhaupt irgendwann verlassen, erzählt DenekeStoll. Bei den Nachlassverfahren komme es zu Problemen, weil vermögende Menschen teilweise ein handschriftliches Testament aufsetzten statt zum Notar zu gehen. Diese Testamente seien aufgrund von Formfehlern aber oft ungültig, warnt Geschäftsleiter Frey. Was Grundbuchan
gelegenheiten betrifft, weist die Direktorin auf die hauseigene Internetseite mit Informationen und Antragsformularen hin. Wer einen Grundbuchauszug benötige, solle sich unbedingt an die staatliche Stelle wenden und nicht an dubiose „Dienstleister“, die für ihren Service Geld im Voraus verlangten, betont Frey.
Im Strafrecht sind die Verfahren laut Nappenbach zahlenmäßig ungefähr gleich geblieben. 2016 wurden 38 Erwachsenenschöffensachen (2015: 32) und 59 Jugendschöffensachen (2015: 49) verhandelt, 525 Fälle beim Erwachsenenrichter (2015: 572) und 119 (2015: 96) beim Jugendrichter. Die Flüchtlingsproble
matik ist inzwischen beim Amtsgericht angekommen. Gab es in den vergangenen Jahren im Durchschnitt zwei Abschiebehaftsachen (eigentlich Verwaltungsrecht), sind es heuer bis März schon sechs. Auch die Anzahl an Strafverfahren bei Flüchtlingen ist gestiegen. Zum einen geht es dabei um Verstöße gegen das Aufenthaltsrecht, zum anderen um Diebstähle, Beleidigungen, Körperverletzungen und Missbrauchsfälle. Wie Nappenbach erklärt, seien diese Prozesse besonders aufwendig und zeitintensiv, da stets Dolmetscher eingesetzt werden müssen. Die Verstöße gegen das Betäu
bungsmittelgesetz seien auf einem „gleichbleibend hohen Niveau“, so Nappenbach. Konsumiert und gehandelt würden meist Cannabis-Produkte und Amphetamine, Crystal Meth und Speed seien eher die Ausnahme. Allerdings habe sich die Vorgehensweise beim Kauf verändert. Mussten die Konsumenten früher zum Dealer gehen, bestellten sie jetzt einfach im Darknet, erläutert die Richterin. Auch Fälle, in denen Waffen und Falschgeld im Internet erworben wurden, gab es in Neuburg bereits. Ein weiteres Klientel, das die Neuburger Richter beschäftigt, sind
Reichsbürger, die zum Beispiel Einspruch gegen Strafbefehle bei Ordnungswidrigkeiten einlegen. Circa sechs Fälle waren es 2016. Die Sicherheitsmaßnahmen am Gericht werden dann verschärft. DenekeStoll: „Wir fahren hier erfolgreich eine Null-Toleranz-Linie und hoffen, dass sich Trittbrettfahrer so abschrecken lassen.“