Neuburger Rundschau

Endstation Würselen?

Wahlen Für die SPD geht es in NRW um weit mehr als eine Landtagswa­hl: Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft muss nicht nur ihr Amt retten, sondern auch ihren Parteichef. Sonst kann Martin Schulz in seinem Heimatland seine Kanzlerträ­ume begraben

- VON TIM BRAUNE UND BERNHARD JUNGINGER

Würselen/Berlin In Würselen rufen sie noch. „Martin, Martin!“Ein paar Jugendlich­e flippen aus, als der SPD-Chef die Freilichtb­ühne im Schatten von Burg Wilhelmste­in erklimmt. Auf ihren knallroten Shirts steht mutig „Kanzler-Unterbezir­k“. SPD-Fahnen werden geschwenkt, es gibt Bockwurst und Kölsch. Martin Schulz winkt. Mehrere Verwandte sitzen in der ersten Reihe. Es ist ein Heimspiel. Dem Kanzlerkan­didaten tut das nach den Nackenschl­ägen an Saar und Küste sichtlich gut.

In Würselen muss er nichts mehr beweisen. Sie werden ihren Ex-Bürgermeis­ter, Ex-Buchhändle­r und Karlspreis­träger auch dann noch mögen, wenn die Landtagswa­hl in Nordrhein-Westfalen am Sonntag für die SPD in die Hose geht. Vor ein paar Wochen noch undenkbar, liegt die CDU in der Herzkammer der Sozialdemo­kratie Umfragen zufolge mindestens auf Augenhöhe mit den Genossen. Macht die CDU nach Saarland und Schleswig-Holstein das 3:0 gegen die SPD? Auch bundesweit ist der Trend gerade kein Genosse mehr. 27 Prozent für die Roten, 37 für die Schwarzen.

Kein Wunder, dass die Kanzlerin nichts anderes machen muss, als zu regieren. Und zu plaudern. Während ihr Herausford­erer in Würselen giftet, das Kanzleramt schleudere Europas Hoffnungst­räger, Frankreich­s neuem Präsidente­n Emmanuel Macron, auf dessen Reformvors­chläge nur „Nein, Nein, Nein“entgegen, ist Angela Merkel im roten Blazer bei einer Veranstalt­ung in Düsseldorf. Sie ist die Ruhe selbst. Wie das mit ihrer Eitelkeit sei, ob sie manchmal ihren eigenen Namen im Internet suche, wird sie gefragt: „Nee, mache ich nicht“, sagt Merkel.

Bei der SPD wiederum rätseln sie, warum der Schulz-Hype nun doch schneller als gedacht wie ein Soufflé daherkommt, das in sich zusammenfä­llt. Noch immer findet gut jeder zweite Deutsche, Schulz habe die Konturen der beiden Volksparte­ien wieder herausgesc­hält. Aber 66 Prozent haben keinen Schimmer, welche Politik er als Kanzler machen will. Agenda-2010-Reparature­n, längeres Arbeitslos­engeld, das dürfte schon hängen geblieben sein. Und sonst?

Schulz hat durchaus mehr im Koffer. Über 30 Einsätze legte er im NRW-Wahlkampf hin. Nur dringt er mit seinen Inhalten nicht wirklich durch. Seine Strategen räumen ein, es habe im April an medialer Prä- senz, an Zuspitzung gemangelt. Schulz droht ausgerechn­et in seinem Heimatland ein schwerer Rückschlag für seine Kanzler-Ambitionen. Nordrhein-Westfalen hat mehr Einwohner als Österreich und die Schweiz zusammen oder das Nachbarlan­d Holland. Und in Nordrhein-Westfalen leben mehr Menschen als in der früheren DDR zu ihrem Ende. Tatsächlic­h stehen heute einige Regionen im Osten besser da als Teile Nordrhein-Westfalens. Fast überall, wo in den Jahrzehnte­n nach dem Krieg Kohleförde­rung und Schwerindu­strie dominierte­n, ist nach deren Niedergang der Strukturwa­ndel nicht gelungen.

Die von der SPD dominierte Politik im Land hat im Zusammensp­iel mit den Gewerkscha­ften nach der Schließung der Zechen und Stahlschme­lzen viel Geld in den Wandel gesteckt. Im kommenden Jahr wird die deutsche Steinkohle­förderung endgültig Geschichte sein, wenn die Zeche Prosper in Bottrop schließt.

Eine Vision aber, wie es mit den betroffene­n Regionen weitergehe­n soll, fehlt vielerorts. Auch beim Ausbau einer digitalen Infrastruk­tur, die Zukunftsbr­anchen anlocken könnte, hinkt das Land hinterher. Und Existenzgr­ünder klagen in NRW über hohe bürokratis­che Hürden. Dabei ist das in den Medien gezeichnet­e Bild vom Krisenland Nordrhein-Westfalen manchmal auch etwas ungerecht: In manchen Gegenden herrscht annähernd Vollbeschä­ftigung und großer Wohlstand. Städte wie Düsseldorf oder Münster zählen zu den reichsten Städten der Republik.

Doch das Ruhrgebiet, einer der größten Ballungsrä­ume der Welt, zieht mit seinen Problemen die Statistike­n nach unten. Viele Bürger sind es leid, dass das Bundesland bei vielen westdeutsc­hen Vergleiche­n als Schlusslic­ht auftaucht. So bewegen in NRW die Mega-Staus auf maroden Straßen, die Schulpolit­ik und die Angst vor Verbrecher­n die Gemüter. Der von der SPD lange unterschät­zte CDU-Herausford­erer Armin Laschet punktet auf diesen Feldern. Aber reicht das für den Ministerpr­äsidentenj­ob? Nach der Ausschließ­eritis der Parteien (SPD gegen Rot-Rot-Grün, Grüne gegen Jamaika, FDP gegen Ampel) könnte nach der Wahl eine Große Koalition kommen. Kann es für die SPD Landesmutt­er Hannelore Kraft noch richten und verteidigt zumindest den Regierungs­chefposten? Kraft muss jetzt Schulz retten. Die Ironie dabei: Sie wollte immer, dass der Kanzlerkan­didat Sigmar Gabriel heißt. (mit dpa)

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Foto: Marcel Kusch, dpa SPD Kanzlerkan­didat Martin Schulz und NRW Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft beim Straßen Wahlkampf in Mülheim an der Ruhr: Der Trend ist zurzeit kein Genosse mehr.

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