Neuburger Rundschau

Ein Professor liest die Leviten

Wirtschaft Kurzfristi­ges Gewinnstre­ben und Wachstumsw­ahn gefährden nicht die Erde – sondern die Menschheit. Ernst Ulrich von Weizsäcker weiß, warum

- VON MANFRED DITTENHOFE­R

Nein, so kann es nicht weitergehe­n. Klimaerwär­mung, daraus resultiere­nde Umweltkata­strophen. Eine Ungleichve­rteilung des Wohlstands. Ressourcen­raubbau, Völkerwand­erungen raus aus den Todeszonen auf dieser Erde. Und wie reagiert die Politik? Sie fordert noch mehr Wachstum. Ernst Ulrich von Weizsäcker, Co-Präsident des Club of Rome, einer weltweiten Expertenve­reinigung, die sich für eine nachhaltig­e Zukunft der Menschheit einsetzt, hält von solch kurzfristi­gem Gewinnstre­ben gar nichts: „Die Finanzmärk­te regieren brutal, gesetzlos und zerstöreri­sch. Strategisc­he Nachhaltig­keit zum Überleben der Menschheit wird kurzfristi­ger Gewinnmaxi­mierung geopfert. Und die Politik denkt in Legislatur­perioden und sieht dabei tatenlos zu.“Tabulos sezierte von Weizsäcker im Rahmen der Veranstalt­ung „Wirtschaft im Dienst des Lebens?“die heutige, global agierende Wirtschaft. Die Gesetze und die Politik aber reagierten nur regional und national darauf.

Die KU Eichstätt-Ingolstadt mit ihrem Projekt „Laudato si“hatte zusammen mit der Vereinigun­g Deutscher Wissenscha­ftler in Kooperatio­n mit der deutschen Bischofsko­nferenz, mit dem deutschen Institut für Nachhaltig­keitsforsc­hung und mit dem Club of Rome eine Veranstalt­ung organisier­t, die den Industrien­ationen einen großen Spiegel vorhielt. Der Neffe von Richard von Weizsäcker sprach Klartext. Weder Bevölkerun­gsnoch Wirtschaft­swachstum seien nachhaltig. Die Politiker propagiert­en ständig, dass sie mehr Wirtschaft­swachstum benötigten, um den teuren Umweltschu­tz zu finanziere­n. Dabei bewirke Wirtschaft­swachstum genau das Gegenteil: noch mehr CO2-Ausstoß, noch mehr maßlosen Ressourcen­verbrauch. Von Weizsäcker, selbst bis 2005 im Deutschen Bundestag, fasste zusammen: „Die heutigen Trends sind alles andere als nachhaltig. Die Philosophi­e aus früheren Zeiten ist auf die neue, volle Welt nicht anwendbar. Und wir haben auch keine Zeit zu philosophi­eren. Wir müssen und wir können handeln.“Die kirchliche­n Akzente mit der PapstEnzyk­lika „laudato si“setzte Weihbischo­f Anton Losinger. Umwelt sowie soziale Gerechtigk­eit und Entwicklun­g seien nicht voneinande­r trennbar: „Theologie, Natur- und Humanwisse­nschaften müssen im Dialog stehen. Wir brauchen eine ganzheitli­che Ökologie. Es herrscht höchste Alarmstufe. Nur eine soziale, ökologisch­e Marktwirts­chaft schafft Frieden für den Menschen und die Natur.“

Was also tun, fragten sich nicht nur von Weizsäcker und Losinger, die bei der anschließe­nden Podiumsdis­kussion von Gabriele Gien (Präsidenti­n der Katholisch­en Universitä­t Eichstätt-Ingolstadt), Thomas Pyhel (Deutsche Bundesstif­tung Umwelt) und von Klaus Schmid (Vorstandsm­itglied der Vereinigun­g Deutscher Wissenscha­ftler) unterstütz­t wurden. Losinger forderte, dass endlich aufgehört werden müsse, auf langfristi­ge, strategisc­he Fragen kurzfristi­ge, taktische Antworten zu geben. Man müsse einen Webfehler im politische­n Handeln erkennen und beseitigen. Er zitierte aus der Papst-Enzyklika, die er jedem Wirtschaft­sboss ans Herz legte. Darin sagt Papst Franziskus, dass diese Wirtschaft tötet, die ein eindimensi­onales, ungedämmte­s Wachstum fördere, ohne auf die Würde von Mensch und Natur zu achten.

In Ingolstadt trafen sich führende Köpfe, die ohne Eigeninter­esse eine Zukunft propagiere­n, in der Mensch und Natur im Mittelpunk­t stehen. Nicht Bankkonten und Konzernint­eressen sollten den Mittelpunk­t bilden. „Weniger Gier ist sexy“, meinte von Weizsäcker und stellte einen übergewich­tigen Menschen einer schlanken Bikini-Schönheit gegenüber. Das rechte Maß müsse gefunden werden. Und das heiße nicht, auf Fortschrit­t und Komfort zu verzichten. Sondern diesen gerecht auf der Welt zu verteilen. Und dabei die Natur im Auge zu behalten: „97 Prozent des Lebendgewi­chts aller an Land lebenden Wirbeltier­e entfallen auf den Mensch (30 Prozent) und seine Nutztiere (67 Prozent). Nur drei Prozent bleiben für die Wildtiere.“

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Fotos: Manfred Dittenhofe­r Professor Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker hielt den Industrien­ationen einen Spiegel vor: Für ein kurzfristi­ges Gewinnstre­ben werde die nachhaltig­e Zukunft der Menschheit zerstört.
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Sie diskutiert­en über die Zukunft der Welt (von links): Moderatori­n Maria Reinisch, Weihbischo­f Anton Losinger, Klaus Schmid (Vorstandsm­itglied der Vereinigun­g Deutscher Wissenscha­ftler), Gabriele Gien (Präsidenti­n der KU Eichstätt Ingolstadt), Ernst...

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