Sein Hobby: Müll sammeln
Silberdistel Xaver Zeller befreit Wegesränder von Plastikbechern, Chipstüten und Altpapier. Gleichzeitig sorgt der Wildpoldsrieder dafür, dass altes Wissen nicht in Vergessenheit gerät
Ein leerer Joghurtbecher am Straßenrand – Xaver Zeller sieht ihn, bremst und steigt von seinem Mountainbike. Der Mann mit der roten Regenjacke steckt den Müll in eine weiße Plastiktüte, schwingt sich wieder aufs Rad und fährt weiter. Regelmäßig macht der Rentner aus Wildpoldsried (Landkreis Oberallgäu) Wegesränder sauber. Doch so, wie er dafür sorgt, dass Abfall aus der Natur verschwindet, so kümmert er sich auch darum, dass anderes sichtbar wird: Erinnerungen, Historisches, Besonderes. Für seinen langjährigen ehrenamtlichen Einsatz erhält er nun die Silberdistel, eine Auszeichnung unserer Zeitung für gesellschaftliches Engagement.
Mit einer alten Kaffeemaschine am Waldrand hat alles angefangen. Das war vor etwa 40 Jahren, so genau weiß der heute 72-Jährige das nicht mehr. Aber er erinnert sich noch genau an das mitten in der Natur ausrangierte Gerät. Der Oberallgäuer ist einmal daran vorbeigekommen, dann ein zweites Mal. Beim dritten Mal schließlich – er fuhr gerade mit seiner Frau und den drei Kindern zum Baden – da blieb er stehen, packte die Kaffeemaschine in den Kofferraum und entsorgte sie später. Als Zeller das erzählt, lacht er und sagt am Ende: „Ich bin ein Spinner, ich weiß.“
Seit drei Jahren dreht er nun re- gelmäßig mit dem Fahrrad seine Müll-Runden, fast jede Woche einmal. Meist bringt er eine volle Einkaufstasche mit nach Hause, wo er den Abfall dann trennt. Zeller zieht eine leere Chipstüte heraus und hält sie in die Höhe. „Wissen Sie, das liegt in der Natur – so ein Zeug!“
Eine weitere Bezeichnung über sich selbst – neben „Spinner“– fällt beim Gespräch mit ihm ebenfalls öfter: „Ich bin ein begeisterter Rentner“, sagt der Oberallgäuer, der mit seiner Frau gern in die Berge geht und regelmäßig radelt. Und dann nennt er sich noch „Hobbychronist“. Denn Zeller schraubt Infotafeln an, macht Verborgenes sichtbar und pflegt, was längst in Vergessenheit geraten ist.
Es tröpfelt leicht, als er vor einem Gedenkkreuz steht. 1998 ist an dieser Stelle ein 38-jähriger Mann bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Als Zeller kürzlich bei einer heimatkundlichen Wanderung eine Gruppe an dieser Stelle vorbeiführte, fiel ihm auf, dass das Holzkreuz anfing zu faulen und der wenige Schritte lange Weg dorthin zugewachsen war. Einige Tage später kieste er den Weg neu und brachte eine Steinplatte am Kreuz an. „Das war nichts Besonderes, keine große Sache“, sagt er. „Man muss es nur tun.“
Von Dingen, die der vierfache Opa einfach getan hat, gibt es eine lange Liste. Da sind die Nagelfluhfelsen aus der Eiszeit, die er vom Wildwuchs befreit und damit sichtbar gemacht hat. Da sind die Sitzbänke, die er entlang von Wegesrändern aufgestellt oder erneuert hat. Da sind verschiedene Schilder, wie jenes auf einer Anhöhe in Wildpoldsried, das darauf aufmerksam macht, dass dort einst eine Skisprunganlage stand.
„Ich gehe mit offenen Augen durch die Gegend“, sagt Zeller. „Ich sehe Sachen, die andere nicht sehen.“Weil so viel in Vergessenheit gerate, kümmere er sich darum, auf besondere Orte oder Ereignisse aufmerksam zu machen.
Als er das Gedenkkreuz in einem Waldstück in Wildpoldsried wieder hergerichtet hatte, kam er am nächsten Tag noch einmal vorbei. Frisch gepflanzte Blumen blühten am Fuße des Kreuzes. „Ich weiß nicht, wer das war“, sagt Zeller. Aber es freut ihn.
Genauso wie es ihn freut, dass es im Ort mittlerweile mehrere gibt, die Müll einsammeln. Zeller lächelt. „Es sind oft die Kleinigkeiten im Leben...“