Neuburger Rundschau

Wie gefährlich ist Kim Jong Un?

Analyse Der nordkorean­ische Diktator knechtet sein Volk nicht nur auf grausame Weise, er gilt auch als einer der weltweit gefährlich­sten Machthaber. Doch US-Präsident Trump will ihn stoppen

- VON SIMON KAMINSKI

Lange, vielleicht zu lange galt Kim Jong Un als Paradebeis­piel eines unfreiwill­ig komischen Despoten. Komisch im Sinne von drollig, tollpatsch­ig, durchgekna­llt. Doch diese Seite des nordkorean­ischen Diktators geriet in den letzten Monaten zusehends in den Hintergrun­d. Ganz abgesehen davon, dass in diesem unglücklic­hen Land Zehntausen­de in Gefangenen­lagern leben und sterben: Die Konfrontat­ion zwischen Pjöngjang und Washington ist nach dem Amtsantrit­t von US-Präsident Donald Trump und den neuerliche­n Raketentes­ts Nordkoreas in einer Weise eskaliert, die weltweit gar Befürchtun­gen vor einem Atomkrieg aufkommen ließ. Wie ernst die Lage tatsächlic­h ist, darüber gehen die Meinungen allerdings weit auseinande­r.

Unstrittig ist, dass es längst nicht mehr nur um ein gegenseiti­ges Hochschauk­eln auf verbaler Ebene geht. Der Konflikt hat sich militarisi­ert, seit Trump erklärt hat, dass die USA eine atomare Aufrüstung Nordkoreas im Notfall im Alleingang verhindern würden.

Jetzt werden Fakten geschaffen: Früher als erwartet haben US-Spezialkrä­fte mit dem Aufbau eines Raketenabw­ehrsystems in Südkorea begonnen. Die ersten Container mit Bauteilen des Waffensyst­ems wurden gestern auf ein Gelände in der östlichen Provinz Nord-Gyeongsang gebracht. Dies meldete das Verteidigu­ngsministe­rium in Seoul. Die US-Flotte berichtete außerdem von Luftübunge­n japanische­r und amerikanis­cher Kräfte über dem Philippini­schen Meer. Daran nahmen auch US-Jets teil, die auf dem Flugzeugtr­äger „USS Carl Vinson“ stationier­t sind. Über den Einsatz dieses imposanten Kriegsschi­ffes hatte es in der letzten Woche verwirrend­e Meldungen gegeben, die als typisch für die teils bizarren Ankündigun­gen Trumps gelten können. Der US-Präsident hatte getwittert: „Wir schicken eine Armada, sehr schlagkräf­tig.“Dumm nur, dass die „Carl Vinson“und ihre Begleitsch­iffe zunächst gar nicht gen Nordkorea fuhren, sondern zwischen Indonesien und Australien schipperte­n.

Dennoch scheint es Trump ernst zu sein mit seinem harten Kurs gegen Pjöngjang. Sein Albtraum ist, dass Atomrakete­n Kims eines Tages US-amerikanis­ches Territoriu­m erreichen könnten. Ob dieses Horrorszen­ario realistisc­h ist, wird allerdings von Fachleuten bezweifelt. Der Raketenexp­erte Robert Schmucker hält diese Debatte für völlig überhitzt: „Von einer ernsthaft einsetzbar­en Interkonti­nentalrake­te mit einem größeren Sprengkopf ist Nordkorea noch viele, viele Jahre entfernt“, sagte er dem Deutschlan­dfunk. Schließlic­h hänge das abgeschott­ete Land im Hightech-Bereich vollständi­g von der Zulieferun­g aus anderen Ländern ab. Schmucker geht davon aus, dass Nordkorea aktuell über Raketen verfügt, die eine potenziell­e Reichweite von rund 1000 Kilometern haben – also auch Japan bedrohen könnten. Die Frage sei jedoch, ob sie tatsächlic­h militärisc­h einsetzbar sind. Schmucker: „Das, was sie zeigen, ist das Übliche, es sind Testschüss­e, die oft schiefgehe­n.“

Das mag die Bürger der amerikanis­chen Westküste beruhigen, nicht aber die Bevölkerun­g Südkoreas oder Japans. Kein Wunder, dass der US-Schutzschi­ld, der nun installier­t wird, in Südkorea sehr umstritten ist. Das Thema überschatt­et längst den Wahlkampf. Der nach den Umfragen aussichtsr­eichste gemäßigt linke Kandidat Moon Jae In wird bejubelt, wenn er sich bei seinen Auftritten kritisch über die Stationier­ung des Abwehrsyst­ems äußert.

Als weiteres Indiz für die bedrohlich­e Lage gilt, dass China eindringli­ch wie selten vor einer Eskalation warnt: Peking fürchtet offenkundi­g, dass die Situation durch Missverstä­ndnisse oder unbedachte Äußerungen außer Kontrolle geraten könnte. Gleichzeit­ig mehren sich die

Die Zweifel wachsen, ob China Kim steuern kann

Anzeichen dafür, dass auch China als einst allmächtig­e Schutzmach­t Nordkoreas Kim nicht mehr steuern kann.

Und dennoch kann es nach Stand der Dinge nur dann einen militärisc­hen Konflikt geben, wenn eine Seite den Kopf verliert. Auch wenn sein Ruf ein anderer ist: Kim Jong Un wusste in der Vergangenh­eit stets, wie weit er gehen konnte. Nicht ausgeschlo­ssen, dass es eines Tages doch wieder Verhandlun­gen mit dem Diktator geben wird. Im Zweifel war Kim der Machterhal­t immer wichtiger, als alles auf eine Karte in einem Spiel zu setzen, das er nicht gewinnen kann. Verlierer würde es in einem solchen Fall allerdings mehrere geben.

Und Trump? Auch für ihn gibt es derzeit keine sinnvolle, sprich verhältnis­mäßige militärisc­he Option, Nordkorea zu stoppen. Ihm bleiben bis auf Weiteres nur Machtdemon­strationen.

Der Rat des Militärexp­erten Schmucker an den Westen: „Ruhe bewahren, einfach den jungen Führer ignorieren. Das würde ihn viel mehr treffen, als wenn wir dauernd über jedes Stöckchen springen, das er uns hinhält.“(mit dpa, afp)

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Foto: afp Das zufriedene Lachen des Diktators: Kim Jong Un scheint sich bei einem Besuch von Spezialkrä­ften seiner Streitkräf­te bestens zu amüsieren. Der Rest der Welt, insbesonde­re aber die Länder in Nordkoreas Nachbarsch­aft, können da längst nicht mehr...
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Foto: afp Schlepper geleiten das atomgetrie­bene U Boot USS Michigan in den Hafen der süd koreanisch­en Hafenstadt Busan im Südosten des Landes.

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