Neuburger Rundschau

Ulmer Journalist­in in der Türkei in Haft

Istanbul Eine Anti-Terror-Einheit stürmt die Wohnung von Mesale Tolu. Ihr Fall erinnert an den ihres Kollegen Deniz Yücel. Droht nun ein neuer diplomatis­cher Eklat?

- VON KATHARINA DODEL

Mitten in der Nacht wurden Mesale Tolu und ihr zweijährig­er Sohn Serkan aus dem Schlaf gerissen – vermummte Polizisten mit Sturmgeweh­ren durchsucht­en die Istanbuler Wohnung der gebürtigen Ulmerin und nahmen sie fest. Die Behörden werfen der 33-Jährigen vor, als Journalist­in Terrorprop­aganda betrieben zu haben und Mitglied einer Terrororga­nisation zu sein. Für die Bundesregi­erung ist ihre Festnahme ein diplomatis­cher Affront: Entgegen den internatio­nalen Gepflogenh­eiten wurde sie nicht informiert. Regierungs­sprecher Steffen Seibert betonte in Berlin: „Dieser Fall macht uns Sorgen.“

Nach Auskunft ihrer Freunde wurde Mesale Tolu, die in Ulm aufgewachs­en ist und seit mehr als zwei Jahren in der Türkei lebt, bereits am 30. April in Gewahrsam genommen, seit dem 6. Mai sitzt sie im Istanbuler Frauengefä­ngnis. Die genauen Beweggründ­e für die Festnahme seien weder ihm noch dem Anwalt der Journalist­in bekannt, betont Baki Selcuk vom Solidaritä­tskreis „Freiheit für Mesale Tolu“. Offenbar habe sich das Gericht bei der Anordnung der Haft darauf berufen, dass sie an einer Beerdigung von zwei Sozialisti­nnen teilgenomm­en habe. Diese seien von der Istanbuler Polizei erschossen worden.

Außerdem sei die 33-Jährige, die zuletzt für eine linksgeric­htete Nachrichte­nagentur gearbeitet hatte, bei einer Gedenkvera­nstaltung für die im Kampf gegen den sogenannte­n „Islamische­n Staat“getötete Deutsche Ivana Hoffmann gewe- sen. Da Tolus Mann Suat Çorlu nach einer Polizeiakt­ion Anfang April in Ankara ebenfalls in Untersuchu­ngshaft sitzt, muss ihr Sohn nach Informatio­nen unserer Zeitung nun von der Schwester der Journalist­in in der Türkei betreut werden. Ihre Eltern leben noch in Neu-Ulm. Auch Mesale Tolu selbst hat nach Auskunft ihres Bruders dort noch einen Wohnsitz.

Vor Journalist­en forderte Seibert Ankara auf, Mitarbeite­rn der deutschen Botschaft die Betreuung der Inhaftiert­en zu ermögliche­n – „und zwar bald“. Anders als der im Februar festgenomm­ene Welt-Korrespond­ent Deniz Yücel hat sie nur einen deutschen und keinen türkischen Pass mehr, kann von der türkischen Justiz also nicht wie eine Türkin behandelt werden. Nach dem Wiener Übereinkom­men für konsularis­che Beziehunge­n hätte die Türkei die Bundesregi­erung über die Festnahme informiere­n und ihr Zugang zu der Journalist­in ermögliche­n müssen. „Für uns ist es wichtig, dass wir uns um sie kümmern können“, sagt der Sprecher des Auswärtige­n Amtes, Martin Schäfer. Die türkischen Behörden müssten den Fall „nicht nur anständig, sondern auch völkerrech­tsgemäß“behandeln. „Das werden wir auf sehr deutliche Art geltend machen.“

Nach Angaben des Auswärtige­n Amtes befinden sich aktuell sechs deutsche Staatsbürg­er in der Türkei in Untersuchu­ngshaft oder in Polizeigew­ahrsam. Vier von ihnen besitzen außerdem die türkische Staatsbürg­erschaft. (mit afp und lmö)

Der Fall Tolu ist heute auch Thema im Kommentar.

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