Verlust der Mehrheit
Stadtpolitik Mit dem Austritt Dorothea Soffners bröckelt die Rathauskoalition weiter. CSU und FW kommen nur noch auf 25 Stimmen. Mit der von Oberbürgermeister Lösel. Der gibt sich gelassen
Stadträtin Dorothea Soffner (CSU) hat gestern nicht nur die Fraktion, sondern auch die Partei verlassen. Damit hat die Koalition aus Christsozialen und Freien Wählern (FW) nur noch 25 Stimmen im Stadtrat (bei 50 Mandaten insgesamt). Und zwar mit der von Oberbürgermeister Christian Lösel. Die Mehrheit ist weg.
Soffner begründete ihren „reiflich“überlegten Schritt gestern damit, sich „in mehreren grundlegenden Entscheidungen struktureller und personeller Natur nicht mehr wiederfinden“zu können. Da sie wisse, dass dies bei kommenden kommunal- und parteipolitischen Entscheidungen auch so bleiben werde, verlasse sie Fraktion und Partei. Soffner beklagte darüber hinaus „persönliche Angriffe in untragbarer Lautstärke und Ton“. Soffner schrieb in einem Brief an den Oberbürgermeister, ihre ehemalige Fraktionsvorsitzende Patricia Klein und die Kollegen: „Mir ist daran gelegen, ruhig und sachlich meine Arbeit zu machen, aber auch zu denken, eine Meinung zu haben und sie ohne persönliche Kritik oder Blessuren vertreten zu können. Ich möchte überzeugt sein und nicht auf Linie gebürstet und ich möchte keine Entscheidungen mehr mittragen müssen, von denen ich glaube, dass sie meiner Heimatstadt schaden oder nur dem Machterhalt Einzelner dienen.“Wie Soffner gestern auf Anfrage sagte, meint sie damit inhaltlich ganz konkret zweierlei.
Zum einen die umstrittene Verwaltungsspitzenreform. Ab August wird es in Ingolstadt einen neuen Finanzreferenten geben. Zudem wird ein Direktorium geschaffen. Hintergrund der Umstrukturierung: Kämmerer Albert Wittmann (CSU) soll Oberbürgermeister Christian Lösel bei den wachsenden Belastungen in einer dynamisch expandierenden Großstadt entlasten können. Jährlich kostet die Umstrukturierung Ingolstadt künftig laut Sitzungsvorlage 340 000 Euro. Auch bei den sehr diskutierten Bauvorhaben im sogenannten zweiten Grünring war Soffner nicht einer Meinung mit der Fraktion.
Neben diesen inhaltlichen Punkten spricht Soffner aber auch davon, dass sich die Ingolstädter CSU-Führungsspitze für sie in den vergangenen Jahren „generell entzaubert“habe. Sie sei zwar ein Kind der CSU und wolle ihre „christlich-bürgerlichen Werte“nicht über Bord werfen, aber: „Ich möchte keine politischen Vorgaben mehr mittragen müssen, die über das Maß dessen hinausgehen, in dem jeder in der Poli- tik Tätige bereit sein muss sich anzupassen oder sich auch mal zu verbiegen. Dazu fehlt mir – insbesondere derzeit – die Kraft und nach über neun Jahren in der CSU-Fraktion der Wille.“
Wie ausführlich berichtet, hatten erst vergangene Woche der Dritte Bürgermeister Sepp Mißlbeck (FW) und der altgediente FW-Stadtrat Gerd Werding nach heftigem Streit sowohl die Fraktion als auch die FW-Vereinigung verlassen. Mit diesen beiden kann sich Soffner eine wie auch immer strukturierte Zusammenarbeit gut vorstellen. Eine Entscheidung soll zeitnah fallen.
Oberbürgermeister Christian Lösel gab sich gestern angesichts der erodierenden Rathauskoalition gelassen. Er sagte auf Anfrage: „Der Stadtrat ist ein funktionierendes Organ, egal, wie er sich zusammensetzt.“Das Gremium müsse sich jetzt eben neu ordnen. Schon die ganze Legislaturperiode über habe es schließlich Wechsel und Austritte innerhalb der Parteien und Fraktionen gegeben. Jede Partei habe Veränderungen gehabt. Nun gebe es eben einen Austritt bei der CSU. Der Stadtrat, alle im Stadtrat, so Lösel, könnten stolz auf ihre bisher geleistete Arbeit sein. Die Beschlüsse seien im Übrigen in 95 Prozent der Fälle einstimmig. Und Mißlbeck habe ihm zudem zu verstehen gegeben, dass er sich als „Rathauspolitiker“verstehe. Das sei zwar keine Garantie für jede Abstimmung, aber man sei damit eher bei 26 (Koalitions-)Stimmen.
Die CSU-Fraktionsvorsitzende Patricia Klein sagte gestern zum Austritt Soffners: Mir tut das sehr leid.“Es sei schon „sehr drastisch“und „nicht erfreulich“, dass Soffner Koalition und Partei verlassen habe. Neben diversen anderen Treffen innerhalb der Stadtspitze kam gestern auch die CSU-Fraktion zusammen. Klein sagte am Rande der Sitzung zu den Vorwürfen Soffners: „Es gibt kein grundsätzliches Problem in der Fraktion. Das möchte ich betonen. Und man muss ganz klar sagen: Es gibt bei uns keinen Fraktionszwang. Wir diskutieren kontrovers. Das geht auch gar nicht anders. Aber in den allermeisten Fällen können wir uns auf einen gemeinsamen Weg einigen. Meinungsverschiedenheiten sind normal. Auseinandersetzungen über Sachthemen gibt es immer.“Man habe sich bemüht, die Probleme mit Soffner zu lösen. „Leider ohne Erfolg.“Klein möchte nun einen Schlussstrich ziehen: „Ich habe ihre Arbeit und ihren Einsatz sehr geschätzt, ich weiß, wie sehr sie sich eingesetzt hat. Ich bedauere, dass sie für sich keinen anderen Weg gesehen hat, die Konflikte zu lösen.“Und was ist nun mit der Mehrheit, die weg ist? In Zeiten des Diesel-Gate und der Klinikumsaffäre? Klein: „Wir werden weiterhin mit Argumenten für unsere Politik kämpfen. Gute Politik und gute Argumente werden eine Mehrheit finden, auch wenn die klassische Mehrheitsstruktur nicht mehr vorhanden ist.“
FW-Fraktionsvorsitzender Peter Springl betonte gestern, dass die übrigen drei FW-Stadträte in der Koalition mit der CSU verblieben. Man habe alle Varianten durchgespielt, wolle aber Zufallsmehrheiten „auf jeden Fall“vermeiden. „Der Rest steht fester als je zuvor.“Und: „Wir lassen das jetzt mal laufen.“Dass die Opposition eine Mehrheit zusammenbekomme, hält Springl für nicht sehr wahrscheinlich. Gespräche mit Sepp Mißlbeck habe es seit dessen Austrittserklärung indes nicht mehr gegeben. Zu weiteren FW-Absatzbewegungen im Nachwuchsbereich, von denen auch zu hören war, wollte sich Springl nicht äußern.
Die „vereinigte Opposition“aus SPD, Grünen, BGI und ÖDP kommentierte die personellen Verschiebungen gestern so: Mit den jüngsten Entwicklungen bei den Freien Wählern und bei der CSU sei der Stadtrat „auf dem richtigen Weg“. Es sei „absolut ermutigend, dass es offensichtlich immer mehr Stadträtinnen und Stadträte gibt, die sich dem Diktat von kaum einer Handvoll Gutsherren nicht länger unterwerfen wollen“. Die vier Fraktionsvorsitzenden behaupten, mit ihrem Schulterschluss im vergangenen Jahr diese Entwicklung überhaupt erst eingeleitet und damit andere dazu ermutigt zu haben. „Wir haben damit ein Zeichen gesetzt, dass es höchste Zeit wurde, der Führung im Rathaus die Grenzen aufzuzeigen.“Jetzt habe der Stadtrat die große Chance, die Rolle zu übernehmen, die ihm nach der Bayerischen Gemeindeordnung und der bayerischen Verfassung zukomme: „Als Kollegialorgan Hand in Hand mit der Verwaltung die Geschicke dieser Stadt zu lenken.“