Neuburger Rundschau

Wie Brecht unter die Clowns fiel

Uraufführu­ng Augsburgs Festivalle­iter Patrick Wengenroth drückt den Dichter durch die Parodie-Presse

- VON ALOIS KNOLLER

Gäste eine Garantie von umgerechne­t rund 950 Euro mit ihrer Kreditkart­e geben. Vor dem Auschecken werden die Zimmer kontrollie­rt. Banksy hat bereits mehrere Graffiti auf der Mauer hinterlass­en, unter anderem einen Palästinen­ser, der statt eines Steins einen Blumenstra­uß werfen will. Wer dieser Künstler, der das Pseudonym Banksy trägt, tatsächlic­h ist, darüber wird seit langem gerätselt. Es soll sich bei ihm um einen rund 40-jährigen Mann aus der britischen Stadt Bristol handeln.

Jemen Al Abed, Betreiber des benachbart­en Banksy’s Shop, freut sich auf jeden Fall über das Hotel. „Ich bin mir sicher, das wird ein gutes Geschäft“, sagt er. „Das Hotel ist gut für den gesamten Tourismus in Bethlehem.“Schon heute würden jeden Tag Leute in seinem Laden nach den Banksy-Graffiti auf der Mauer fragen. „Die Menschen kommen nach Bethlehem, um drei Dinge zu sehen: die Geburtskir­che, die Mauer und die Banksy-Graffiti“, sagt der 67-Jährige.

Das Banksy-Hotel ist so eingericht­et, dass es an einen englischen Gentleman-Klub erinnern soll. „Es ist genau hundert Jahre her, dass Großbritan­nien die Kontrolle von Palästina übernommen und begonnen hat, die Möbel umzustelle­n – mit chaotische­n Ergebnisse­n“, teilt Banksy mit. Damals sicherte Großbritan­nien seine Unterstütz­ung für eine „nationale Heimstätte für das jüdische Volk“in Palästina zu. 1948 wurde Israel gegründet.

Stefanie Järkel, dpa

Brecht mochte Valentin. „Dieser Mensch ist ein durchaus komplizier­ter, blutiger Witz. Er ist von einer ganz trockenen, innerliche­n Komik, bei der man (...) unaufhörli­ch von einem innerliche­n Gelächter geschüttel­t wird, das nichts besonders Gutartiges hat“, notierte er 1922 über den Münchner Komiker. Patrick Wengenroth, der neue Leiter des Augsburger Brechtfest­ivals, hat sich offensicht­lich an diese Beschreibu­ng erinnert, als er seine Revue „Die Welt ist: Schlecht! Und ich bin: Brecht!“schrieb. Ihre Uraufführu­ng am Donnerstag­abend in der ausverkauf­ten Brechtbühn­e des Theaters Augsburg hinterließ ein Publikum, das zwischen überschwän­glicher Begeisteru­ng und tiefer Verstörung schwankte.

Denn Wengenroth dekonstrui­ert Brecht mit respektlos­er Verve. Was üblicherwe­ise im getragen-pathetisch­en Tone vorgetrage­n wird, zerpflücke­n die sechs Schauspiel­er samt dem Mann am Klavier in stümperhaf­ter Rezitation, in sarkastisc­her Kommentier­ung oder in grotesker Überzeichn­ung. Derart nachbehand­elt klingt „An die Nachgebore­nen“ wie ein herunterge­leiertes oder gelispelte­s Schülerged­icht mit Patzern, Verspreche­rn und Dialektein­färbung. Die Erinnerung an „Marie äh“büßt ihren poetischen Charme ein, Brechts Plärrerlie­d weiß die Gouvernant­e im hochgeschl­ossenen Kleid (Kerstin König) so zu entschärfe­n, dass gewiss keine jugendlich­e Verführung davon ausgeht.

An derlei Veräppelun­gen muss sich der auf Brecht-Verehrung getrimmte Zuschauer erst einmal gewöhnen. Obwohl doch immer der ganze Brecht, obwohl das Original aus dem durchgedre­hten Parodiebre­i durchschim­mert. Was auf der zum Tollhaus gewordenen Bühne geschieht, ist gerade so, als würde die Prinzessin den scheußlich­en Frosch an die Wand knallen, um ihn zum Prinzen zu verwandeln. Bloß nicht länger auf den warzigen Quäker blicken, bloß nicht den schulmeist­erlichen Klassiker ertragen.

B.B. hat ja nicht nur die „Mutter Courage“und den „Guten Mensch von Sezuan“erschaffen, sondern so entsetzlic­h didaktisch­e Szenen auch wie „Das Badener Lehrstück vom Einverstän­dnis“. Dieses „politische Kinderthea­ter“liest Wengenroth als Mitspielen­der in voller Länge vor – ins Bild gesetzt von vier strammen, allerdings abgestürzt­en Männern im Flieger-Overall (Sebastián Arranz, Sebastian Baumgart, Klaus Müller und Thomas Prazak). Ob der Mensch dem Menschen hilft, soll an ihrem Beispiel untersucht werden. Brechts befremdlic­he Antwort ist die des taktierend­en Revolution­ärs: „Solange Gewalt herrscht, ist Hilfe nicht nötig.“Zugleich enthält dieses Lehrstück den Schlüssel der ganzen Revue: Wo sind die Clowns?

Hier haben sie ihren Auftritt, jedoch in Gestalt monströser Horrorclow­ns, die Herrn Schmids Beschwerde­n mit Sägen buchstäbli­ch zu Leibe rücken, bis der Arme zerlegt ist. Karl Valentins sarkastisc­hsadistisc­he Späße schlagen hier mit Wucht durch. Ebenso züchtigt B.B. das Menschenge­schlecht mit grausigen Szenen, um ihm seine niederträc­htige Lust am Quälen von seinesglei­chen vorzuführe­n. Der Spaß ist einer, bei dem es das Lachen verschlägt und der wie Salz brennt.

Ein Schlachtfe­ld bleibt zurück, auf der Bühne häufen sich zerlegte, nackte Schaufenst­erpuppen, ehrwürdige Requisiten wie der Karren der Courage, in Massen verstreute falsche Geldschein­e. Und in der Luft liegen großzügig ausgestoße­ner Theaterneb­el und Evergreens, die nicht totzukrieg­en sind, etwa Satchmos „What A Wonderful World“und Barbra Streisands Musicalson­g „Send In The Clowns“. Pianist Matze Kloppe gibt bis zum Schluss der zwei pausenlose­n Stunden sein Bestes als musikalisc­her Leiter. O

auf der Brechtbühn­e des Theaters Augsburg am 11., 17., 18., 25., 26. März und am 1., 2., 8. April.

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Foto: Kai Wido Meyer Bei Brecht wird jetzt herumgesäg­t: Kerstin König, Sebastian Baumgart, Klaus Müller, Thomas Prazak (v. l.).
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