Der Flüchtling und seine Schwester
Christophine machte sich Sorgen um ihren Bruder, aber sie hielt unverbrüchlich zu ihm. Sie war seine älteste Schwester und sie war, wie er in einem seiner vielen Briefe an sie schrieb, seine „erste Heldin“. Auch wenn sie sich später selten sahen – die enge geschwisterliche Liebe hielt ein Leben lang. Er konnte als Mann so leben, wie sie es sich wohl auch gewünscht hätte.
Aber es war ein gefährliches Leben. So hatte sich der junge Militärarzt, der vom württembergischen Herzog Carl Eugen streng, fast wie ein Gefangener, gehalten wurde, eines Tages aus seiner Stuttgarter Kaserne geschlichen, um in Mannheim die Uraufführung eines Theaterstücks zu sehen. Das brachte ihm zwei Wochen Arrest ein. Das Stück, das der rebellische Militärarzt in Mannheim besuchte, hat er selber geschrieben. Es hieß: „Die Räuber“. Herzog Carl Eugen verbot dem heimlichen Dichter nach seinem unerlaubten Ausflug aufs Strengste jedes weitere „Komödienschreiben“. Man schrieb das Jahr 1782. Der Militärarzt Friedrich Schiller wollte sich das Schreiben nicht verbieten lassen und verdrückte sich aus Carl Eugens Württemberg. Als Fahnenflüchtiger musste er sich nun anderswo in deutschen Landen in Sicherheit bringen. Eine Zeit lang kam er bei seinem Freund Wilhelm Reinwald im thüringischen Meiningen unter. Hier lernte auch die Schwester, die natürlich mit dem Flüchtigen im Bunde war, den SchillerFreund kennen. Man heiratete und aus Christophine Schiller wurde Christophine Reinwald. Trotz der Ehe blieb Bruder Friedrich ihr liebster Bezugspunkt.
Christophine hatte als Erste die Begabung ihres Bruders erkannt, und sie hatte selber eine künstlerische Ader. Sie wurde Malerin, gab der weiblichen Jugend ihres Städtchens Zeichenunterricht und trug so zum Familieneinkommen bei. Ihre wichtigste Rolle aber spielte sie als Betreuerin und Gestalterin des Schiller-Erbes. Christophine Reinwald überlebte ihren früh verstorben Bruder um vier Jahrzehnte und wurde die Frau im Zentrum des Schiller-Kultes, der bald in ganz Deutschland ausbrach. In Erinnerungsblättern schilderte sie ihre gemeinsamen Jugendjahre. Ihr jahrelanger, ausgiebiger Briefwechsel gab dem Schiller-Bild, das sie entstehen ließ, einen soliden Rahmen. Sein kurzes Leben prägte ihr langes Leben, und sie prägte sein Nachleben.