Das mächtigste Büro Amerikas
Politik Trump wollte dieses „Russland-Ding“beenden. Und hat den FBI-Chef gefeuert. Jetzt hat er einen Skandal am Hals – und noch dazu einen einflussreichen Gegner. Denn die FBI-Ermittler haben schon einmal einen Präsidenten zu Fall gebracht
Es herrscht Krieg. So beschreiben Mitarbeiter in der FBIZentrale in Washington die Stimmung. Seit US-Präsident Donald Trump vor knapp zwei Wochen ihren Chef James Comey überraschend gefeuert hat, ist in der Betonburg nur wenige Blöcke vom Weißen Haus entfernt nichts mehr, wie es war. Comey war nicht nur beliebt, er galt vielen als Garant für die Unabhängigkeit des „Büros“.
Das Federal Bureau of Investigation mit seinen 35000 Mitarbeitern ist mehr als nur eine Behörde. Die Institution, Nachrichtendienst und Bundeskriminalpolizei zugleich, bekämpft das organisierte Verbrechen, Terror und Spionage, Banküberfälle und Entführungen, Verstöße gegen das Kartellgesetz und Drogenkriminalität. Der Publizist Tim Weiner, einer der besten Kenner des FBI, nennt es den mächtigsten Sicherheitsdienst der USA – „mächtiger noch als der CIA“.
Ja, das FBI genießt einen sagenumwobenen Ruf. Das liegt nicht zuletzt an all den Kriminalromanen, Filmen und Fernsehserien, von Jerry Cotton bis Akte X. Dabei war die Realität des FBI schon filmreif genug, vor allem in den frühen Jahren. Das ging von der berühmten Verfolgung von Gangsterbossen wie Al Capone, den Räubern „Bonnie und Clyde“oder der Cosa Nostra über die Agentenjagd und Erpressungen im Kalten Krieg bis hin zu den Ermittlungen gegen den Ku-KluxKlan in Mississippi und den Oklahoma-Attentäter Timothy McVeigh. Es sind Geschichten, die nahezu jeder Amerikaner kennt.
Trumps Chefstratege Stephen Bannon kann dagegen weit weniger Begeisterung für die zentrale Sicherheitsbehörde aufbringen. Für ihn verkörpert das „Büro“all das, was er wenige Tage nach Trumps Amtsübernahme als „deep state“denunzierte – ein dichtes Netz aus Bürokraten, Geheimdienstlern und Juristen, die darauf aus seien, den Erfolg des Präsidenten zu sabotieren. So sieht es auch Trump, der mit der Entlassung Comeys zu beenden versuchte, was mit den Ermittlungen zu Hillary Clintons dienstlichen E-Mails vor mehr als einem Jahr begonnen hatte.
Seitdem beschäftigen sich Heerscharen an FBI-Ermittlern mit den leidigen E-Mails, die erst Clinton in Bedrängnis brachten – und nun Trump. Längst aber geht es nicht mehr um die grob fahrlässige Nutzung eines privaten Servers der demokratischen Präsidentschaftkandidatin. Die Ermittlungen konzentrieren sich nun auf die Hacker-Angriffe der Russen und deren mutmaßliche Koordination mit Trumps Wahlkampfteam.
In seinem Kündigungsschreiben bescheinigte Trump FBI-Chef Comey, er wäre nicht in der Lage, die Behörde effektiv zu führen. Zugleich wies er selbst auf die anhaltenden Russland-Ermittlungen hin. Am nächsten Tag legte Trump in ei- NBC-Interview nach. Darin bekräftigte er, dass „dieses Russland-Ding“eine Rolle bei seiner Entscheidung gespielt habe.
Kaum hatte die Air Force One zu Trumps erster Auslandsreise Richtung Riad abgehoben, prasselten die nächsten Vorwürfe auf den Präsidenten nieder. Da ist der ExklusivBericht der New York Times, die aus dem Protokoll des Treffens mit Russlands Außenminister Sergej Lawrow zitierte. Danach soll Trump gesagt haben: „Ich habe gerade den Chef des FBI gefeuert. Er war verrückt, ein totaler Spinner.“Da ist die Nachricht, dass Comey nun in öffentlicher Anhörung vor dem Geheimdienstausschuss des US-Senats aussagen wird. Und da ist der Sonderermittler, eingesetzt vom Justizministerium, der Trumps RusslandVerstrickungen untersuchen soll. Der Präsident selbst sieht sich einmal mehr als Opfer. Die Einsetzung eines Sonderermittlers sei eine beispiellose „Hexenjagd“gegen ihn und schade den Interessen der USA.
Sonderermittler Robert Mueller hat als Vorgänger Comeys auch eine Geschichte, die mit dem Selbstverständnis des FBI als unabhängiges Organ der Kriminalitätsbekämpfung und Spionageabwehr zu tun hat. Zwölf Jahre stand er an der Spitze der Behörde – länger war nur der legendäre Gründer J. Edgar Hoover im Amt. An Mueller hatte sich schon Präsident George W. Bush die Zähne ausgebissen, als er versuchte, nach dem 11. September ein geheimes Überwachungsprogramm ohne gesetzliche Grundlage zu verlängern. 2004 eilte Mueller mit Comey, damals stellvertretender Bundesstaatsanwalt, an das Krankenbett des Justizministers, um diesen von einer Unterschrift abzuhalten. Mit Erfolg.
Die Unabhängigkeit des FBI ist eine stolze Tradition, die auf Hoover zurückgeht – jenen Mann, der die Bundespolizei 48 Jahre lang leitete und der auch ihren Mythos begründete. Hoover führte zunächst das Bureau of Investigation, überführte es 1935 in das FBI. Er war sein erster Direktor und blieb es bis zu seinem Tod 1972. Und er missbrauchte die Behörde dafür, seine persönliche Macht in Washington zu sichern. Systematisch ließ er geheime Dossiers über Personen anlegen, die ihm in die Quere kommen könnten. Nach seinem Tod fanden sich mehr als 1600 solcher Akten.
Heute ist gut dokumentiert, wie Hoover das Material einsetzte. Er erpresste damit Präsidenten, Politiker und Bürgerrechtler. Seine bevorzugte Waffe: Indiskretionen über außereheliche Affären. Damit versuchte Hoover etwa, den Bürgerrechtler Martin Luther King zu ruinieren. Der FBI-Chef steckte Kings Ehefrau Berichte über die senem xuellen Eskapaden des Pfarrers, den er für einen Sympathisanten der Kommunisten hielt. Diese Vermutung teilte Hoover mit dem damaligen Justizminister Robert F. Kennedy. Der hatte auf Drängen seines Bruders John dem FBI-Chef die Erlaubnis erteilt, King abzuhören.
Hoover erledigte den Auftrag nur zu gerne. Der Kommunistenhasser und Rassist ließ seit vielen Jahren unschuldige Bürger überwachen, um „Staatsfeinde“zu finden. Sogar den Nobelpreisträger Albert Einstein kundschaftete er aus. Das FBI unterwanderte die Anti-Vietnamkriegs-Bewegung und bespitzelte Präsidenten. FBI-Kenner Weiner entwirft von Hoover das ambivalente Bild eines korrupten Machtmenschen und genialen Bürokraten, der zeitweise mächtiger war als die sechs Präsidenten, unter denen er arbeitete. „Er diente nicht dem Gesetz, er war das Gesetz“, schreibt Weiner.
Mueller und Comey verteidigten die Unabhängigkeit des FBI aus anderen Motiven. Sie verstanden die Behörde stets als Garanten einer unabhängigen Justiz, die mit ihren unbestechlichen Agenten für Sicherheit sorgt, aber auch die Verfassung der Vereinigten Staaten verteidigt. Comey forderte nach seiner Berufung 2013, dass sich die FBI-Beamten in ihrer Ausbildung auch mit den düsteren Kapiteln der Organisation beschäftigen. Auf seinem Schreibtisch bewahrte er als abschreckende Mahnung die Bewilligung zur Beschattung Martin Luther Kings auf – in Auftrag gegeben von Hoover und unterschrieben von Justizminister Robert F. Kennedy.
Trump aber verkalkulierte sich deutlich, als er dachte, er könne sich Comey gefügig machen. Vertraute berichten, der FBI-Direktor habe Treffen mit dem neuen Präsidenten stets mit Unbehagen entgegengesehen und sich auf die Begegnungen akribisch vorbereitet. Bei einem privaten Dinner im Weißen Haus am 27. Januar fragte Trump den FBIChef direkt, ob gegen ihn ermittelt werde. Comey verneinte.
Im Februar nahm Trump einen weiteren Anlauf. Nach einem Routine-Briefing schickte er Justizminister Jeff Sessions und Vizepräsident Mike Pence aus dem Oval Office, um mit Comey unter vier Augen sprechen zu können. Der FBIDirektor hielt Einzelheiten der denkwürdigen Begegnung am 15. Februar in einem Erinnerungsprotokoll fest. Laut dem Memo, das bei der New York Times landete, forderte Trump Comey auf, die Ermittlungen gegen den Nationalen Sicherheitsberater Michael Flynn, der wegen seiner Kontakte zu Russland unhaltbar geworden war, einzustellen. „Er ist ein guter Mann“, stellte sich Trump vor Flynn. „Ich hoffe, Sie können das beenden.“
Comey ging nicht auf den Wunsch ein. Im Gegenteil. Bei einer Anhörung im Senat bestätigte er, dass das FBI „im Rahmen der Spionageabwehr“untersuche, ob es Kontakte zwischen Personen aus Trumps Umfeld und der russischen Regierung gab. Und er widersprach der Behauptung Trumps, Barack Obama habe dessen Wolkenkratzer in Manhattan abhören lassen. Als Comey mehr Ressourcen für eine Ausweitung der Ermittlungen anforderte, schien dem Präsidenten wohl klar zu werden, dass er keine Kontrolle über den FBI-Direktor hat. Also feuerte er den Mann, der seine möglichen Verstrickungen in die Russland-Affäre untersucht.
Mit diesem Vorgehen brockte sich der Präsident den Sonderermittler ein. Und schon jetzt ziehen Beobachter Parallelen zur Watergate-Affäre. Der Fall steht für den größten Politskandal der USA. Und auch er hat eine enge Verbindung zum FBI. Im Wahlkampf 1972 installierten Einbrecher in der Parteizentrale der Demokraten im Bürokomplex Watergate Abhöranlagen und fotografierten Dokumente. Bob Woodward, Reporter bei der Washington Post, verfügte über einen Informanten beim FBI, der ihn und seinen Kollegen Carl Bernstein zum Wahlkampfteam der Republikaner und schließlich zu Richard Nixon führte. Der Präsident versuchte die
Trump nannte Comey einen „Spinner“
Die Behörde ist stolz auf ihre Unabhängigkeit
Affäre zu vertuschen, musste aber 1974 zurücktreten.
Erst 2005 wurde die Quelle bekannt: Hinter dem Pseudonym „Deep Throat“steckte Mark Felt, Anfang der 70er Jahre FBI-VizeChef. Felt hatte Zugriff auf die Recherchen, die das FBI zu Watergate anstellte. Und er wollte sich an Nixon rächen, der ihn nach Hoovers Tod bei der Nachfolge als Behördenleiter übergangen hatte. US-Autor Weiner schreibt Felt und den vier weiteren FBI-Agenten, die die Reporter mit Informationen versorgt hatten, eine Schlüsselrolle in der Aufklärung der Watergate-Affäre zu. „Sie brachten den US-Präsidenten zu Fall.“
Könnte das wieder passieren? Stammt das Memorandum über die Begegnung zwischen Trump und Comey, das bei der New York Times landete, aus dem Umfeld des FBI? Und könnte die Russland-Affäre tatsächlich zu Trumps Watergate werden? Einem Skandal, der ihn das Amt kostet?
Das Kräftemessen zwischen dem Weißen Haus und dem FBI ist jedenfalls nicht beendet – selbst, wenn mit Joe Lieberman ein ehemaliger Demokrat an die Spitze des FBI gerückt ist. Viele der Ermittler haben in Solidarität mit ihrem gefeuerten Direktor ihre Profilbilder im Internet mit denen Comeys ersetzt.
Mark Levin, der einen Dokumentarfilm über das FBI gedreht hat („Inside the FBI“) und die Kultur des „Büros“kennt, spricht von tiefen Verletzungen. Die Mitarbeiter fühlten sich durch den Rauswurf Comeys persönlich angegriffen. „Es gibt eine Menge Ärger“, sagt er.