So stolz und so kühn
Mein erstes Fahrrad: ein Zauberding, auf dem Kinder die Welt erobern. Geschichten und Bilder vom Loskommen
Das erste Fahrrad! Die Freiheit, sich aufzumachen, aus eigener Kraft die Welt da draußen zu erobern! Das Kind tritt in die Pedale, die eigene Straße wischt vorbei. Dann sind die Eltern außer Sichtweite, und du sitzt fest im Sattel und immer sicherer, kühner! Ein glänzendes Zauberding ist dieses erste eigene Fahrrad, ein großes Geschenk – wann später erlebst du noch einmal so viel Übermut, so viel Stolz, so viel Abenteuerlust, so viel Wunder an Loskommen? Nichts kann so sein wie dieser Fahrtwind der Kindheit, der uns als Erinnerung durchs ganze Leben tragen kann. Wie groß die Welt ist, dein Viertel, dein Dorf! Welche Einladung und Verlockung das Fahrrad darstellt, sich vorzuwagen und zu entdecken, was um die nächste Ecke kommt und darüber hinaus. Mit Hurra und ohne Helm.
Alles, was danach fährt, ist im Grunde nur noch eine Wiederholung in anderer Form. Auch schön, klar – aber nicht mehr von dieser elementaren Wucht. Das erste Moped, das erste Auto – ersehnt, aber der Sog, die Ungeheuerlichkeit des Dahinrollens mit den Kumpels, den Freundinnen, der Bande, der kontrollierte Ausbruch aus dem Behütetsein, das bleibt einmalig. Weil das Fahrrad das erste Versprechen ist, das das Kind sich selbst einlösen kann. Du wirst Handelnder in der Welt, erfährst dich als Herr des eigenen Schicksals. Du bestimmst das Tempo, du bestimmst, wo es langgeht… Die Fotos auf diesen Journal-Seiten erzählen genau davon. Glück in den Gesichtern, so etwas wie Wagemut und das Staunen über die eigenen Möglichkeiten. Das Fahrrad als Schlüssel zur Lausbubenhaftigkeit. Besitzerstolz. Emanzipation – mit dem Fußball auf dem Gepäckträger, den Fransen am Lenker, dem ersten Rückspiegel, den Katzenaugen.
Es gibt ein schönes Lied des Holländers Herman van Veen, das dieses magische Davonfahren in eine größere, andere Welt poetisch besingt. Es beginnt so: „He, kleiner Fratz auf dem Kinderrad, gekonnt hältst du die Balance. Mit den Haaren im Wind, auf den Wangen die Sonne, saust du vorbei wie der Blitz… flitz!“Mögen die Touren, die man als Jugendlicher oder später als Erwachsener unternimmt, mit anderen, größeren Fahrrädern, 24Gängen, Alurahmen etc. weiter, exotischer sein – vom Zauber des Anfangs, wenn die Zehenspitzen gerade so auf die Pedale reichen, nimmt das nichts. So endet van Veens Lied: „He, süßer Fratz auf dem kleinen Rad, du strampelst so stolz und so kühn. Schlingerndes, blinkendes Kinderrad, weißer Tupfer im Grün. Du fährst und fährst und wirst immer kleiner, plötzlich bist du einfach weg… weg.“Michael Schreiner
Herzlichen Dank allen Leserinnen und Lesern für die wunderbaren Fotos und Erinnerungen. Leider konnten wir nur einen Teil der vielen hundert Einsendungen abdrucken. Unser Dank gilt allen, die sich beteiligt haben.