Neuburger Rundschau

Mission jenseits von Afrika

Ohne „Gastarbeit­er Gottes“kommt die Katholisch­e Kirche hier nicht mehr aus. Wie gelingt das? Auf der Suche nach dem Pfingstwun­der im Alltag

- Von Stefanie Wirsching und Marcus Merk (Fotos)

Wenn man eine Reise antritt, ist man irgendwann auch am Ziel. Außer man hat gar keines. Wenn man aber die Welten wechselt, woran erkennt man eigentlich, dass man angekommen ist? Nicht mehr irgendwie dazwischen hängt?

Vielleicht war vor drei Wochen der Moment erreicht, an dem Kaplan Isidore Uko dann wirklich angekommen ist. Vielleicht gibt es auch gar nicht den einen Moment, sondern viele. Dann war es zumindest einer davon. „Ich weiß nicht, was soll das bedeuten…“So hat Kaplan Isidore seine Predigt in der Basilika St. Ulrich und Afra in Augsburg begonnen. Mit Heinrich Heine und der Loreley. Mit einem Dichter also, dessen Werke die katholisch­e Kirche einst auf den Index der verbotenen Bücher setzte, und mit der deutschen Sehnsuchts­hymne, hundertfac­h vertont. Von Heine und der Loreley ist er dann auf den Menschen zu sprechen gekommen und das Gefühl der Traurigkei­t. Zwölf Minuten lang sprach er. Es war seine zweite Sonntagspr­edigt in dieser großen Basilika. Die ganz große Show, würde man in der Unterhaltu­ngsbranche sagen. Am Ende der Messe hat der Pfarrer ihm dafür gedankt. Und die Gemeinde geklatscht, manche mit den Händen über dem Kopf.

Ob dieser Moment sich in seiner Erinnerung an die Zeit in Deutschlan­d festhaken wird? Vielleicht. Aber es liegen ja noch Jahre vor ihm. Und das erste ist noch nicht einmal um. Zwei Monate fehlen noch. Am 1. August 2016 ist er gelandet, der erste Flug von Nigeria aus, zum ersten Mal Europa, Deutschlan­d, Augsburg, Straßenbah­n, Spätzle, später dann der Schnee. Deutschken­ntnisse? Kaplan Isidore, (29), lacht. Ein Langstreck­en-Lachen. Er wird dazu noch eine Geschichte erzählen, die er mittlerwei­le selbst sehr komisch findet…

Mit Kaplan Isidore kamen im August sieben weitere Geistliche an. Weltenwech­sler wie er. Fünf davon aus Indien, zwei aus Nigeria. Ein Jahr lang sind sie nun auf mehrere Pfarreien in der Stadt Augsburg verteilt. Als Kaplane in der Einarbeitu­ng. Dann erst geht es an den eigentlich­en Arbeitspla­tz. Die Diözese ist groß. Es kann ein kleiner Ort im Allgäu sein. Oder Nördlingen. Gebraucht werden sie fast überall. Es ist ja kaum mehr Nachwuchs da.

Weil es der katholisch­en Kirche jungen Priestern mangelt, greift die Kirche seit Jahren auf Seelsorger aus dem Ausland zurück. Vor allem in bayerische­n Diözesen. 150 ausländisc­he Seelsorger versehen allein im Bistum Augsburg ihren Dienst, die meisten aus Indien, gefolgt von den Priestern aus Polen und Nigeria. Die „Gastarbeit­er Gottes“, wie sie manchmal genannt werden, stellen damit in der Diözese einen Anteil von fast 20 Prozent. Ohne sie ginge es also nicht. Oder nur anders, vielleicht auch schlechter. Nicht überall in Deutschlan­d und in jeder Pfarrei geht es aber auch besser.

In Neusäß sitzt Kaplan Solomon John Essiet, (34), im schlichten Besprechun­gsraum gleich neben der Kirche St. Ägidius. Fünf Gemeinden zählen zur Pfarreieng­emeinschaf­t, betreut von zwei Geistliche­n: dem Pfarrer und ihm. An einem Wochenende predigt er in Täfertinge­n, am nächsten in Ottmarshau­sen, dann Aystetten… Sonntags-Alltag in katholisch­en Pfarreien. Der Kaplan stammt aus der selben Diözese in Nigeria wie sein Mitbruder Isidore, vor vier Jahren wurde er vom Bischof entsendet. Den Wunsch hatte er nicht geäußert, nach Wünschen wurde auch nicht gefragt, aber gerechnet hatte er damit. „Fast jeder Priester bei uns erwartet, ins Ausland zu reisen. Ich war bereit, überall hinzugehen.“Kanada, USA oder eben nun Neusäß. Wo sich zwei Stunden später in der Vorabendme­sse auf den vielen Bankreihen in St. Ägidius etwa 60 Kirchgänge­r verteilen und Kaplan Solomon lauschen werden, wie er über die Kraft

Wenn einer die Menschen mag, mögen sie ihn auch.

des Gebetes spricht. Und dabei eine kleine Anekdote einbaut über einen Jungen, manchmal ungezogen, der zu Gott betet. Nicht darum, dass er sich besser benehmen möge, sondern, dass seine Mutter ihn besser verstehe…

Er hat seinen Stil gefunden, wenn man das so sagen darf. Ein schneller Scherz, eine nette Geschichte. Er wolle nicht die nigerianis­che Kultur hier nach Deutschlan­d importiere­n. „Bei uns wird im Gottesdien­st viel getanzt und gesungen, hier wollen die Leute zur Ruhe kommen.“Das verstehe er. Anderes Leben, andere Bedürfniss­e. Aber er versuche, den Gottesdien­st eben auf seine Art ein wenig lebendiger zu gestalten. „Ich

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Gleich geht es los: Kaplan Solomon John Essiet vor dem Einzug zur Messe in die Kirche St. Ägidius in Neusäß bei Augsburg. Er stammt wie Kaplan Isidore Uko (Bild oben) aus Nigeria und wurde von seinem Bischof nach Deutschlan­d geschickt.

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