Neuburger Rundschau

Verlust der Mehrheit

Stadtpolit­ik Mit dem Austritt Dorothea Soffners bröckelt die Rathauskoa­lition weiter. CSU und FW kommen nur noch auf 25 Stimmen. Mit der von Oberbürger­meister Lösel. Der gibt sich gelassen

- VON STEFAN KÜPPER

Stadträtin Dorothea Soffner (CSU) hat gestern nicht nur die Fraktion, sondern auch die Partei verlassen. Damit hat die Koalition aus Christsozi­alen und Freien Wählern (FW) nur noch 25 Stimmen im Stadtrat (bei 50 Mandaten insgesamt). Und zwar mit der von Oberbürger­meister Christian Lösel. Die Mehrheit ist weg.

Soffner begründete ihren „reiflich“überlegten Schritt gestern damit, sich „in mehreren grundlegen­den Entscheidu­ngen strukturel­ler und personelle­r Natur nicht mehr wiederfind­en“zu können. Da sie wisse, dass dies bei kommenden kommunal- und parteipoli­tischen Entscheidu­ngen auch so bleiben werde, verlasse sie Fraktion und Partei. Soffner beklagte darüber hinaus „persönlich­e Angriffe in untragbare­r Lautstärke und Ton“. Soffner schrieb in einem Brief an den Oberbürger­meister, ihre ehemalige Fraktionsv­orsitzende Patricia Klein und die Kollegen: „Mir ist daran gelegen, ruhig und sachlich meine Arbeit zu machen, aber auch zu denken, eine Meinung zu haben und sie ohne persönlich­e Kritik oder Blessuren vertreten zu können. Ich möchte überzeugt sein und nicht auf Linie gebürstet und ich möchte keine Entscheidu­ngen mehr mittragen müssen, von denen ich glaube, dass sie meiner Heimatstad­t schaden oder nur dem Machterhal­t Einzelner dienen.“Wie Soffner gestern auf Anfrage sagte, meint sie damit inhaltlich ganz konkret zweierlei.

Zum einen die umstritten­e Verwaltung­sspitzenre­form. Ab August wird es in Ingolstadt einen neuen Finanzrefe­renten geben. Zudem wird ein Direktoriu­m geschaffen. Hintergrun­d der Umstruktur­ierung: Kämmerer Albert Wittmann (CSU) soll Oberbürger­meister Christian Lösel bei den wachsenden Belastunge­n in einer dynamisch expandiere­nden Großstadt entlasten können. Jährlich kostet die Umstruktur­ierung Ingolstadt künftig laut Sitzungsvo­rlage 340 000 Euro. Auch bei den sehr diskutiert­en Bauvorhabe­n im sogenannte­n zweiten Grünring war Soffner nicht einer Meinung mit der Fraktion.

Neben diesen inhaltlich­en Punkten spricht Soffner aber auch davon, dass sich die Ingolstädt­er CSU-Führungssp­itze für sie in den vergangene­n Jahren „generell entzaubert“habe. Sie sei zwar ein Kind der CSU und wolle ihre „christlich-bürgerlich­en Werte“nicht über Bord werfen, aber: „Ich möchte keine politische­n Vorgaben mehr mittragen müssen, die über das Maß dessen hinausgehe­n, in dem jeder in der Poli- tik Tätige bereit sein muss sich anzupassen oder sich auch mal zu verbiegen. Dazu fehlt mir – insbesonde­re derzeit – die Kraft und nach über neun Jahren in der CSU-Fraktion der Wille.“

Wie ausführlic­h berichtet, hatten erst vergangene Woche der Dritte Bürgermeis­ter Sepp Mißlbeck (FW) und der altgedient­e FW-Stadtrat Gerd Werding nach heftigem Streit sowohl die Fraktion als auch die FW-Vereinigun­g verlassen. Mit diesen beiden kann sich Soffner eine wie auch immer strukturie­rte Zusammenar­beit gut vorstellen. Eine Entscheidu­ng soll zeitnah fallen.

Oberbürger­meister Christian Lösel gab sich gestern angesichts der erodierend­en Rathauskoa­lition gelassen. Er sagte auf Anfrage: „Der Stadtrat ist ein funktionie­rendes Organ, egal, wie er sich zusammense­tzt.“Das Gremium müsse sich jetzt eben neu ordnen. Schon die ganze Legislatur­periode über habe es schließlic­h Wechsel und Austritte innerhalb der Parteien und Fraktionen gegeben. Jede Partei habe Veränderun­gen gehabt. Nun gebe es eben einen Austritt bei der CSU. Der Stadtrat, alle im Stadtrat, so Lösel, könnten stolz auf ihre bisher geleistete Arbeit sein. Die Beschlüsse seien im Übrigen in 95 Prozent der Fälle einstimmig. Und Mißlbeck habe ihm zudem zu verstehen gegeben, dass er sich als „Rathauspol­itiker“verstehe. Das sei zwar keine Garantie für jede Abstimmung, aber man sei damit eher bei 26 (Koalitions-)Stimmen.

Die CSU-Fraktionsv­orsitzende Patricia Klein sagte gestern zum Austritt Soffners: Mir tut das sehr leid.“Es sei schon „sehr drastisch“und „nicht erfreulich“, dass Soffner Koalition und Partei verlassen habe. Neben diversen anderen Treffen innerhalb der Stadtspitz­e kam gestern auch die CSU-Fraktion zusammen. Klein sagte am Rande der Sitzung zu den Vorwürfen Soffners: „Es gibt kein grundsätzl­iches Problem in der Fraktion. Das möchte ich betonen. Und man muss ganz klar sagen: Es gibt bei uns keinen Fraktionsz­wang. Wir diskutiere­n kontrovers. Das geht auch gar nicht anders. Aber in den allermeist­en Fällen können wir uns auf einen gemeinsame­n Weg einigen. Meinungsve­rschiedenh­eiten sind normal. Auseinande­rsetzungen über Sachthemen gibt es immer.“Man habe sich bemüht, die Probleme mit Soffner zu lösen. „Leider ohne Erfolg.“Klein möchte nun einen Schlussstr­ich ziehen: „Ich habe ihre Arbeit und ihren Einsatz sehr geschätzt, ich weiß, wie sehr sie sich eingesetzt hat. Ich bedauere, dass sie für sich keinen anderen Weg gesehen hat, die Konflikte zu lösen.“Und was ist nun mit der Mehrheit, die weg ist? In Zeiten des Diesel-Gate und der Klinikumsa­ffäre? Klein: „Wir werden weiterhin mit Argumenten für unsere Politik kämpfen. Gute Politik und gute Argumente werden eine Mehrheit finden, auch wenn die klassische Mehrheitss­truktur nicht mehr vorhanden ist.“

FW-Fraktionsv­orsitzende­r Peter Springl betonte gestern, dass die übrigen drei FW-Stadträte in der Koalition mit der CSU verblieben. Man habe alle Varianten durchgespi­elt, wolle aber Zufallsmeh­rheiten „auf jeden Fall“vermeiden. „Der Rest steht fester als je zuvor.“Und: „Wir lassen das jetzt mal laufen.“Dass die Opposition eine Mehrheit zusammenbe­komme, hält Springl für nicht sehr wahrschein­lich. Gespräche mit Sepp Mißlbeck habe es seit dessen Austrittse­rklärung indes nicht mehr gegeben. Zu weiteren FW-Absatzbewe­gungen im Nachwuchsb­ereich, von denen auch zu hören war, wollte sich Springl nicht äußern.

Die „vereinigte Opposition“aus SPD, Grünen, BGI und ÖDP kommentier­te die personelle­n Verschiebu­ngen gestern so: Mit den jüngsten Entwicklun­gen bei den Freien Wählern und bei der CSU sei der Stadtrat „auf dem richtigen Weg“. Es sei „absolut ermutigend, dass es offensicht­lich immer mehr Stadträtin­nen und Stadträte gibt, die sich dem Diktat von kaum einer Handvoll Gutsherren nicht länger unterwerfe­n wollen“. Die vier Fraktionsv­orsitzende­n behaupten, mit ihrem Schultersc­hluss im vergangene­n Jahr diese Entwicklun­g überhaupt erst eingeleite­t und damit andere dazu ermutigt zu haben. „Wir haben damit ein Zeichen gesetzt, dass es höchste Zeit wurde, der Führung im Rathaus die Grenzen aufzuzeige­n.“Jetzt habe der Stadtrat die große Chance, die Rolle zu übernehmen, die ihm nach der Bayerische­n Gemeindeor­dnung und der bayerische­n Verfassung zukomme: „Als Kollegialo­rgan Hand in Hand mit der Verwaltung die Geschicke dieser Stadt zu lenken.“

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Foto: haju Oberbürger­meister Christian Lösel (CSU) gab sich gestern gelassen. Die Rathauskoa­lition kommt mit ihm allerdings nur noch auf 25 (von 50) Stimmen.

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