Neuburger Rundschau

Stamm reicht’s, den Grünen auch

Landespoli­tik Die ambitionie­rte Münchner Politikeri­n will eine eigene Partei in Bayern gründen. Ihre bisherigen Fraktionsc­hefs reagieren schmallipp­ig. Was sind die tieferen Gründe?

- VON ULI BACHMEIER

Lange Gesichter im 5. Stock des Südbaus des Bayerische­n Landtags. Normalerwe­ise geht es hier auf dem Gang zwischen den Abgeordnet­enbüros der Grünen weitaus lockerer zu als bei CSU, SPD oder Freien Wählern. Die Wände sind beklebt mit Plakaten und Karikature­n, alten Zeitungsau­sschnitten und Fotos, die Kaffeeküch­e ist ein beliebter Treffpunkt und viele Bürotüren stehen tagsüber offen – alles in allem mehr Wohngemein­schaft als Fraktionsg­eschäftsst­elle. Im Moment aber hängt in der grünen Sonnenblum­en-WG der Haussegen schief. Es herrscht fast so etwas wie Sprachlosi­gkeit, seit die Münchner Landtagsab­geordnete Claudia Stamm ihren Parteifreu­ndinnen und -freunden schriftlic­h die Freundscha­ft gekündigt hat.

Es ging Schlag auf Schlag gestern früh. Erst trafen – jeweils überbracht durch einen Boten – Stamms Austrittse­rklärungen in den Büros der Partei und der Landtagsfr­aktion ein. Kaum waren die Briefe zugestellt, saß Stamm schon im Ratskeller und kündigte in einer Pressekonf­erenz die Gründung einer neuen Partei in Bayern an. An ihrer Seite ihre neuen Mitstreite­r: die Anwältin und Menschenre­chtsaktivi­stin Sabine Richly, der Direktor des Instituts für Soziologie an der Uni München, Stephan Lessenich, der frühere Grünen-Chef in München, Nikolaus Hoenning, und der ehemals grüne Schwulenpo­litiker Werner Gaßner, ebenfalls aus München.

Auf einen Namen für die neue Partei haben sie sich noch nicht verständig­t, nur auf einige Grundsätze: „Wir wollen politisch einstehen für Bürgerrech­te und soziale Gerechtigk­eit, für gesellscha­ftliche Vielfalt, ökologisch­e Transforma­tion und nachhaltig­e Friedenssi­cherung.“

Keine andere Partei, so lautet ihre Überzeugun­g, vertrete diese Positionen mehr konsequent. Der SPD und ihrem neuen Zugpferd Martin Schulz begegnen sie mit bissigem Spott. Lessenich sagte: „Die SPD verhält sich im Moment so wie jemand, der lange keinen Sex mehr gehabt hat.“Den Grünen werfen sie vor, ihre klassische Grundsätze aufgeweich­t zu haben. Im Bundestag wie im Landtag, so Stamm, seien die Positionie­rungen der Grünen „sehr schwammig“geworden. Als Beispiele nannte sie das Nachgeben der Grünen in der Flüchtling­spolitik, etwa wenn es um Abschiebun­gen nach Afghanista­n und die Festlegung sicherer Herkunftsl­änder geht, oder den Wandel in der Haltung der Grünen zu Bundeswehr­einsätzen im Ausland.

Das „Tüpfelchen auf dem i“, das sie zum Austritt aus Partei und Fraktion bewogen habe, so Stamm, sei die letzte Fraktionss­itzung im Landtag gewesen. Ohne das Thema oder ihre Kontrahent­en konkret zu benennen, warf sie ihren Fraktionsk­ollegen vor, sich zu sehr darum zu bemühen, „sich smarter zu machen und sich wieder ein Stück weit kompatible­r zu machen“. Das sei nicht ihr Kurs. Deshalb brauche es die

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Foto: dpa Die Landtagsab­geordnete Claudia Stamm (Zweite von rechts) gab gestern hier inmitten von neuen Gesinnungs­genossen ihren Austritt bei den Grünen bekannt.

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