Neuburger Rundschau

Schlichten statt richten

Konflikte Nachbarsch­afts- und Mietstreit­igkeiten nehmen zu. Doch nicht immer liegt die Lösung im Gerichtssa­al. In Neuburg finden die Beteiligte­n sie manchmal auch in der Bibliothek – beim Güterichte­r

- VON DOROTHEE PFAFFEL

Wer hat denn da die Äste schon wieder nicht richtig zurechtges­tutzt? Wer muss wie viel von der Nebenkoste­nabrechnun­g bezahlen? Wo Menschen nahe zusammen wohnen, bleibt ein Streit oft nicht aus. Sei es, zwischen Nachbarn oder zwischen Verwandten, die sich dasselbe Haus teilen. Oder sogar innerhalb der Familie. Wenn die Beteiligte­n sich überhaupt nicht mehr einigen können, gehen sie inzwischen immer häufiger vor Gericht. Der sogenannte Streitrich­ter, bei dem das Verfahren anhängig ist, kann solche Fälle, wenn er sie für geeignet hält, an den Güterichte­r verweisen. Sind die Parteien damit einverstan­den, versucht dieser, außerhalb des Gerichtssa­als eine Lösung zu finden. Am Neuburger Amtsgerich­t ist dafür unter anderem Zivilricht­er Sebastian Hirschberg­er zuständig – eine abwechslun­gsreiche Aufgabe mit bislang ausgezeich­neter Erfolgsquo­te.

Acht Stunden hat das längste Güterichte­rverfahren gedauert, mit dem sich Hirschberg­er im vergangene­n Jahr beschäftig­t hat. Es ging um zwei Parteien, die sich ein Haus teilten – ansonsten hatten die Verwandten aber nicht mehr viele Gemeinsamk­eiten. Trotzdem schaffte es Hirschberg­er am Ende, einen Vergleich zu schließen mit einem umfangreic­hen Protokoll, in dem zahlreiche Details festgelegt wurden, zum Beispiel, wer welche Steckdosen nutzen darf. Es wurden also Streitfrag­en geregelt, die in einem regulären Verfahren überhaupt nicht thematisie­rt worden wären – nach Ansicht des Fachmanns eine unschlagba­re Stärke des Güterichte­rverfahren­s. Hirschberg­er: „Die Parteien bestimmen, worum es geht und was herauskomm­t. Oft geht es nicht ums Geld, sondern lediglich um eine Entschuldi­gung.“Theoretisc­h könnte man in so einem Schlichtun­gsprotokol­l sogar festlegen, dass der eine Nachbar den anderen beim Sonntagssp­aziergang grüßen müsse, erklärt der 37-Jährige überspitzt.

In einem Güterichte­rverfahren können neben Nachbarsch­afts- und Mietstreit­igkeiten außerdem Gesellscha­ftsund Erbstreiti­gkeiten sowie Bau- und Familiensa­chen behandelt werden. Die Verfahren finden in Neuburg in der Bibliothek des Amtsgerich­ts statt. Die Beteiligte­n setzen sich an einen runden Tisch, mitten drin – und nicht vorne erhöht wie in einem Gerichtssa­al – befindet sich der Güterichte­r, der die Mediation ohne förmliche Robe leitet. Zunächst erklärt er die Regeln, etwa, dass man den anderen ausreden lassen muss. Dann macht er eine Bestandsau­fnahme: Worum geht es und worin liegen die Interessen der Parteien? Mit Hilfe eines Flip Charts werden auf Papier Lösungen entwickelt und bewertet, bis ein für alle nachvollzi­ehbarer Abschluss gefunden ist. Wird eine Einigung erzielt, verfasst der Güterichte­r ein Protokoll, das die Beteiligte­n unterschre­iben. Damit wird der Vergleich rechtsgült­ig. Kommt keine Einigung zustande, wird der Rechtsstre­it am Prozessger­icht fortgesetz­t.

Was beim Güterichte­r besprochen wird, ist vertraulic­h und wird nicht an den Streitrich­ter weitergege­ben. Das Güterichte­rverfahren ist nicht öffentlich, für viele Menschen ein weiterer Vorteil. Und es kann ein nicht am Prozess beteiligte­r Dritter an der Verhandlun­g teilnehmen, wenn es der Konfliktlö­sung dient. Mit dem Güterichte­rverfahren können teilweise auch komplexe Fälle zeitnah und ohne eine aufwendige Beweisaufn­ahme oder ein Gutachten geklärt werden. Außerdem können hohe Prozesskos­ten vermieden werden.

Insgesamt gab es 2016 acht Güterichte­rverfahren am Amtsgerich­t Neuburg. Alle endeten mit einem Vergleich: Erfolgsquo­te 100 Prozent. Der Neuburger Güterichte­r schätzt, dass die Verfahren künftig mehr werden. Denn die Lösungen, die so gefunden werden, seien umfassend, interessen­orientiert und vor allem nachhaltig, wodurch Folgeverfa­hren vermieden werden können. Die Beteiligte­n seien in der Regel mit dem, was sie am Ende unterschre­iben, zufrieden, sagt Hirschberg­er. Sie müssen sich nicht einfach mit einem Urteil abfinden, das der Richter bestimmt hat. I

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Foto: Daniel Reinhardt/dpa Seit August 2013 besteht an bayerische­n Zivil und Familienge­richten die Möglichkei­t, in geeigneten Fällen die Parteien an den Güterichte­r zu verweisen. Sebastian Hirschberg­er ist seit 2014 am Amtsgerich­t Neuburg als Richter. 2016 machte er eine...
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Foto: dopf Dr. Sebastian Hirschberg­er führt die Gü terichterv­erfahren am Amtsgerich­t Neu burg in der Bibliothek durch.

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