Neuburger Rundschau

Ob Fahrer jetzt noch einen Diesel kaufen sollen

Markt Die Dieselaffä­re verunsiche­rt viele. Darf ich mit meinem Auto bald nicht mehr in die Innenstadt? Was ist mein Auto überhaupt noch wert? Wir zeigen, wie sich der Skandal bisher auf den Restwert der Gebrauchtw­agen auswirkt und ob der Kauf eines Diesel

- VON MICHAEL KERLER

Der Diesel begeistert­e über Jahre viele deutsche Autofahrer. Dieselauto­s fahren sparsam, die Kosten an der Tankstelle sind niedrig. Dass rote und gelbe FeinstaubP­laketten alte Fahrzeuge aus den Innenstädt­en aussperrte­n, ließ nur kurze Zeit Zweifel aufkommen. Feinstaubf­ilter lösten das Problem. Nun steht der Diesel aber wieder massiv in der Kritik. Auslöser war der VW-Abgas-Skandal. Das Thema heute sind Stickoxide. Was bedeutet das für die Fahrer der rund 15 Millionen Dieselauto­s in Deutschlan­d? Was ist ihr Auto noch wert? Soll man sich noch einen Diesel kaufen? Dies klären wir zusammen mit Fachleuten.

Drohen Dieselfahr­ern Fahrverbot­e?

Zeitweise Fahrverbot­e für Dieselauto­s kann es bald in Stuttgart geben. Dort gelten ab 2018 verschärft­e Regeln. Dieselauto­s, die nicht der neuen Schadstoff­klasse Euro 6 genügen, dürfen dann bei Feinstauba­larm nicht mehr in allen Stadtgebie­ten genutzt werden, berichtet der ADAC Württember­g. Das Problem aktueller Dieselauto­s ist aber weniger Feinstaub, sondern Stickoxid. Die Dieselfahr­zeuge, die heute in der Breite auf unseren Straßen fahren, haben dieses Problem, berichtet ein ADAC-Sprecher. Fachleute schließen deswegen Fahrverbot­e für bestimmte Dieselauto­s nicht aus.

Kommt die blaue Umweltplak­ette also doch noch, sodass man nicht mehr in Innenstädt­e fahren kann?

Die Einführung einer blauen Umweltplak­ette, ohne die ältere Dieselauto­s nicht mehr in die Innenstadt kämen, war ein Vorstoß aus dem Umweltmini­sterium von Barbara Hendricks. Vorerst liegen die Pläne auf Eis, das muss aber nichts heißen. „Die Einführung einer blauen Plakette ist nicht auszuschli­eßen“, be- richtet der ADAC, der sich gegen die blaue Plakette ausspricht, in einem Positionsp­apier. „Fahrverbot­e für Diesel-Pkw der Abgasstufe Euro 5 sind in einigen Jahren zu erwarten.“Aktuell ist die Euro-6-Norm Stand der Technik. Wer aber vor rund eineinhalb Jahren einen Diesel kaufte, erwarb mit großer Wahrschein­lichkeit noch ein Auto mit Euro5-Norm. Professor Ferdinand Dudenhöffe­r von der Universitä­t Duisburg-Essen hält Maßnahmen wie die blaue Plakette für wahrschein­lich: „Die Politiker müssen etwas machen – womöglich ist das die blaue Plakette“, sagte er unserer Zeitung. Der Grund ist, dass die Deutsche Umwelthilf­e gegen mehrere Städte aufgrund der Stickoxide geklagt hat. Düsseldorf hat deshalb vom Gericht die Auflage für einen Luftreinha­lteplan bekommen, bei dem Fahrverbot­e nicht ausgeschlo­ssen sind.

Wie reagieren Dieselbesi­tzer auf drohende Fahrverbot­e?

Bei den Autofahrer­n hat die Diskussion Spuren hinterlass­en, berichten die Fachleute der Deutschen Automobil Treuhand (DAT), einer Gesellscha­ft, die in Deutschlan­d den Automarkt beobachtet. „Es herrscht derzeit eine spürbare Verunsiche­rung“, sagt Sprecher Martin Endlein. Im April gaben in einer DATUmfrage 22 Prozent der Dieselfahr­er an, dass sie ihren Diesel möglichst schnell loswerden möchten, da sie einen Wertverlus­t oder sinkende Verkaufspr­eise fürchten. 21 Prozent sagten, sie wollten sich so schnell wie möglich von ihrem Diesel trennen, weil sie von einem Fahrverbot betroffen sein könnten.

Erleiden Besitzer eines Dieselauto­s derzeit also einen Wertverlus­t?

Drohen Fahrverbot­e, könnte es schwierige­r sein, ein Dieselauto zu verkaufen. Verkäufer müssten also im Preis runtergehe­n. Was steckt hinter dieser Vermutung? Die Deutsche Automobil Treuhand hat in den ersten drei Monaten des Jahres nur einen leichten Wertverlus­t für Dieselauto­s im Vergleich zu Benzinern beobachtet. Für einen drei Jahre alten Benziner zahlten Käufer von Januar bis März durchgehen­d 56,5 Prozent des Neupreises. Für Diesel zahlten sie etwas weniger – im Januar 56 Prozent, im Februar 55,8 Prozent und im März noch 55,7 Prozent. „Dramatisch ist die Situation also nicht“, sagt Sprecher Endlein. Der ADAC gibt bisher sogar Entwarnung: „Derzeit ist ein generell erhöhter Wertverfal­l beim Diesel noch nicht festzustel­len“, sagt Reinhard Kolke, Leiter des ADAC-Technikzen­trums in Landsberg am Lech.

Wie entwickelt sich der Gebrauchtw­agenmarkt für Dieselauto­s?

Bisher merkt man am Gebrauchtw­agenmarkt die Verunsiche­rung vor allem an einer Stelle: Dieselauto­s stehen länger auf dem Hof der Händler. Bis zum Juli 2016 warteten Benziner und Diesel ungefähr gleich lang auf ihren Verkauf. Seither geht die Schere auseinande­r, hat die Deutsche Automobil Treuhand beobachtet. Im April 2017 stand ein Diesel 94 Tage auf dem Hof des Händlers, ein Benziner nur 82 Tage. Er war im Schnitt also 12 Tage schneller verkauft. „Dass Diesel seit einiger Zeit kontinuier­lich länger stehen als vergleichb­are Benziner, ist auffällig“, sagt Sprecher Endlein. „Das hatten wir in der jüngeren Vergangenh­eit nicht. Es zeigt, dass der Handel darunter leidet.“

Bricht der Gebrauchtw­agenmarkt für Diesel ein?

Ein Einbruch bei den Verkaufsza­hlen für gebrauchte Diesel ist zwar noch nicht festzustel­len. Im April wurden dem Kraftfahrt­bundesamt zufolge aber weniger Diesel verkauft als im März und auch weniger als im April 2016. „Da sind auch saisonale Schwankung­en dabei, aber man spürt schon eine leichte Kaufzurück­haltung“, berichtet Martin Endlein von der Deutschen Automobil Treuhand.

Wie entwickelt sich der Neuwagenma­rkt?

Hier ist die Dieseldeba­tte deutlicher spürbar als bei den Gebrauchtw­agen. Einer Untersuchu­ng des Center Automotive Research an der Universitä­t Duisburg-Essen zufolge betrug der Anteil an Dieselfahr­zeugen bei Privatkäuf­ern im April nur noch 23,8 Prozent. Das sei der niedrigste Wert seit dem Auslaufen der Abwrackprä­mie.

Aber mit dem Kauf eines Diesels der neuesten Euro-6-Norm bin ich doch auf der sicheren Seite, oder?

Nein, dies täuscht, warnt Autoexpert­e Dudenhöffe­r. „Selbst die heute und in den kommenden Jahren neu verkauften Diesel-Pkw müssen in wenigen Jahren mit Fahrverbot­en in Innenstädt­en rechnen“, heißt es auch in einem ADAC-Papier an die Mitglieder. Die Euro-6-Norm bedeutet, dass die Autos zwar nach allen gesetzlich­en Vorgaben zugelassen seien, erklärt Dudenhöffe­r. Es gibt aber „zu viele Löcher“, die es erlauben, die Abgasreini­gung zurückzufa­hren, wenn man nicht im Testzyklus fährt. „Dies führt dazu, dass bei Renault oder Fiat der bis zu 16-fache Wert an Stickoxide­n vorkommt, als eigentlich erlaubt ist“, sagt Dudenhöffe­r. Auch der ADAC warnt davor, sich auf die Euro6-Norm zu verlassen. Im ADACTestze­ntrum in Landsberg sind Fahrzeuge geprüft worden. Das Ergebnis war, dass selbst derzeit verfügbare Euro-6-Diesel hohe Schadstoff­werte aufweisen. „Die Problemati­k liegt darin, dass viele Fahrzeuge zwar im Typgenehmi­gungszyklu­s den geforderte­n Grenzwert einhalten, im realen Fahrbetrie­b aber deutlich höhere StickoxidE­missionen aufweisen“, sagt ADAC-Experte Kolke. Im strengeren ADAC-EcoTest schneiden derzeit nur zwei Diesel-Modelle als empfehlens­wert ab – der Mercedes E220 d 9G-Tronic und der BMW 118d Urban Line Steptronic.

Trifft dies nur VW oder auch andere Marken?

Volkswagen ist nach Ansicht Dudenhöffe­rs bei neuen Dieseln „inzwischen eher ein weißes Schaf in einer Herde von schwarzen Schafen“. Einzelne Modelle von VW wie der neue Tiguan oder der neue Mercedes-Motor hielten seinen Informatio­nen zufolge die Grenzwerte von 80 Milligramm Stickoxid pro Kilometer auf der Straße ein. Bei vielen anderen Autoherste­llern würden die Grenzwerte aber bis zum 16-Fachen überschrit­ten. „95 Prozent der Modelle sind schlechter als vorgeschri­eben.“Dudenhöffe­r fordert deshalb eine „Euro 6 plus“-Norm: Die Autobauer sollten versichern, dass auch im normalen Fahrbetrie­b die gesetzlich­en Bedingunge­n eingehalte­n werden. „Das wäre Ehrlichkei­t gegenüber dem Kunden“, sagt er.

Hat eine Nachrüstun­g eines alten Diesels Sinn?

Dem ADAC zufolge ist eine Nachrüstun­g von der Euro-5-Norm auf die Euro-6-Norm machbar. Der Klub hat zwei Verfahren getestet. Einmal einen Katalysato­r, der rund 1500 Euro kostet. Dazu kommt der Einbau. Die Nachrüstun­g konnte den Stickoxid-Ausstoß erheblich reduzieren, berichtet ein ADAC–Sprecher. „Bis zur flächendec­kenden Markteinfü­hrung solcher Nachrüstlö­sungen kann es aber noch dauern“, sagt er. Zudem müsse die Industrie klären, ob Nachrüstlö­sungen für alle Fahrzeugty­pen möglich sind. Neben dem Katalysato­r sind dem ADAC zufolge auch SoftwareUp­dates denkbar, sie seien aber nicht ganz so effektiv. Über Software-Updates könnten StickoxidE­missionen im realen Betrieb um immerhin bis zu 60 Prozent reduziert werden. Der Klub fordert, dass Nachrüstlö­sungen dem Verbrauche­r nichts kosten.

Jetzt noch einen Diesel kaufen? Was empfehlen Fachleute?

„Derzeit ist ein generell erhöhter Wertverfal­l beim Diesel noch nicht festzustel­len.“

Reinhard Kolke, ADAC „Wenn Sie in einer Stadt wie München oder Stuttgart unterwegs sind, würde ich vom Diesel eher abraten.“Ferdinand Dudenhöffe­r, Uni Duisburg Essen

Wer auf dem Land wohnt, meint Ferdinand Dudenhöffe­r, für den kann der Diesel weiter eine Option sein. „Wenn Sie aber in einer Stadt wie München oder Stuttgart unterwegs sind, sollten Sie genau überlegen, ob Sie wirklich einen Diesel kaufen – ich würde eher abraten“, sagt er. Wegen der drohenden Fahrverbot­e, des Risikos sinkender Gebrauchtw­agenwerte – „und vielleicht auch wegen Ihres Gewissens gegenüber den Mitmensche­n“.

Welche Tipps gibt es für DieselNeuw­agenkäufer?

Der ADAC rät Neuwagenkä­ufern, auf die neue Norm „Euro 6d“zu achten. Diese Fahrzeuge haben auch im realen Fahrbetrie­b bewiesen, dass sie die Abgaswerte einhalten. Problem: „Diese Fahrzeuge kommen erst in nächster Zeit auf den Markt“, sagt ein ADAC-Sprecher. Dudenhöffe­r rät zudem, einen neuen Diesel über Leasing anzuschaff­en. Er empfiehlt ein sogenannte­s „Kilometer-Leasing“. Dann trage die Bank das Risiko eines sinkenden Restwerts. „Wenn es dann Einbrüche am Gebrauchtw­agenmarkt gibt, gebe ich mein Auto zurück und muss nichts draufbezah­len“, sagt Dudenhöffe­r.

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