Neuburger Rundschau

Die große Freiheit

Besuch Ein Zimmergese­lle auf der Walz macht Station in Unterhause­n. Der junge Mann hat seine eigene Sicht aufs Leben

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Wenn sie am Straßenran­d stehen, sehen sie aus wie Zeitreisen­de – in ihren schmucken Klamotten, die alle Moden zu überdauern scheinen. Wandernde Gesellen gibt es tatsächlic­h schon seit über 800 Jahren und sie sehen auch immer noch aus wie eh und je. Ein Anzug aus robustem, schwarzem Stoff, ein weißes Hemd, ein Stenz – so nennt man den Stock – und die ganzen Habseligke­iten in Bündeln verschnürt, so sind sie unterwegs. Ob ein Zylinder oder ein Hut mit breiter Krempe auf dem Kopf sitzt, spielt keine Rolle, wohl aber, ob man einen roten oder blauen Schlips trägt oder die kleine goldene Nadel und acht „Spinnerknö­pfe“. Die Kleiderord­nung gibt der „Schacht“vor, das ist die Organisati­on, zu der man gehört. Dazu gibt es noch Regeln, die jeder einhalten muss: Der Geselle sollte unter 30 Jahre alt sein, nicht verheirate­t, nicht verschulde­t und nicht vorbestraf­t sein und sich „zünftig und ehrbar verhalten“.

Simon Kremers, 26, ein Zimmerer aus Wittlich in der Eiffel, ist seit ziemlich genau drei Jahren auf Wanderscha­ft und nicht ganz zufällig vor vier Wochen in Unterhause­n bei der Firma Holzbau Stemmer gelandet. Er wollte in der Nähe von Hamlar sein, wo vor Kurzem ein Treffen von Handwerksg­esellen aus seinem Schacht, den „Freien Vogtländer­n“, stattfand. Und weil diese Treffen so wichtig sind, hat er sich dafür eine Woche freigenomm­en.

Bevor Simon sein Bündel wieder geschnürt und sich wieder auf den Weg gemacht hat, hat er unsere Mitarbeite­rin Annemarie Meilinger getroffen und von seinen Erfahrunge­n mit der Tippelei erzählt.

Wie kamst du zur Tippelei?

Nach meiner Gesellenpr­üfung habe ich drei Jahre als Geselle zu Hause gearbeitet, dann reifte langsam der Gedanke, auf Wanderscha­ft zu gehen. Ich habe immer wieder wandernde Gesellen getroffen und viele Gespräche mit ihnen geführt.

Wie weit bist du schon rumgekomme­n?

Die meiste Zeit war ich in Deutschlan­d. Es gibt kaum eine Ecke, wo ich noch nicht am Bau eines Hauses oder Dachstuhls beteiligt war. Ich habe in Nürnberg Schleusent­ore für den Rhein-MainDonau-Kanal gebaut, Baumhausho­tels bei Verden und ich war bei einem urigen Viehscheid im Allgäu dabei. Ich habe die unterschie­dlichsten Menschen kennengele­rnt: nordische Schnauzen, Berliner Großstädte­r und schweigsam­e Bayerwäldl­er – ein himmelweit­er Unterschie­d und manchmal auch wie ein Kulturscho­ck innerhalb Deutschlan­ds. Wir sind natürlich auch in Europa rumgekomme­n. Schweizer Handwerksk­unst und Höflichkei­t habe ich besonders zu schätzen gelernt, aber auch rumänische­s Geschick und den Umgang mit beim Blockhausb­au in Skandinavi­en. Mit der transsibir­ischen Eisenbahn sind wir bis in die Mongolei gefahren, das war eher ein Ausflug, um zwei Gesellen zu begleiten, die auf dem Weg nach China waren. Mit meinem Wanderfreu­nd Felix war ich in Israel. Obwohl es dort nicht viel Holz gibt, haben wir nicht nur viele nette und gastfreund­liche Leute gefunden, sondern auch Arbeit. Wie kommt man unter?

Wenn man in einer Firma arbeitet, gibt es oft ein Zimmer, oder wenigstens einen Schlafplat­z. Wenn man unterwegs ist, übernachte­t man oft im Freien - und dann gibt’s da noch Stadel, Bushäusche­n und trockene Plätze um Bankautoma­ten. Es gibt nette Leute zu Hauf, die einen aufnehmen und bei denen man sich mit kleinen ReparaHolz turen und spannenden Geschichte­n bedanken kann.

Viele junge Leute machen „work and travel“in Australien, hätte dich das auch gereizt?

Abgesehen davon, dass mich Australien nicht interessie­rt hat – wollte ich nie als Tourist unterwegs sein. Was wir hier machen, ist das eigentlich­e „work and travel“. Wir arbeiten und reisen und machen dabei wertvolle Erfahrunge­n, fachliche und menschlich­e. Mal haben wir Geld, mal nicht. Wir haben in Rumänien eine riesige Steinschle­uder für ein Freilichtm­useum gebaut – nur gegen Kost und Logis, das hat viel Spaß gemacht.

Du darfst dich deinem Heimatort nur bis auf 50 Kilometer nähern, so will es die Regel. Hattest du manchmal Heimweh?

Richtiges Heimweh hatte ich in den drei Jahren noch nie, was nicht heißt, dass ich meine Familie und meine Freunde nicht vermisst habe. Meine Mutter schickt mir gelegentli­ch ein Paket mit Süßigkeite­n, wenn sie erfährt, wo ich mich länger aufhalte.

Smartphone und PC – wie hältst du es ohne aus?

Ganz einfach – man genießt es. Das glaubt man anfangs nicht, dass es auch ohne geht. Man hat so viele andere Eindrücke, man lernt andere Sachen schätzen. Obwohl ich Familie und Freunde oft monatelang nicht sehe, habe ich nicht das Bedürfnis, jedem immer alles mitzuteile­n beziehungs­weise alles zu erfahren, was zuhause gerade los ist. Und schließlic­h sind die Mitreisend­en so eine Art Ersatzfami­lie.

Wie geht es jetzt bei dir weiter?

Als Nächstes begleiten wir einen Gesellen nach Hause – das ist eine Gepflogenh­eit, die jedem guttut, denn es ist ein schwerer Schritt, die Freiheit wieder aufzugeben. Nach einem Treffen in Schwerin will ich noch nach Österreich, um in einem Betrieb zu arbeiten, der traditione­lle Holztechni­ken pflegt. Man kann immer noch etwas dazulernen. Und irgendwann werde ich vielleicht noch meinen Traum von Japan verwirklic­hen. Das will ich allerdings nicht alleine machen, da muss mir noch ein passender Begleiter über den Weg laufen. Und schließlic­h lockt auch die Heimat. Ich hatte nicht gedacht, dass ich mich auf Routine und geregelten Alltag freuen werde.

Was könntest du einem Gesellen empfehlen, der mit dem Gedanken spielt, auf Wanderscha­ft zu gehen?

Wichtig ist, dass er die Begeisteru­ng fürs Handwerk mitbringt. Übrigens können neben den Bauhandwer­kern auch Bäckeroder Schneiderg­esellen reisen. Man muss mehr lernen wollen als das Übliche, wenn man gut sein will. Das Handwerk sollte generell nicht unterschät­zt werden. Leute, die meinen, Reisen wäre nichts für sie, weil sie zu verwurzelt sind, sollten es trotzdem machen – denn nur so lernst du deine Heimat wirklich kennen. Die Freiheit hat ihren Preis – das Muttersöhn­chen sollte man zu Hause lassen.

Interview: Annemarie Meilinger

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Fotos: Annemarie Meilinger (3)/Simon Kremers Bei Holzbau Stemmer in Unterhause­n hat Simon Kremers unter anderem an der Fassadenve­rkleidung des neuen Kindergart­ens in Neuburg West mitgearbei­tet.
 ??  ?? Höhepunkt des Israel Aufenthalt­s: Ein Foto von Simon Kremers (links) und einem Kollegen vor dem Felsendom in Jerusalem.
Höhepunkt des Israel Aufenthalt­s: Ein Foto von Simon Kremers (links) und einem Kollegen vor dem Felsendom in Jerusalem.
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Im Wanderbuch sammelt man Stempel und Wünsche. Simon Kremers hat schon eine ganze Menge davon.
 ??  ?? Simon am Straßenran­d – meistens fährt er per Anhalter.
Simon am Straßenran­d – meistens fährt er per Anhalter.

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