An Tuchel scheiden sich die Geister
Fußball Vor dem Gastspiel des Trainers in seiner alten Heimat Augsburg stehen die Zeichen in Dortmund auf baldige Trennung. Kaum vorstellbar, dass sich daran noch etwas ändert
Thomas Tuchel ist ein kluger Kopf. Sätze lässt der 43-Jährige nicht einfach fallen, er äußert sie mit Bedacht. Wenn Tuchel also sagt, er werde im Spiel beim FC Augsburg morgen (15.30 Uhr) Cheftrainer von Dortmund sein, und ergänzt, so viel sei sicher, dann weiß er, wie diese Worte wirken. Entscheidend ist nämlich das, was er nicht sagt. Zu seiner Zukunft will sich der Trainer von Borussia Dortmund nicht weiter äußern, Spekulationen lässt er unkommentiert.
Unmittelbar vor und nach dem Erfolg gegen die TSG Hoffenheim – immerhin ein großer Schritt Richtung direkte Champions-LeagueTeilnahme – trat zutage, wie tief die Gräben zwischen dem eigenwilligen, fachlich aber unumstrittenen Fußball-Lehrer und den BVB-Bossen sind. Inzwischen bemüht sich die Zweckgemeinschaft öffentlich kaum mehr, die Wogen im gestörten Binnenklima zu glätten. Stattdessen versuchen beide Seiten, den Gesichtsverlust gering zu halten.
Was zuvor schwelte, entflammte nach dem Anschlag auf den BVBMannschaftsbus. Das schreckliche Ereignis und die seelische Verarbeitung rückten in den Hintergrund, vielmehr waren sich Trainer Tuchel und BVB-Geschäftsführer HansJoachim Watzke intern uneins, wie sie nach außen hin damit umgehen sollten. In der Folge trieben Tuchel und Watzke jene Uneinigkeit auf die Spitze, die seit Monaten zu beobachten ist. Dass Watzke in einem Interview vor dem Hoffenheim-Spiel den Dissens einen Dissens nannte, war Ausdruck dessen.
Innerhalb des Klubs sind die Lager gespalten: Der charismatische Tuchel, der mit seiner besserwisserischen Art nerven kann, hat kaum mehr Fürsprecher. Watzke, Manager Michael Zorc und etliche Spieler sind abseits des Rasens nur noch selten einer Meinung mit Tuchel. In der Süddeutschen erklärte ein BVBProfi anonym, die enge Bindung, die angeblich zwischen Trainer und Spielern nach dem Anschlag entstanden sei, sei eine „reine Mediensache“gewesen.
Tuchel, gebürtiger Krumbacher mit FCA-Vergangenheit, sparte zuvor öffentlich nicht mit Kritik. anderem zweifelte er nach Niederlagen gegen Frankfurt und Darmstadt an der Qualität der Spieler und kritisierte indirekt die Kaderplanung. Mit so einem Kader könne er den geforderten dritten Tabellenplatz kaum erreichen, merkte Tuchel an.
Dass das Spielermaterial nicht seinen Ansprüchen genügt, fällt auf Sven Mislintat zurück. Er ist BVBChefscout, offiziell nennt er sich „Leiter Profifußball“. Weil sich Tuchel in seiner knapp zweijährigen Schaffenszeit wiederholt in Transfers einmischte und manchen – trotz Mislintats Empfehlung – verhinderte, gilt die Zusammenarbeit als gestört. Man beschränkt sich aufs Allernötigste.
Dies lässt sich auf das gesamte Ar- beitsverhältnis übertragen, Sympathien hegt kaum einer für den öffentlich stets souverän auftretenden Tuchel. Das Binnenklima ist geprägt von Professionalität und erinnert an jenes von Pep Guardiola und dem FC Bayern. Erfolg ja, menschliche Wärme nein. Guardiola und Tuchel ticken ähnlich. Als Tuchel sich trotz laufenden Vertrags in Mainz eine einjährige Auszeit gönnte, traf er sich mit Guardiola mehrmals zum Essen. Die beiden Fußball-Nerds sollen mit Salz- und Pfefferstreuern hantiert haben, um sich gegenseitig taktisch zu befruchten. Guardiola empfahl Tuchel gar als seinen Nachfolger beim FC Bayern.
Bei der Verpflichtung Tuchels nahmen Zorc und Watzke die EitelUnter keiten des hochgelobten Trainers in Kauf. Dass der Nachfolger des allseits beliebten Jürgen Klopp weitaus anstrengender im Umgang ist, wussten die BVB-Entscheider von Christian Heidel, damals noch Manager in Mainz, jetzt auf Schalke. Nach dem Pokalfinale wird Bilanz gezogen, neben sportlichem Erfolg soll es um „Kommunikation, Strategie, Vertrauen“gehen, kündigte Watzke jüngst an. Mündet das Gespräch in eine Trennung, es wäre wenig überraschend.
Möglicherweise verfahren Dortmunds Verantwortliche nach dem Münchner Muster. Sie ersetzen einen Querdenker durch einen umgänglichen Mediator. Kandidat soll unter anderem der besonnene Schweizer Lucien Favre sein.