Brisantes aus Bremen
Tatort: „Nachtsicht“
Ein Krimi muss nicht zwangsläufig so ablaufen, dass gestandene und kluge Hauptkommissare bzw. -innen nach nächtelanger Fron einen unbekannten Täter aus der Verdächtigen-Melange fischen. „Nachtsicht“ist so ein Fall. Da werden im Dunkeln junge Männer bei Auto-Crashs überrollt, und das auch noch vor und zurück – weil eine InfrarotKamera die Nachtsicht ermöglicht. Mit Leichenfunden, dass selbst der Pathologe sich übergeben muss.
Dennoch ist „Nachtsicht“von Radio Bremen ein sehenswerter „Tatort“geworden. Weil der TVKrimi sich zu einem Familiendrama auswächst, das die Grenzen dessen, was im „Tatort“üblich ist, überschreitet. Ein diktatorischer Vater, der es doch nur gut meint mit seinem ehemals drogensüchtigen Sohn, der seinerseits als Maler und Tapezierer auch gegen seinen Erzeuger ankämpft. Papa stellt sich selbst ein geordnetes Leben in Kanada vor. Wenn das alles wäre: Sohn Kristian Friedland (Moritz Führmann) hat eine Freundin, die im Rollstuhl sitzt, seine Mutter ist beinamputiert und schwer krebskrank. Ja, das ist drehbuchmäßig ein bisschen zu viel des Schlechten. Aber für die Schauspieler ist „Nachtsicht“eine gemähte Wiesn (wird man in Bremen nicht verstehen), vor allem für Rainer Bock als irrlichternden Vater.
Die Frage nach dem Täter wird angesichts der vielleicht etwas überzogenen, tragischen Familienkonstellation zur Nebensache. Hauptkommissarin Inga Lürsen (Sabine Postel) trägt wie immer das Beamtentum im Gesicht. Nachdem ja erst für 2019 das Ende des Duos angesagt ist, lohnt es sich noch immer, die Lürsen auf ein Wellness- und Psycho-Seminar mit dem Titel „Wie werde ich entspannter“zu schicken.
Kollege Stedefreund, der mit dem netten Nachnamen, braucht keine Schulung. Allein sein Lächeln, als die BKA-Kollegin Linda Selb das Kommissariat betritt, sagt alles.
Einschalten, ja! Ausgenommen Zuschauer, die überhaupt kein Blut sehen können. Rupert Huber