Schlichten statt richten
Konflikte Nachbarschafts- und Mietstreitigkeiten nehmen zu. Doch nicht immer liegt die Lösung im Gerichtssaal. In Neuburg finden die Beteiligten sie manchmal auch in der Bibliothek – beim Güterichter
Wer hat denn da die Äste schon wieder nicht richtig zurechtgestutzt? Wer muss wie viel von der Nebenkostenabrechnung bezahlen? Wo Menschen nahe zusammen wohnen, bleibt ein Streit oft nicht aus. Sei es, zwischen Nachbarn oder zwischen Verwandten, die sich dasselbe Haus teilen. Oder sogar innerhalb der Familie. Wenn die Beteiligten sich überhaupt nicht mehr einigen können, gehen sie inzwischen immer häufiger vor Gericht. Der sogenannte Streitrichter, bei dem das Verfahren anhängig ist, kann solche Fälle, wenn er sie für geeignet hält, an den Güterichter verweisen. Sind die Parteien damit einverstanden, versucht dieser, außerhalb des Gerichtssaals eine Lösung zu finden. Am Neuburger Amtsgericht ist dafür unter anderem Zivilrichter Sebastian Hirschberger zuständig – eine abwechslungsreiche Aufgabe mit bislang ausgezeichneter Erfolgsquote.
Acht Stunden hat das längste Güterichterverfahren gedauert, mit dem sich Hirschberger im vergangenen Jahr beschäftigt hat. Es ging um zwei Parteien, die sich ein Haus teilten – ansonsten hatten die Verwandten aber nicht mehr viele Gemeinsamkeiten. Trotzdem schaffte es Hirschberger am Ende, einen Vergleich zu schließen mit einem umfangreichen Protokoll, in dem zahlreiche Details festgelegt wurden, zum Beispiel, wer welche Steckdosen nutzen darf. Es wurden also Streitfragen geregelt, die in einem regulären Verfahren überhaupt nicht thematisiert worden wären – nach Ansicht des Fachmanns eine unschlagbare Stärke des Güterichterverfahrens. Hirschberger: „Die Parteien bestimmen, worum es geht und was herauskommt. Oft geht es nicht ums Geld, sondern lediglich um eine Entschuldigung.“Theoretisch könnte man in so einem Schlichtungsprotokoll sogar festlegen, dass der eine Nachbar den anderen beim Sonntagsspaziergang grüßen müsse, erklärt der 37-Jährige überspitzt.
In einem Güterichterverfahren können neben Nachbarschafts- und Mietstreitigkeiten außerdem Gesellschaftsund Erbstreitigkeiten sowie Bau- und Familiensachen behandelt werden. Die Verfahren finden in Neuburg in der Bibliothek des Amtsgerichts statt. Die Beteiligten setzen sich an einen runden Tisch, mitten drin – und nicht vorne erhöht wie in einem Gerichtssaal – befindet sich der Güterichter, der die Mediation ohne förmliche Robe leitet. Zunächst erklärt er die Regeln, etwa, dass man den anderen ausreden lassen muss. Dann macht er eine Bestandsaufnahme: Worum geht es und worin liegen die Interessen der Parteien? Mit Hilfe eines Flip Charts werden auf Papier Lösungen entwickelt und bewertet, bis ein für alle nachvollziehbarer Abschluss gefunden ist. Wird eine Einigung erzielt, verfasst der Güterichter ein Protokoll, das die Beteiligten unterschreiben. Damit wird der Vergleich rechtsgültig. Kommt keine Einigung zustande, wird der Rechtsstreit am Prozessgericht fortgesetzt.
Was beim Güterichter besprochen wird, ist vertraulich und wird nicht an den Streitrichter weitergegeben. Das Güterichterverfahren ist nicht öffentlich, für viele Menschen ein weiterer Vorteil. Und es kann ein nicht am Prozess beteiligter Dritter an der Verhandlung teilnehmen, wenn es der Konfliktlösung dient. Mit dem Güterichterverfahren können teilweise auch komplexe Fälle zeitnah und ohne eine aufwendige Beweisaufnahme oder ein Gutachten geklärt werden. Außerdem können hohe Prozesskosten vermieden werden.
Insgesamt gab es 2016 acht Güterichterverfahren am Amtsgericht Neuburg. Alle endeten mit einem Vergleich: Erfolgsquote 100 Prozent. Der Neuburger Güterichter schätzt, dass die Verfahren künftig mehr werden. Denn die Lösungen, die so gefunden werden, seien umfassend, interessenorientiert und vor allem nachhaltig, wodurch Folgeverfahren vermieden werden können. Die Beteiligten seien in der Regel mit dem, was sie am Ende unterschreiben, zufrieden, sagt Hirschberger. Sie müssen sich nicht einfach mit einem Urteil abfinden, das der Richter bestimmt hat. I