Eine Droge hat sechs Menschen getötet
Kriminalität Die Statistik zählt doppelt so viele Drogentote wie 2011 in Bayern. Was steckt aber wirklich dahinter? Wird mehr konsumiert oder gefährlicher? Der Ingolstädter Drogenpolizist verrät, was sich 2016 in der Szene getan hat
Wie Drogendealen heute abläuft? Dafür hat Stefan Hagen eine einfache wie verstörende Antwort: Die Mutter sitzt neben dem Sohn am Wohnzimmertisch und schaut sich die Lindenstraße an, beschreibt der Leiter des Kommissariats zur Drogenbekämpfung des Polizeipräsidiums Oberbayern Nord ein Sonntagabend-Szenario in einer Wohnung, irgendwo in der Region 10. Der Sohn hat sein Tablet auf den Beinen und bestellt mit wenigen Klicks Legal Highs, welcher Art auch immer: Kräutermischungen, Badesalze oder wie es im Polizeijargon heißt „NPS“, kurz für Neue psychoaktive Substanzen.
In den letzten Jahren hat sich der Drogenmarkt in der Region vor allem in zwei Richtungen verändert, erklärt Hagen. Einerseits sei es wesentlich einfacher und sicherer geworden, Drogen zu bestellen. Außerdem seien die Preise für diverse Mittel so tief wie lange nicht mehr. Es sind große Mengen im Umlauf und das Ausliefern der illegalen Substanzen von Produzent zu Konsument war selten so einfach und so sicher. Das Internet hat die illegalen Märkte revolutioniert.
Früher hätte der junge Mann am Sonntagabend auf die Straße gehen müssen. Er hätte den Dealer seines Vertrauens besuchen müssen, persönlichen Kontakt herstellen, Geld für Ware austauschen. Heute liefert die Post oder ein Dealer vor Ort hat nur noch mit Briefkästen und Paketstationen – nicht mehr mit Menschen – zu tun.
Die Statistik der Drogentoten in Deutschland, die am Montag veröffentlicht wurde, zeichnet einmal mehr ein Schreckensbild von der Szene. Wieder sind mehr Menschen an den Folgen von diversen Giftstoffen gestorben, 1333 Drogentote. Zuletzt lag die Zahl 2008 höher als im Jahr 2016. Damals starben 1449 Menschen. Wieder stieg die Sterbequote vor allem in Bayern an, das den Ländervergleich anführt. Seit 2011 hat sich die Zahl der Drogentoten beinahe verdoppelt. Im Jahr 2016 erlagen 321 Menschen im Freistaat diversen Mitteln, hat die Polizei statistisch erfasst (wir berichteten). Besteht also ein direkter Zusammenhang zwischen der digitalen Generation der Drogenkonsumenten und den steigenden Sterberaten? Man dürfe keine voreiligen Schlüsse ziehen, erklärt Stefan Hagen von der Kripo Ingolstadt. In der Region 10 sind im vergangenen Jahr insgesamt sieben Menschen an den Folgen des Konsums gestorben. Darunter ein geborener Oberhausener, der in Ehekirchen den Drogen erlag. Ein Opfer habe sich umgebracht, berichtet Hagen. Die anderen sechs Drogentoten haben eine Gemeinsamkeit: Sie sind alle an den Folgen einer Droge gestorben, die nicht schwer zu beschaffen sei, sagt Hagen. Fentanyl. Genau genommen handelt es sich um ein Medikament, ein synthetisches Opioid. Fentanyl ist bei Abhängigen seit Jahrzehnten als Heroinersatz gefragt. Konsumenten erhalten es beispielsweise durch weggeworfene FentanylPflaster, die sie „auswaschen“und sich die Flüssigkeit injizieren. Die sechs Drogenopfer in der Region seien alle „Alt-Giftler“, wie sie bei der Polizei genannt werden. Einer sei sogar jenseits des 60. Lebensjahrs gewesen, berichtet Kriminalpolizist Hagen. Zudem müsse man ein zweites statistisches Phänomen beachten: Bei der Statistik der Drogentoten handle es sich um eine Sterbeortsstatistik. Das heißt: Wenn ein Abhängiger aus der Region beispielsweise in Frankfurt am Main stirbt, wird er als hessischer Drogentoter erfasst. Rückschlüsse auf die Entwicklung in der Region geben diese Statistiken, wenn überhaupt, nur schemenhaft, wissen die Polizisten. Bis auf den „brutalen Anstieg“der Kräutermischungen, derer Polizei und Behörden mit Aufklärungsarbeit bei den Eltern und an Schulen Herr werden wollen, zeichnet sich in der Region ein bekanntes Bild ab: Insgesamt ist die Zahl der Drogentoten im Vergleich zum Vorjahr gesunken – von 15 auf sieben Menschen. Ob alle Todesfälle mit Drogenhintergrund in der Statistik erfasst wurden, weiß Hagen allerdings nicht: „Es gibt immer eine Dunkelziffer“, sagt er. Allein dann, wenn Beamte entscheiden, dass die direkte Todesfolge nicht durch Gifte verursacht wurde und somit keine Obduktion durchgeführt wird. Alle haben „langjährige Drogenkarrieren hinter sich“und sind über die ganze Region verteilt. Es sei kein Stadt-Problem im Norden Oberbayerns, erklärt der Drogenpolizist. Crystal Meth sei in der Region 10 noch kein großes Problem, wie in Oberfranken oder der Oberpfalz, in den grenznahen Regionen zu Tschechien. Dafür seien 2016 typische Neunzigerjahre-Drogen auf dem Vormarsch gewesen: Ecstasy, Crystal, Amphetamine, zählt Hagen auf. Aber auch Drogen, die jahrelang von der Bildfläche verschwunden waren, wie LSD, sagt er. Sogenannte bewusstseinserweiternde Substanzen. Warum ausgerechnet diese Drogen? Das ließe sich nicht genau erklären, sagt Hagen. Es handle sich schlicht um Modeerscheinungen.