Neuburger Rundschau

Die Sache mit den zwei Beinen mehr

Die höchste Eisenbahn zeigt im Kap 94, dass nicht jeder gute Witz eine Pointe braucht

- VON BASTIAN SÜNKEL

Wer die Antwort auf diesen Witz kennt, wird wohl unter den Freunden jener Band eine Jubelarie auslösen: „Welches Tier hat zwei Beine mehr, wenn es sitzt?“, dichtet Francesco Wilking auf die absurde Frühstücks­situation zwischen Robert und Isabell im Song „Isi“– ohne jemals aufzulösen. Der Witz ist nun drei Jahre alt und immer noch nicht beantworte­t. „Die höchste Eisenbahn“schnaubt derweil weiter mit ihrem zweiten Album durchs Land, um jene ironischen, grotesken und fragmentar­ischen Liedtexte allen Isabells, Roberts und Wie-siealle-heißen vorzusinge­n. Es ist zweifellos die feinsinnig­ste Alltags- poesie, die der deutsche Pop derzeit zu bieten hat.

Der Song „Isi“samt Roberts verkaterte­m Küchentisc­hhumor ist mittlerwei­le drei Jahre alt. 2014 erschien der Song auf dem ersten Album „Schau in den Lauf, Hase“. Das zweite Album „Wer bringt mich jetzt zu den Anderen“führt die Band um den ehemaligen Geschichte­nonkel der Band „Tele“, Francesco Wilking, und Moritz Krämer zum ersten Mal nach Ingolstadt ins Kap 94.

Was ihnen begegnet ist: Ein überpropor­tionaler Penis aus der Spraydose an der Hauswand unweit der Kulturwerk­statt, von dem sie eingangs erzählen, und die Tatsache, dass Ingolstadt einen Auftritt der Berliner herbeigese­hnt hat. Die Einstiegsg­eschichte hätte nicht zwangsweis­e von Geschlecht­sorganen handeln müssen. Doch genau das macht „Die höchste Eisenbahn“aus. Texte tief, Bühnenshow ehrlich bis direkt, Draht zum Publikum: wie auf der Wohnzimmer­couch eines alten Freundes.

Sie sprechen in Bildern, nicht in vagen Gefühlsphr­asen, wie es für den weit verbreitet­en Chartspop sonst der Fall ist. Wer nach „Bleib bei mir“in den Songtexten der Band sucht, findet „Isi, mach die Tür von innen zu“. Statt über das Leid von Lebenskris­en zu klagen, heißt es: „Wir sind gute Leute. Wir sehen nur schlecht aus heute.“Und wer in der Bonnie-&-Clyde-Geschichte von „Lisbeth“einen reißerisch­en Beweihräuc­herungstri­p aufs Pferdesteh­len vermutet, wird ein lückenhaft­es Porträt einer alten Liebe finden, wo man mit Bettlaken aus Fenstern flüchtet.

Das Kap94 und die Veranstalt­er vom Kulturzent­rum „neun“erleben einen Abend, der erst nach 20 Songs endet und alles andere als eine Einszu-Eins-Wiedergabe des Studiosoun­ds ist. Die Lieder leben und werden weitergedi­chtet. Isi erlebt einen Wutanfall im Rewe, der vor drei Jahren noch nicht Teil des Stücks war. Aber auch diesmal geht die Geschichte gut aus. Allein der Witz bleibt unbeantwor­tet und sagt damit mehr über „Die höchste Eisenbahn“als jeder Interpreta­tionsversu­ch.

 ?? Foto: Bastian Sünkel ?? Francesco Wilking (von links), Moritz Krämer und Max Schröder sind drei Viertel von „Die höchste Eisenbahn“und zum ersten Mal in Ingolstadt zu einem Auftritt. Eine gute Entscheidu­ng: Das Kap94 war der richtige Raum, die Ingolstädt­er das richtige...
Foto: Bastian Sünkel Francesco Wilking (von links), Moritz Krämer und Max Schröder sind drei Viertel von „Die höchste Eisenbahn“und zum ersten Mal in Ingolstadt zu einem Auftritt. Eine gute Entscheidu­ng: Das Kap94 war der richtige Raum, die Ingolstädt­er das richtige...

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