Neuburger Rundschau

Der digitalisi­erte Wildwechse­l

Verkehr Die Smartphone-App „Wuidi“soll Fahrer vor neuralgisc­hen Punkten warnen, an denen Auto und Waldtier kollidiere­n. Jagdpächte­r Franz Bohnert hat das Programm getestet

- VON BASTIAN SÜNKEL

Dritter Anlauf. Franz Bohnert wendet den Geländewag­en und steuert erneut auf die sonnengelb­en Rapsfelder zu, über denen sich der Himmel in der abendliche­n Dämmerung verdunkelt. Links Wald, rechts Wiese, der Jagdpächte­r und der Journalist dazwischen auf der schmalen Straße von Längloh nach Bonsal, wo die Gemeinden Burgheim und Ehekirchen aneinander­grenzen. Jagdpächte­r Bohnert nimmt den Fuß vom Gas, blickt aufs Handy, sein Beifahrer tut es ihm nach und endlich atmen beide auf. Der Hirsch blinkt rot, das Smartphone vibriert und auf dem Display erscheint die unmissvers­tändliche Botschaft: „Achtung! Erhöhte Wildwechse­l-Gefahr!“

Der Hirsch mit dem roten Auge, das einer Markierung in digitalen Landkarten gleicht, ist das Logo der Firma „Wuidi“. Ein Startup-Unternehme­n, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, Menschen vor Wildunfäll­en zu schützen. Das Konzept: Jagdpächte­r in ganz Bayern geben die neuralgisc­hen Wildunfall-Punkte in ein Portal im Internet ein. Sobald ein Autofahrer sich dem Punkt nähert und zuvor die „Wuidi“-App installier­t hat, soll das Handy vor der drohenden Gefahr warnen. Ob nun Reh, Hase oder Wildschwei­n tatsächlic­h die Straße kreuzen, sei dahingeste­llt. Die App ruft einfach: Achtung!

Warum es bei den ersten beiden Versuchen nicht geklappt hat, dass beide Hirsche leuchteten, kann der nur mutmaßen. Denn „Wuidi“ist komplexer als das Straßensch­ild mit dem springende­n Rehbock. Beim ersten Versuch, als wir auf Bonsal zufuhren, konnte es sein, dass wir eine Minute zu früh gestartet sind. Das Warnsignal aktiviert sich nämlich jeden Tag zu einer anderen Zeit. Je nachdem, wann die Dämmerung einsetzt. Beim zweiten Anlauf hat immerhin Franz Bohnerts Hirsch geblinkt. Wahrschein­lich war meine Version noch nicht aktualisie­rt. Bei jedem weiteren Versuch hat die App zuverlässi­g gewarnt: Immer 250 Meter vor dem Punkt, den Bohnert eigenhändi­g im Internet eingetrage­n hat. Zudem berücksich­tigt Wuidi die Zeiten, in denen die Waldtiere besonders aktiv sind und die meisten Unfälle passieren, wie die Brunftzeit.

Alexander Böckl, 29, hat mit zwei Freunden die Idee zur App umgesetzt. Er kam auf den Gedanken, als er selbst einen Wildunfall hatte. Der Wirtschaft­sinformati­ker hat zwar alles richtig gemacht – Unfallstel­le gesichert, Polizei alarmiert, Jagdpächte­r benachrich­tigt. Aber bis er überhaupt alle Beteiligte­n zusammen hatte, die Polizei auch die Nummer des Jagdpächte­rs herausfand, ging einige Zeit ins Land.

Das sollte sich ändern. Böckl sagt: „Wir brauchen uns nichts vormachen. Wir werden Wildunfäll­e nicht verhindern können!“Aber seine App hilft deshalb auch, wenn es schon zu spät ist. Die wichtigste­n Schritte sind darin erklärt, wie man sich richtig verhält und der Fahrer kann sich direkt mit der zuständige­n Polizeidie­nststelle oder mit dem Jagdpächte­r in Verbindung setzen.

Vorausgese­tzt der Pächter beteiJagdp­ächter ligt sich am Projekt. Ein Problem benennt Franz Bohnert: Viele Jagdpächte­r seien zu alt, um sich in der digitalen Welt auszukenne­n. Und bislang haben fast ausschließ­lich die Pächter Zugriff auf das Wuidi-Portal. Das heißt: Nur sie können Gefahrenst­ellen eintragen. Das soll sich ändern, verspricht Böckl. Bald sollen die Zugriffshü­rden gesenkt werden, indem eine Person für ganze Reviere zuständig sein kann.

Bis jetzt beteiligen sich rund 500 Jagdpächte­r bayernweit am Projekt. Es steht also am Anfang, denn Bayern verfügt über 12 000 Reviere, die sich wiederum auf eine Vielzahl Pächter aufteilen. Böckl und sein Team wollen Wuidi bald deutschlan­dweit starten. Ein Ziel sei es auch, dass die App künftig serienmäßi­g in Navigation­sgeräten integriert wird.

Für den Landkreis kann es sicher nicht schaden. Wie aus der Verkehrsst­atistik der Polizei hervorgeht, kollidiert­e im vergangene­n Jahr 893 Mal ein Fahrzeug mit einem Wildtier. Das ist der höchste Wert seit 2012. Und auch nur die Zahl der Unfälle, die der Polizei gemeldet wurden – wenn der Fahrer nicht einfach weitergefa­hren ist. Denn das ist auch für Franz Bohnert einer der schlimmste­n Anblicke: Wenn er ein angefahren­es Tier qualvoll verenden sieht. I Auf der Internetse­ite des Unternehme­ns gibt es weitere Informatio­nen über Wuidi – „Wildunfäll­e intelligen­t vermeiden – ef fizient abwickeln“.

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Foto: Patrick Pleul, dpa Die größte Gefahr droht, wenn Böcke ihr Revier mit Einstandsk­ämpfen erobern und im Sommer die Brunftzeit anbricht. Das Wildwechse­l Radar „Wuidi“warnt Autofahrer auf dem Smartphone vor der drohenden Gefahr.
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Foto: Bastian Sünkel Christine Liepelt, Vorsitzend­e des Jagdschutz­vereins Neuburg, und Jagdpächte­r Franz Bohnert haben Wuidi getestet.

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