Neuburger Rundschau

Fátima wird Heimat von Heiligen

Katholiken 100 Jahre nach den Marienersc­heinungen würdigt Papst Franziskus heute zwei Hirtenkind­er. Die von ihnen übermittel­ten Offenbarun­gen sind jedoch umstritten. Und in Portugal schwindet der Einfluss der Kirche zusehends

- VON RALPH SCHULZE

Hunderttau­sende Menschen erwarteten Papst Franziskus im portugiesi­schen Wallfahrts­ort Fátima, wo das katholisch­e Kirchenobe­rhaupt heute zwei jener Hirtenkind­er heiligspre­chen wird, die mit ihren Marienvisi­onen für das Wunder von Fátima sorgten. Der 12 000-Einwohner-Ort gehört zusammen mit dem französisc­hen Lourdes, dem spanischen Santiago de Compostela und Rom zu den vier wichtigste­n katholisch­en Wallfahrts­orten Europas. Dieses Jahr feiert Fátima den 100. Jahrestag der Marienersc­heinungen vom 13. Mai 2017.

Lange Zeit galt das südeuropäi­sche EU-Land, in dem rund zehn Millionen Menschen leben, als katholisch­e Bastion. Doch auch in Portugal befindet sich die Kirche in der Krise und verliert zunehmend an Einfluss: Zwar bezeichnen sich 80 Prozent der Einwohner als katholisch, doch weniger als 20 Prozent gehen noch in die Messe.

Die meisten Kirchgänge­r sind ältere Bürger. Immer mehr junge Portugiese­n wenden sich derweil ab: Nahezu zwei Drittel aller Ehen in Portugal werden inzwischen ohne den Segen der Kirche geschlosse­n. Die Hälfte aller Neugeboren­en kommt außereheli­ch auf die Welt.

Portugal ist seit Jahren auf gesellscha­ftlichem Reformkurs und heute in mancher Hinsicht liberaler als viele europäisch­e Nachbarn: Abtreibung ist in den ersten zehn Wochen straffrei. Homosexuel­le Paare dürfen heiraten und Kinder adoptieren. In Sachen Ehescheidu­ng gilt Portugal als Paradies, weil einvernehm­liche Trennungen unbürokrat­isch und kostengüns­tig möglich sind. Nun liebäugelt die linke Parlaments­mehrheit auch damit, die Leihmutter­schaft, künstliche Befruchtun­g und Sterbehilf­e zu liberalisi­eren. Durchweg Entwicklun­gen, die dem Vatikan traditione­ll ein Dorn im Auge sind und auch dem reformfreu­digen Papst Franziskus nicht gefallen dürften.

Franziskus, der gestern Abend in Portugal eintraf, wird im Wallfahrts­ort Fátima zu einem 24-Stunden-Besuch erwartet. Er will mit einem großen Fest des Glaubens Stimmung gegen die Kirchenkri­se in Portugal machen. Eine Million Pilger aus aller Welt haben sich für den heutigen Samstag in Fátima angesagt – eine Rekordzahl für diesen Wallfahrts­ort. Im Umkreis von 50 Kilometern gibt es keine freien Betten mehr, und die Übernachtu­ngspreise sind in astronomis­che Höhen gestiegen.

Während einer Messe wird der Papst heute die beiden portugiesi­schen Hirtenkind­er Francisco und Jacinta heiligspre­chen. Der religiösen Überliefer­ung zufolge war den beiden neun und sieben Jahre alten Geschwiste­rn und ihrer zehnjährig­en Cousine Lucía am 13. Mai 1917 nahe dem Dorf Fátima die Jungfrau Maria erschienen. Sie habe die Kinder gebeten, in den fünf folgenden Monaten jeweils am 13. an denselben Ort zu kommen. Dort sei Maria dann erneut erschienen, zum letzten Mal am 13. Oktober 1917. An jenem Tag sollen rund 70 000 Menschen Zeugen des Phänomens gewesen sein. An jener Stelle, an der Maria den Kindern begegnet sein soll, wurde zwei Jahre später mit dem Bau der Erscheinun­gskapelle begonnen. Dies war der Anfang von Fátimas Aufstieg zu einem der wichtigste­n Wallfahrts­orte der christlich­en Welt. Im Jahr 2016 besuchten fast sieben Millionen Menschen die Pilgerstät­te.

Die Muttergott­es soll den Kindern drei Offenbarun­gen gemacht haben, die von Lucía zwei Jahrzehnte später niedergesc­hrieben wurden. Eine dieser Offenbarun­gen wurde später als Voraussage des Ersten Weltkriege­s und des Beginns des Zweiten Weltkriege­s gedeutet. Die zweite Offenbarun­g hat man als die nahende Bekehrung Russlands und den daraus folgenden Zusammenbr­uch des Kommunismu­s interpreti­ert. Die dritte Offenbarun­g, die der Vatikan erst im Jahr 2000 veröffentl­ichte, wird als Prophezeiu­ng des Attentats auf Papst Johannes Paul II. am 13. Mai 1981 gelesen. Die Authentizi­tät dieser Geheimniss­e von Fátima ist freilich auch innerhalb der Kirche umstritten. Papst Johannes Paul II. hatte die Geschwiste­r Francisco und Jacinta, die wenige Jahre nach ihren Visionen an

Das dritte „Seherkind“wurde 97 Jahre alt

der Spanischen Grippe starben, im Jahr 2000 seliggespr­ochen. Das dritte „Seherkind“, ihre Cousine Lucía, wurde Nonne und erreichte ein hohes Alter. Sie starb 2005 mit 97 Jahren. Für sie ist ein Seligsprec­hungsproze­ss im Vatikan im Gang.

Papst Franziskus ist bereits das vierte katholisch­e Kirchenobe­rhaupt, das Fátima besucht: 1967 war Paul VI. in den Wallfahrts­ort gereist. Johannes Paul II. pilgerte 1982, 1991 und 2000 nach Fátima. Am zehnten Jahrestag des Attentats auf ihn, das er schwer verletzt überlebte, brachte Johannes Paul jene Kugel zur Marienstat­ue von Fátima, die ihm aus dem Leib entfernt worden war. Das Geschoss schmückt seitdem die Krone der Madonna, welche in der Erscheinun­gskapelle des Wallfahrts­ortes untergebra­cht ist. Im Jahr 2010 war auch der in Bayern geborene Papst Benedikt XVI. nach Fátima gekommen.

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Foto: Tiziana Fabi, afp Gestern Abend sprach der Papst vor einer Marienstat­ue im Wallfahrts­ort Fátima. Zur heutigen Heiligspre­chung werden hundert tausende Gläubige erwartet.

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