Der Schatz, ein Fake
Ausstellung Eigentlich klingt die Geschichte richtig gut: Starkünstler Damien Hirst hebt ein Schiff aus der Antike und zeigt dessen versunkene Fracht. Doch dann dämmert ein Verdacht
Es ist ja nicht so, dass der britische Unternehmer und Künstler Damien Hirst, 1965 geboren in Bristol, zu keinem Zeitpunkt so etwas wie bewusst gestaltete, ästhetisch entwickelte und vor allem reflektierte Werke geschaffen hätte. Vor allem seine Kabinettschränke mit (grau lackierten) Medizinal-Instrumenten und Medikamentenansammlungen gehören in ihrem Memento-mori-Charakter dazu. Aber in erster Linie war der ehemalige Schüler des renommierten Londoner Goldsmiths College hauptsächlich daran interessiert, Buntes, Glitzerndes, Dekoratives unter die Leute zu bringen – oder Attraktion und Sensation.
Das dekorativ Bunte sind vor allem seine „Spot“-Bilder und „Spin“-Gemälde; das Sensationelle waren vor allem seine in Formaldehyd eingelegten Tiere (wie der Hai) und sein brillantenbesetzter Totenschädel, der 2007 wohl nur deshalb zum damals teuersten zeitgenössischen Spektakelstück aufsteigen konnte, weil ihn Hirst (als Mitglied eines Käuferkonsortiums) für 75 Millionen Euro auch sich selbst abkaufte. Ein Taschenspielertrick an der Seite jenes eigenhändigen Markt-Clous, der Hirst wenige Stunden vor dem Wallstreet-Crash 2008 einen Auktionserlös von 172 Millionen Dollar durch Versteigerung frischer Werke aus dem Atelier einbrachte. Äußerst wohlmeinende Zeitgenossen glauben, Hirsts GeldTransaktionen seien Kritik an den Mechanismen des Kunstmarkts – mithin selbst Kunst.
Später wurde es stiller um Hirst; sein Marktwert sank parallel zu seiner Bauunternehmer-Tätigkeit. Was ihn seit 2008 aber auch umtrieb, so gibt er jetzt zu Protokoll, dies war die Bergung eines knapp 2000 Jahre alten Schiffes vor der Küste Südostafrikas. Einst segelte es unter dem Namen „Apistos“(„die Unglaubliche“) für den schwerreichen Amotan II aus Antiochien, der seine antiken Kunst- und Kunstgewerbeschätze in ein frisch gebautes Museum überführen wollte. Doch der Transport endete jäh, weil das Schiff absoff und mit ihm natürlich auch die zusammengesammelte Kunst.
Bis sie unter einem erheblichen finanziellen Kraftakt wieder geborgen werden konnte. Der verdienstvolle Rettungseinsatz ist selbstverständlich fotografisch und filmisch dokumentiert: In kristallklarem Wasser unter glitzernd-bunten Fischschwärmen gehen Taucher aufwendiger Schatzhebung nach.
Das ist die Story, wie sie jetzt – parallel zur Biennale – in der Punta della Dogana und im Palazzo Grassi von Venedig ausgebreitet wird. In jenen Privatmuseen also des französischen Unternehmers und Kunst- Fotos: Miguel Medina, afp sammlers François Pinault, der dank seines Imperiums (Gucci, Saint Laurent, Christies, Château Latour) ebenso ein Experte in Sachen Luxusgüter ist wie Damien Hirst. Betuchtes kumuliert hier genauso wie beim französischen KonkurrenzImperium LVMH, wo Jeff Koons und der kunstsammelnde Luxusgüter-Unternehmer Bernard Arnault Hand in Hand arbeiten.
Nun also werden in Venedig die „Beweisstücke“der maritimen Kunstbergung präsentiert. Aber schon beim ersten Stück beschleichen den Betrachter gelinde Zweifel. Allzu dekorativ gleichmäßig sind Muscheln, Korallen, Schwämme über die Großskulptur eines steinernen antiken Kalenders verteilt und allzu frisch leuchten sie in ihrer Grundfarbigkeit. Schritt für Schritt nähert man sich in der Folge der Erkenntnis: „Alles fake!“Zu glatt, zu modern, zu designt in ihrem Menschenbild präsentieren sich auch die „gereinigten“Bronzeskulpturen und zu widersprüchlich prallen Kulturkreise und Epochen in einem Werk aufeinander – etwa Hydra und die indische Göttin Kali. Und zu umfassend ist diese Kollektion, als dass sie (inklusive „mexikanischer“Werke) wahr sein könnte.
Vollends klärt sich das Spiel mit irreführenden kulturhistorischen Behauptungen auf Erklärungstafeln, wenn Mickymaus, Goofy und ein muschelbesetzter Roboter auftauchen. Hirst hat mal wieder ein Spektakel zusammengezimmert, eine ahistorische Wunderkammer mit Chronos, Medusenkopf und vergewaltigendem Minotaurus, mit Vasen, naturkundlichen Objekten (Mammutschädel) und vorgeblich antiken Helmen. Lauter große und kleine Scherzartikel eines Scherzkekses. Einschüchternd monumental hier, effektvoll beleuchtet und vitrinengesichert dort.
Je schneller einer freilich kapiert, desto schneller ist die Luft raus aus dieser ganzen Show. 100 gefakte Schätze sind bei schwacher Ironie abzuschreiten. Das erschöpft sich rasch und wird hurtig öde. Letztlich gilt auch: Kitsch as Kitsch can – genauso wie bei Koons/Arnault.
Aber wird denn für den Kunstfernen und Unaufmerksamen irgendwo mal aufgeklärt, was es mit all dem nachempfundenen Plunder auf sich hat? Ja, im Anhang des 180 Euro teuren Katalogs. Da sind für jedes Stück Entstehungsjahr und Auflage (meist fünf Exemplare) vermerkt. Der Fake soll sich ja verkaufen. Pinault, übernehmen Sie! O
In der Punta della Dogana und im Palazzo Grassi bis 3. Dezember 2017. Täglich außer dienstags geöffnet.
Schnell ist aus dieser Show die Luft heraus