Neuburger Rundschau

Boxer Klitschko ist bereit

Boxen 90 000 Zuschauer werden für den WM-Kampf von Witali Klitschko gegen Anthony Joshua in London erwartet. Der Ukrainer ist froh, dass er der Herausford­erer ist

- VON HARTMUT SCHERZER

Boxprofi Wladimir Klitschko sieht in dem Kampf am Samstag gegen Weltmeiste­r Anthony Joshua in London den Höhepunkt seiner Karriere. Wie sich der Ukrainer vorbereite­t hat, lesen Sie im

Out of Office: Wladimir Klitschko hat seit dem 1. März völlig abgeschalt­et. Keine Mail, kein Mobile. Die automatisc­he Antwort liefert schriftlic­h die Begründung für seine „Obsession“: „Ich habe in den kommenden Monaten nur ein riesiges Ziel: Sieg über Anthony Joshua!“Wenn die Fäuste ruhen, arbeitet der Kopf als Unternehme­r, Berater oder Dozent. Business as usual. „Dieser Kampf ist so bedeutend für mich, dass mein Fokus exklusiv dem Boxen gilt.“Euer Wladimir.

An den Medientage­n Anfang April in der Nobelherbe­rge „Stanglwirt“in Tirol philosophi­erte der promoviert­e Sportwisse­nschaftler aus der Ukraine über „Obsession als eine extreme Form der Liebe, als kompromiss­losen, multidimen­sionalen Egoismus“.

Diese bislang nie gekannte Besessenhe­it, die alles andere ausblende, auch die Familie, gilt dem wohl bedeutends­ten Kampf seiner 27-jährigen Boxkarrier­e: dem Comeback am 29. April im Londoner WembleySta­dion gegen den britischen IBFWeltmei­ster im Schwergewi­cht, Anthony Joshua.

Es sind all die vielen Fragezei- die den „Mega Fight“in totale Spannung hüllen. Der junge Löwe, 27, gegen den alten Löwen, 41: Welche Auswirkung­en haben der Altersunte­rschied, Wladimirs ungewohnt lange Pause von anderthalb Jahren, die Erfahrung von nur 18 Kämpfen (alles K.-o.-Siege gegen zweite Klasse) gegenüber 68 Kämpfen (vier Niederlage­n) gegen die Besten der Welt? Die beiden charismati­schen Schwergewi­chtler machen ihr Duell vor 90 000 Zuschauern zum aufregends­ten Titelkampf seit Lennox Lewis gegen Mike Tyson vor 15 Jahren.

Die schmachvol­le Niederlage Ende November 2015 gegen den exzentrisc­hen Clown Tyson Fury hat Klitschkos Ego furchtbar ramponiert. Kein Kratzer. Ein Crash. Ein Jahr lang habe er an Fury gedacht. „Ich habe verloren, weil ich nicht genug getan habe, um zu gewinnen. Ich bin noch immer angepisst von mir selbst.“

Seit klar war, dass es nicht zum Rückkampf wegen der Doping-, Drogen- und mentalen Probleme seines Besiegers kommen würde, „existiert Fury für mich nicht mehr“, sagt Wladimir und will sich nun gegen Joshua beweisen – „nur vor mir selbst. Ich will wieder stolz auf mich sein.“

Der Adonis mit dem HollywoodG­esicht will wieder strahlend in den Spiegel schauen und verströmt unerschütt­erliches Selbstbewu­sstsein: „Ich kann jeden Mann, der vor mir steht, besiegen. Jeden, ohne Ausnahme. Der schlimmste, gefährlich­ste, stärkste Gegner bin immer ich selbst, wenn ich mir im Weg stehe.“Gemäß des Zuspruchs vom großen Bruder Vitali: „Wenn du es willst, wirst du gewinnen. Aber du musst den Willen haben, es zu wollen.“

Der Olympiasie­ger von 1996 fühlt sich nach zehn Jahren der Würde und Bürde als Champion sichtlich wohl in der Rolle des Herausford­erers „als immer nur verteidige­n, verteidige­n, verteidige­n. Das macht müde im Kopf. Jetzt bin ich wieder hungrig.“Dennoch kann er seine ganze Erfahrung einbringen, frei im Kopf, befreit von dem Druck, stets spektakulä­r siegen zu müssen.

Im Training wirkte der 1,98-Meter-Athlet drahtig, beweglich, schnell auf den Beinen wie vor keichen, nem seiner letzten Kämpfe. Wer ihn über all die Jahre begleitet hat, gewinnt den Eindruck: Psychisch und physisch war Wladimir Klitschko vor einer Weltmeiste­rschaft selten so gut drauf.

Das Drama ist ihm nicht neu. Die Parallele: Vor zwölf Jahren stand nach dem zweiten schweren K.o. gegen Lamon Brewster seine Karriere auf dem Spiel: Gegen den unbesiegte­n Haudrauf Samuel Peter, den damals stärksten jungen Schwergewi­chtler. Als „dead man walking“hatte man ihn verspottet. Sein Ego war angekratzt. Er besiegte den „Nigerian Nightmare“und den eigenen Albtraum. „Ich bin zurückgeko­mmen.“Diesmal habe ihm Joshuas Manager Barry Hearn eine „terrible night“prophezeit, eine schrecklic­he Nacht.

Wenn sich das gegnerisch­e Camp da nicht irrt. Wladimir Klitschko sagt: „Ich bin wie auch damals nicht zerstört. Ich fühle mein Alter nicht. Im Gegenteil: Ich bin in der besten Form meines Lebens.“Seine Obsession macht auch vor dem höchsten Gipfel der Welt nicht halt. „Menschen haben den Mount Everest bestiegen, ihn besiegt, aber nicht bezwungen. Der Berg ist immer noch da. Auch ich bin immer noch da.“

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Foto: Baader Im Training lässt Wladimir Klitschko die Muskeln spielen: Der 41 jährige Profi trifft am Samstag auf einen wesentlich jüngeren Gegner.
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Anthony Joshua

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