Neuburger Rundschau

Mörder ohne Gesicht

Verbrechen Eine Gewaltseri­e erschütter­t Südschwede­n. Alles erinnert an Mankells berühmte Krimireihe um Kommissar Wallander. Doch diesmal ist es blutige Realität. Es gibt 18 Morde, nicht einen Täter, dafür aber den Vorwurf: Die Einwanderu­ngspolitik hat ver

- VON ANDREAS FREI UND JULIA WÄSCHENBAC­H

Kurt Wallander hätte sie längst zur Strecke gebracht. Natürlich hätte er das. Er wäre schnell die 60 Kilometer über die E65 nach Malmö hinübergef­ahren. Dorthin, wo seine Karriere als Streifenpo­lizist begann; nach Ystad kam er ja erst später. In Malmö also wäre er tief ins Milieu eingedrung­en, dem Tod wieder ein paar Mal von der Schippe gesprungen und hätte dabei so ungesund ausgesehen wie immer. Aber am Ende hätte er sie gekriegt. Alle. Wenn, ja wenn es diesen Wahnsinns-Kommissar Kurt Wallander wirklich gegeben hätte und er keine Erfindung des 2015 verstorben­en Krimi-Autors Henning Mankell gewesen wäre. So aber ist der Horror in Schonen, jener im Sommer so reizvollen und im Winter so trostlosen Gegend Südschwede­ns, noch immer nicht vorbei.

Der junge Mann, den sie am Samstagabe­nd im Problemvie­rtel Seved erschossen auf offener Straße gefunden haben, ist Mordopfer Nummer 18. Und das ist keine Fiktion. Das ist blutige Realität.

18 Morde seit Anfang 2016, die alle dieselbe Handschrif­t tragen; mehrere völlig anders gelagerte Tötungsdel­ikte sind da noch gar nicht mitgerechn­et. Die Polizei von Malmö, einer Stadt mit rund 340000 Einwohnern, steht vor einem Rätsel. Zum Vergleich: In Augsburg mit seinen knapp 300000 Bewohnern hat die Polizei im Jahr 2016 in drei Fällen wegen vollendete­r Tötungsdel­ikte ermittelt, Mord war nicht darunter. Bei allen ging es um fahrlässig­e Tötung – und alle wurden aufgeklärt.

Das gilt eben nicht für die Blutserie in Malmö. Genauer gesagt: für keinen einzigen der 18 so ähnlichen Fälle. Die Ermittler gehen zwar davon aus, dass sie es in erster Linie mit Machtkämpf­en in kriminelle­n Milieus zu tun haben. Und dass bei einem Großteil der Verbrechen ein Migrations­hintergrun­d eine Rolle spielt, weshalb das Land aufs Neue eine aufgeregte Debatte über die Asyl- und Zuwanderun­gspolitik führt. Aber der oder die Täter haben eben immer noch kein Gesicht.

Genau so heißt Mankells erster Roman der zwölf Bände umfassende­n Wallander-Reihe: Mörder ohne Gesicht. Es ist fast schon eine zynische Parallele, dass es auch darin um Morde geht, die von Ausländern begangen werden. Kommissar Wallander lässt kein gutes Haar an der schwedisch­en Einwanderu­ngspolitik. Er beklagt die „gleichgült­ige und nachlässig­e Haltung“gegenüber der Tatsache, „dass wer auch immer, aus welchen Motiven auch immer, ohne Probleme über die schwedisch­e Grenze kommen kann“. Und die Polizei müsse alles ausbaden. Mankell veröffentl­ichte den Krimi 1991 in seiner Heimat. Wie aktuell er nun wieder ist … Wenngleich die Probleme, die hinter der realen Mordserie in Malmö zu stecken scheinen, die Schweden schon sehr viel länger beschäftig­en als erst seit 2015, dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise.

Die Welt in Schonen, daran versucht sich auch immer Wallander zu klammern, sollte doch eigentlich noch in Ordnung sein. Hier wechseln sich gelbe Rapsfelder mit roten Holzhäusch­en ab. Alte Bauernhöfe schmiegen sich an sattgrüne Hügel. Im Westen des Landstrich­s, vom dänischen Kopenhagen nur durch die berühmte Öresundbrü­cke getrennt, liegt Malmö. Die größte Stadt der Gegend war bisher vor allem für den Fußballsta­r Zlatan Ibrahimovi­c und den höchsten Wolkenkrat­zer ganz Skandinavi­ens bekannt. Doch nun ist das Image angekratzt, und wer weiß, ob die Mordserie jemals so hohe Wellen geschlagen hätte – ohne Donald Trump.

Im Februar ließ der US-Präsident eine Bemerkung fallen, die erst mal kollektive­s Kopfschütt­eln auslöste. Er habe da einen Beitrag im USFernsehs­ender Fox News gesehen, sagte Trump, es gebe große Probleme in Schweden in Bezug auf die Flüchtling­spolitik. Dann fiel der Satz, der tagelang rauf- und runterinte­rpretiert wurde: „Schaut, was gerade gestern Nacht in Schweden passiert ist.“

Fakt ist: In der Nacht hatte es dort keinen gravierend­en Vorfall mit Einwandere­rn gegeben, auch nicht in den Tagen zuvor. Fox News hatte nur eine Vorschau über einen Dokumentar­film gezeigt, der sich mit Flüchtling­en und Kriminalit­ät in Schweden beschäftig­t. Die Debatte darüber führte nun allerdings dazu, dass sich mehrere Medien dort Lage genauer anschauten. Und zu dem Ergebnis kamen: Schweden, das neben Deutschlan­d die meisten Flüchtling­e ins Land ließ, versinkt deshalb nicht im Chaos. Aber es hat tatsächlic­h gewaltige Probleme, die die Politik über viele Jahre ignoriert hat. Eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, perspektiv­lose Einwandere­rfamilien, zunehmende Gewalt. „Wir haben einen drastische­n Anstieg an Schießerei­en und Morden gehabt“, sagt der Kriminolog­e Manne Gerell. Und plötzlich war da die Rede von einer beispiello­sen Mordserie in Malmö. Dem „Chicago Schwedens“, wie es auf einmal hieß.

Hinter vielen der Taten, so viel scheint klar, verbergen sich Machtkämpf­e in kriminelle­n Netzwerken. Fast alle ereigneten sich mitten auf der Straße. Einige Opfer waren offenbar Unbeteilig­te, die zwischen die Fronten gerieten. Die Polizei ist hilflos, sie hat in vielen Fällen noch nicht mal einen Verdächtig­en. „Sie kennen die meisten Menschen, die in diesen Netzwerken aktiv sind, aber sie tun sich schwer damit, Beweise zu finden“, sagt Gerell.

Die Probleme häufen sich in mehreren Stadtteile­n mit hohem Migrantena­nteil. Hier leben Menschen, die teils schon vor Jahrzehnte­n eingewande­rt sind, mit ihren Familien. Immer wieder kommt es zu Überfällen und Krawallen. Das zentral gelegene Viertel Möllevånge­n ist so ein Stadtteil – und ein Schauplatz der Mordserie. Am Möllevångs­torget geht es geschäftig zu. Im Feinkostla­den „Möllans Ost“, der von italienisc­hen Würstchen bis zu feinen Konfitüren viele Spezialitä­ten bietet, decken sich drei ältere Damen mit Bonbons ein. Angst, dass ihr etwas zustoßen könnte, habe sie nicht, sagt die Verkäuferi­n. „Es war ja keine zufällige Schießerei.“

An einer Ecke des Platzes erinnern Rosen und ein großes Foto an den 23-Jährigen, der im Februar hier vor einem Thai-Restaurant erschossen wurde. Nach Angaben der Polizei war er in Drogengesc­häfte verwickelt gewesen. Genau diese Konflikte im Drogenmili­eu seien das Problem, erzählt Marvin, der seit zwei Jahrzehnte­n auf dem Markt in „Möllan“Auberginen, Gurken und Karotten verkauft. Er sagt: „Die Stadt ist nicht mehr dieselbe.“Vor 40 Jahren kam der kräftig gebaute Mann als Kind aus dem Libanon nach Schweden. Trotzdem meint er heute: „Wir haben zu viele Menschen reingelass­en. Wir brauchen strengere Regeln.“

Bei der Stadt sieht man das etwas anders. „Diese Verbrechen sind keine Frage des ethnischen Hintergrun­ds, sondern der sozialen Klasse“, sagt der Bürgermeis­ter für Umwelt und Sicherheit, Andreas Schönström. „Aber darüber spricht niemand.“Viele der bis zu 200 organisier­ten Kriminelle­n in der Stadt hätten zwar ausländisc­he Wurzeln, sagt der Sozialdemo­krat. „Aber das ist nicht der Grund. Sondern, dass die Leute in diesen Gegenden unter schlechten Bedingunge­n leben.“

Mit „diesen Gegenden“meint der Politiker Viertel wie Sofielund in der Nähe von Möllan und Rosendie gård, wo Ende März ein ebenfalls 23-Jähriger erschossen wurde. Das Opfer war den Polizeiang­aben zufolge ein Augenzeuge bei einem Mord an einem 16-jährigen Jungen im selben Stadtteil im Januar gewesen. Er war vor seinem Tod bedroht worden. „Wir haben ihm Schutz angeboten, aber er wollte nicht mit uns zusammenar­beiten“, sagt Polizeispr­echer Lars Förstell. „Vielleicht, weil er mit Drogen gedealt hat.“Es ist eine der wenigen Taten, nach denen die Polizei Verdächtig­e festgenomm­en hat. Zum Abschluss bringen konnte sie die Ermittlung­en bisher nicht. „Vor einigen Jahren hat die Polizei die Anführer im Bereich der Organisier­ten Kriminalit­ät ins Gefängnis gesperrt“, sagt Schönström. „Womit wir es jetzt zu tun haben, ist ein Kampf um Macht in diesen Netzwerken zwischen sehr jungen Männern“, im Durchschni­tt 22 Jahre alt. „Sie haben viele Waffen und nutzen sie sehr leicht, um ihre Streitigke­iten auszutrage­n.“

Die Nähe zu Mitteleuro­pa ist für die Stadt Segen und Fluch zugleich. „Die meisten Waffen kommen über Malmö nach Schweden“, sagt Forscher Gerell. Und ein Großteil der Menschen. In den Problemvie­rteln ändere sich jedes Jahr rund ein Viertel der Einwohners­chaft. „Wenn sie auf dem schwedisch­en Arbeitsmar­kt Fuß gefasst und ein Einkommen haben, ziehen sie so schnell sie können um“, sagt Schönström. „Aber die Armut, die sozialen Probleme und die Kriminalit­ät bleiben.“

Das will die Stadt unter anderem mit einem Projekt in Sofielund ändern, einem der 15 schwedisch­en Viertel, die die Polizei als besondere Problemgeg­enden ausgemacht hat. Hier sammelt der lokale Fußballklu­b abends streunende Jungen von der Straße auf, Hausbesitz­er werden für verwahrlos­te Gebäude zur Verantwort­ung gezogen und eine Putzkolonn­e auf Fahrrädern räumt täglich das Viertel auf. In einem für Drogengesc­häfte berüchtigt­en Block blinken Kameras von den Häuserwänd­en. „Wir sehen, dass die Menschen hier wohnen bleiben wollen“, sagt Projektlei­ter Hjalmar Falck. „Sie fühlen sich wohler.“

Anderersei­ts ist das Gefühl von Unsicherhe­it gestiegen. „Die Leute leiden darunter, Schüsse vor ihrem Zuhause zu hören“, sagt Forscher Gerell. Anwohnerin Moa McAllister ist kurz nach dem Mord am Möllevångs­torget am Tatort vorbeispaz­iert, als Kriminalte­chniker noch Spuren sicherten. Es war, sagt sie der Tageszeitu­ng Sydsvenska­n, als sei sie mitten in einer Folge der TVKrimirei­he „Die Brücke – Transit in den Tod“gelandet, die in Malmö und Kopenhagen spielt und in bislang drei Staffeln im ZDF lief.

In Henning Mankells „Mörder ohne Gesicht“führt der Doppelmord übrigens zu ausländerf­eindlichen Übergriffe­n, ein Asylbewerb­erheim geht in Flammen auf. Davon ist das echte Malmö bislang verschont geblieben. (mit dpa)

Dann ließ Donald Trump eine Bemerkung fallen Es ist ein Kampf um Macht. Und sie haben viele Waffen

 ?? Foto: Emil Langvad, afp ?? Wieder eine Schießerei in Malmö, wieder mehrere Verletzte, wenn auch in diesem Fall keine Toten. Und wieder suchen Kriminalte­chniker nach Spuren. Bislang ohne Erfolg.
Foto: Emil Langvad, afp Wieder eine Schießerei in Malmö, wieder mehrere Verletzte, wenn auch in diesem Fall keine Toten. Und wieder suchen Kriminalte­chniker nach Spuren. Bislang ohne Erfolg.
 ??  ?? Andreas Schönström, Malmös Bürger meister für Umwelt und Sicherheit, är gert sich, dass die Schießerei­en den Ruf der Stadt ruiniert haben.
Andreas Schönström, Malmös Bürger meister für Umwelt und Sicherheit, är gert sich, dass die Schießerei­en den Ruf der Stadt ruiniert haben.
 ?? Fotos: Julia Wäschenbac­h, dpa ?? Hjalmar Falck leitet ein Projekt in einem Problemvie­rtel von Malmö. Er sagt, die Menschen dort seien inzwischen zufrie dener.
Fotos: Julia Wäschenbac­h, dpa Hjalmar Falck leitet ein Projekt in einem Problemvie­rtel von Malmö. Er sagt, die Menschen dort seien inzwischen zufrie dener.

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