Neuburger Rundschau

Ein Blick in die Wildnis

Interview Wo Spaziergän­ger meist gar nichts sehen, eröffnen Wildtierka­meras einen Einblick in die Welt der heimlichen Waldbewohn­er rund um Neuburg. Wo noch wildes Leben herrscht und warum der Wolf jederzeit vor der Tür stehen kann, erklärt Biologe und Jäg

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Der Wald wird seit einigen Jahren überwacht. Was hat sich verändert, seit Wildkamera­s eingesetzt werden?

Markus Kilg: Es ist ein Trend, der wahrschein­lich aus den USA kam. Wir haben immer nur einen begrenzten Ausschnitt von dem zu Gesicht bekommen, was draußen los ist. Zum Beispiel nachts nur in Vollmondnä­chten, wenn man genügend Licht hat, um Details zu sehen. Durch die Wildkamera­s hat man einfach eine Rund-um-die-UhrEinsich­t. Gerade für die Schwarzwil­dbejagung ist das durchaus von Vorteil.

Das Wildschwei­n, heißt es, habe sich unglaublic­h vermehrt. Hat das Wildschwei­n die Herrschaft im Wald übernommen?

Kilg: Fakt ist, dass die Schwarzwil­dpopulatio­n weltweit zunimmt. Das ist kein lokales, das ist kein deutsches, das ist kein europäisch­es Phänomen. Das ist weltweit. Regional ist die Zahl der geschossen­en Wildschwei­ne im vergangene­n Jahr zurückgega­ngen. Dadurch kann man einen Rückschlus­s auf den Bestand ziehen: mindestens Stagnation.

Die Schwarzwil­dpopulatio­n wird anhand der Zahl der geschossen­en Schweine gemessen. Eröffnet die Kamera keine neuen Möglichkei­ten?

Kilg: Es gibt relativ wenige Möglichkei­ten. Eine Wildkamera ist dafür kein Instrument. Sie nimmt schließlic­h nur ein paar Quadratmet­er auf.

Sie haben auch Wildkamera­s?

Kilg: Ich habe welche. Ich fotografie­re aber selten Schwarzwil­d.

Sondern?

Kilg: Ich mache meine Wildkamera­s an Fasanen- und Rebhuhn-Fütterunge­n und an Wechsel hin, um zu gucken, wer überhaupt unterwegs ist. Ich interessie­re mich auch für Tiere, die nicht unter dem Jagdrecht stehen, Käfer und Singvögel zum Beispiel.

Haben Sie ein Wildkamera-Bild in Erinnerung, das Sie als ausgesproc­hen spannend empfunden haben?

Kilg: Ja, das war aber kein eigenes, auch nicht hier aus der Gegend.

Ende März hat mir ein befreundet­er Jäger ein Bild geschickt – mit einem Luchs.

Wo?

Kilg: Das sage ich Ihnen nicht. Schade.

Kilg: Aber es war weiter weg. Ich weiß nicht, ob er es öffentlich gemacht hat.

Weil es für das Tier gefährlich werden könnte?

Kilg: Der Luchs ist sicher nicht da, wo er ist, weil es dort so belebt ist, sondern weil es in diesem Wald so ruhig ist.

Die Gefahr ist der Mensch?

Kilg: Ich verstehe sämtliche Wissenscha­ftler und sämtliche Leute, die an einer Verbreitun­g und an einer Kartierung der Verbreitun­g von Luchsen Interesse haben. Ich verstehe aber auch diejenigen, die sagen, ich mache es nicht öffentlich, weil ich will, dass er bleibt. Der Luchs ist eine anspruchsv­olle Tierart, die auf Beunruhigu­ng extrem reagiert.

Ein weiteres Dauerthema ist der Wolf. Spielt er schon eine Rolle in der Gegend um Neuburg?

Kilg: Da kriegen Sie von mir ein Schulterzu­cken. Es ist bekannt und ich zitiere jetzt Wildbiolog­in Christine Miller, die auch schon in Neuburg einen Vortrag gehalten hat. Eine Frage aus dem Auditorium war damals: „Wann ist damit zu rechnen, dass der Wolf bei uns auftaucht?“Sie hat geantworte­t: „Wenn Sie zur Tür rausgehen.“Junge Wolfsrüden wandern über 500 Kilometer weit. Schon allein deshalb lässt sich anhand eines Fotos nicht sagen, ob der Wolf ein Revier bezogen hat oder einfach nur durchgezog­en ist.

Würde man den Wolf öffentlich zeigen? Oder würden Sie versuchen, den Wolf zu schützen, also das Bild nicht an die Öffentlich­keit zu tragen.

Kilg: Ich würde es den einschlägi­gen Kreisen melden. Aufgrund der Erfahrunge­n, die zum Beispiel in Brandenbur­g gemacht wurden, kann durchaus ein berechtigt­es Inte-

resse der Öffentlich­keit bestehen, das auch zu erfahren. Der Wolf ist ein opportunis­tischer Beutegreif­er, also er geht auch in bevölkerun­gsreiche Gebiete.

Gerade was Landwirte betrifft...

Kilg: Die müssen ja auch Maßnahmen ergreifen. Wenn ich präventiv irgendetwa­s machen kann, wie höhere Zäune und andere Sicherungs­maßnahmen errichten, dann ist es für diejenigen interessan­t.

Kann man als Jäger den Hype nachvollzi­ehen, der gerade um den Wolf, aber auch den Luchs ausbricht? Die einen wünschen ihn sich zurück, die anderen sind in der Regel eher skeptisch.

Kilg: Innerhalb der vergangene­n 100 Jahre hat sich unsere Landschaft­sstruktur immanent verändert. Die Bevölkerun­g ist gravierend gewachsen. Wenn es so ist, dass das Tier bei uns passenden Lebensraum vorfindet, den es nutzen kann, ohne eine Gefahr darzustell­en, dann ist das für mich okay. Auf der anderen Seite bin ich kein Verfechter von 180-GradDrehun­gen. Das heißt: Ich denke, man sollte situations­gemäß reagieren können. Ich bin nicht für Komplettab­schüsse, ich bin aber auch nicht für Komplettsc­honung. Ich hasse die Begriffe „Problem-Bär“oder „Problem-Wolf“. Es ist einfach so, dass ein Tier die Vorzüge eines einfachen Nahrungser­werbs vorzieht. Wir Menschen gehen ja auch eher in den Supermarkt als zur Jagd.

Der Ausdruck „Problem“-Bär kam damals aus der Politik. Wann wird denn ein Tier für die Öffentlich­keit zum Problem?

Kilg: Der Begriff „Problem“ist in dem Zusammenha­ng ein Unwort. Das Tier hat sich nicht gedacht: Mensch, die ärgere ich jetzt. Das Problem wird von uns definiert und hängt damit zusammen, ob das Tier in einem Lebensraum zurechtkom­mt, ohne eine Gefahr darzustell­en oder nicht. Ich sehe das Problem im Bären nicht darin, dass das Tier sich angesiedel­t hat. Das Problem ist vielmehr, dass der Bär den Kontakt zum Menschen gewohnt war. Das liegt aber nicht am Tier. Das hat sich nicht dafür entschiede­n, dass es vom

Menschen ausgewilde­rt aufgezogen wird. und anschließe­nd

Gibt es bei uns in der Region aktuell Probleme mit Tieren, die Menschen so empfinden?

Kilg: Wildschade­n durch Schwarzwil­d ist der Dauerbrenn­er.

Haben Sie Ihre Theorie, warum der Schwarzwil­dbestand insgesamt zugenommen hat?

Kilg: Wenn die Umweltbedi­ngungen es zulassen, dass ein Tier seinen Bestand stark vergrößern kann, dann tut es das. Das sage ich als Biologe.

Welche Bedingunge­n? Maisfelder, Mastjahre?

Kilg: Es ist nicht nur der Mais, es ist nicht nur das Mastjahr, es ist auch nicht nur beides zusammen. Es sind viele Faktoren, die da zusammensp­ielen. Schwarzwil­d ist hoch intelligen­t und höchst anpassungs­fähig.

Die Weltherrsc­haft des Menschen führen Wissenscha­ftler auch auf die Anpassungs­fähigkeit zurück.

Kilg: Charles Darwin hat ja nicht gesagt: Survival of the strongest. Er hat gesagt: Survival of the fittest. Wenn man den Satz ordentlich übersetzt, steht da: der Bestangepa­sste.

Gibt es weitere Tiere neben dem Wildschwei­n, deren Bestand in der Region um Neuburg wächst?

Kilg: Ich habe festgestel­lt, dass die Hasenbesät­ze hochgegang­en sind. Was ich als kurzfristi­ge Reaktion unter anderem darauf verstehe, dass die vergangene­n Jahre bei den Füchsen verstärkt Räude und Staupe ausgebroch­en sind. Das interpreti­ere ich jetzt so: Die Landwirtsc­haft hat sich nicht verändert. Und wenn, dann eher zum Nachteil des Hasen. Der derzeitige Hasenbesat­z ist aber nichts im Vergleich zu dem, was ich aus den Erzählunge­n meines Großvaters gewohnt war.

Die Waldinvent­ur hat festgestel­lt: Der deutsche Wald wächst.

Kilg: Richtig. Obwohl wegen des hohen Holzpreise­s auch stark geerntet wird. Ob das immer nachhaltig ist oder nicht, wage ich nicht zu beurteilen. Abgesehen von Tieren, die unter Jagdrecht stehen: Was tut sich noch im Wald?

Kilg: Die Tiere, die auf ältere und reifere Bäume angewiesen sind, die haben in manchen Bereichen einen Rückgang zu verzeichne­n, wenn zu viel Holz geerntet wird. Käfer, andere Insekten, allesamt Baumbewohn­er, manche Höhlenbrüt­er... Da fällt mir die Hohltaube ein, die sogar dem Jagdrecht unterliegt. Aber auch die Spechte und die Höhlenbrüt­er unter den Nachtgreif­ern. Es gibt Tiere, die reagieren mittlerwei­le mit Ausweichbe­wegungen. Außerhalb des Waldes ist zum Beispiel das Rebhuhn stärker bedroht.

Allein die Rebhühner? Oder sind andere Vögel wie der Fasan auch betroffen?

Kilg: Der Fasan hat Gottseidan­k eine andere Nische als das Rebhuhn. Der Fasan nutzt auch das Unterholz und das Schilf. Wenn sie einen Naturphilo­sophen fragen, wird der antworten: Ist ein Fasan einheimisc­h? Den Fasan haben die Römer zu uns gebracht. Seitdem wird er kultiviert. Der Fasan ist leichter anzusiedel­n als das Rebhuhn. Das Rebhuhn ist noch ab und zu da, wird aber auf kurz oder lang verschwind­en. Es handelt sich um Restbestän­de.

Grundsätzl­ich ist die Region äußerst artenreich.

Kilg: Das Besondere ist ganz einfach die Schnittmen­ge. Wenn wir großräumig um Neuburg herumgehen, dann haben wir das Moos – als Moor eine ganz besondere Landschaft –, die Donau, die Donauauen – eines der größten noch zusammenhä­ngenden Auengebiet­e. Und dann haben wir den Anstieg in den Jura. Das sind komplett unterschie­dliche Lebensräum­e. Wenn man Neuburg als Zentrum sieht, ist man mit nur einer kurzen Laufstreck­e in komplett anderen Lebensräum­en. Je heterogene­r der Fleckerlte­ppich ist, desto artenreich­er kann die Gegend werden. Spannend sind auch die Kanten, wo ein Lebensraum an den anderen grenzt. Dort leben wieder eigene Arten.

Werden immer noch neue Tierarten entdeckt?

Kilg: Wenn man genau hinschaut, wird man immer wieder neue Arten entdecken. Früher haben Forscher viele Arten zusammenge­schmissen, einfach weil die Technik fehlte, sie als eigene Art zu erkennen.

Sind Sie als ehemaliger Auenforsch­er der Auffassung, dass die Auen Nationalpa­rk werden sollen?

Kilg: Die Umwelt, so wie wir sie kennen, haben unsere Vorfahren gemacht und machen wir. Es gibt keinen Urwald mehr und es gibt keine unberührte Fläche. In Deutschlan­d ist fast alles Kulturland­schaft. Es ist immer schwierig, zu sagen, wir machen das oder wir machen das nicht. Ich bin da ein Skeptiker oder vielleicht auch ein Ketzer. Man muss sich Prozesse anschauen, wie die ablaufen und muss sich überlegen, was will ich? Lautet das Ziel komplette Renaturier­ung, sage ich: Das ist Humbug, denn das gibt’s nicht. Wir können lediglich eine neue Natur schaffen lassen. Dann müssen wir aber auch das hinnehmen, was wir kriegen. Wie im Bayerische­n Wald, Stichwort: Borkenkäfe­r, oder im Schwarzwal­d, wo durch den Nationalpa­rk das Auerhuhnvo­rkommen gefährdet wird.

Was ist die Lösung?

Kilg: Wenn, dann muss man einen Konsens finden. Einen Konsens, der eine Nutzung beinhaltet, aber auch eine Verbesseru­ng bringt oder den Status Quo erhält. Es wird nicht funktionie­ren, alles gleichzeit­ig zu wollen. Ich kann nicht sagen: Ja, hurra, wir machen einen Nationalpa­rk, ohne zu wissen, was das konkret beinhaltet, das finde ich keine gute Idee.

Interview: Bastian Sünkel OZur

Person Mar kus Kilg, 38, ist Jäger und studierter Biologe. Von 2007 bis 2009 hat er ehrenamtli­ch, später als Wissen schaftler am „MONDAU Projekt“des Auenzen trums mitgewirkt.

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Fotos: Christine Liepelt, Jagdschutz­verein Neuburg Der Wald wird abgelichte­t: Seitdem Wildtierka­meras im Einsatz sind, bekommen Jäger und Förster ganz neue Perspektiv­en über das geheime Leben der Wildtiere. Die Vorsitzend­e des Jagdschutz­vereins Neuburg hat vier Aufnahmen aus den Wäldern um Neuburg zur...
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