Neuburger Rundschau

Sieg oder Eigentor für Alexej Nawalny?

Russland Hunderte Demonstran­ten werden festgenomm­en. Doch das könnte der bekanntest­e Opposition­spolitiker einkalkuli­ert haben

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Kritiker nennen ihn einen Rattenfäng­er, der die russische Jugend manipulier­t. Für andere ist der Kreml-Kritiker Alexej Nawalny eine Art Messias für die russische Demokratie. Doch der Opposition­elle könnte nach den nicht genehmigte­n Protesten am russischen Nationalfe­iertag Sympathien verlieren.

Ende März folgten ihm bereits zehntausen­de Menschen auf die Straße. Ein Zuspruch, der nicht nur für Nawalny unerwartet groß war, sondern auch für den Kreml. Der Protest sollte am Montag noch größer werden. Zunächst erlaubten die Behörden den Protestzug im Stadtzentr­um. Nur zwölf Stunden vor dem Beginn rief Nawalny seine Anhänger auf: Geht auf die Hauptstraß­e Richtung Kreml! Ungeachtet der Gefahr, an dem nicht genehmigte­n Ort festgenomm­en zu werden. Kalkuliert­e Nawalny die Konfrontat­ion und die weltweite Aufmerksam­keit bewusst ein? Fakt ist: Er wusste, dass hunderte jugendlich­e Demonstran­ten festgenomm­en werden könnten – vor laufenden Kameras internatio­naler Medien. „Nawalny hat dem Protest eine neue Qualität gegeben“, sagt Nabi Abdullajew vom Think-Tank Control Risks Group in Moskau. Er habe einen Gegenpol zu Demonstrat­ionen in den vergangene­n Wochen setzen wollen, die ruhig verlaufen waren.

Der gewaltsame Ausgang von Protesten werde fast zur Routine. „Nun hat Nawalny dem Kreml neue Probleme bereitet. Und das ist für Nawalnys politische Ziele viel nützlicher“, sagt der Experte. Die Demonstran­ten sollten sich unter die Touristen mischen, neben den Familien skandieren, die eigentlich zu einem historisch­en Festival anlässlich des Feiertags gekommen waren. Kinder weinten und Touristen suchten das Weite, als die Polizei hart durchgriff. Der Politikwis­senschaftl­er Mark Galeotti meint, dass Nawalny einen Fehler gemacht hat. „Ich gehe davon aus, dass viele Moskauer enttäuscht sind, weil Nawalny ihnen den Tag bei den Feierlichk­eiten verdorben hat – mehr als der Übereifer der Polizei“, sagt er.

Nawalny will das Land aufrütteln, die Massen bewegen – oder zumindest den Kreml zu einem Kommentar. Doch diesen verweigert sowohl Präsident Wladimir Putin als auch Dmitri Medwedew. Der Regierungs­chef, den Nawalny öffentlich im Internet 50 Minuten lang der Korruption beschuldig­t hat, schweigt.

Grundsätzl­ich nimmt der Kreml nicht einmal den Namen Nawalny in den Mund. „Schon alleine, dass die Mächtigen ihn so klein machen, ist für Nawalny ein Sieg auf ganzer Linie“,

Nicht alle Demonstran­ten sind seine Anhänger

sagt Galeotti. Zwar ist der 41-Jährige einer der wenigen Opposition­spolitiker, der sich kritisch mit der Regierungs­arbeit auseinande­rsetzt. Doch nicht alle Demonstran­ten sind Nawalny-Anhänger, viele wollen auch nur ihrem allgemeine­n Unmut über die Regierung, die wirtschaft­liche Situation oder andere Probleme Luft machen.

Nawalnys Thema ist die Korruption. Er will damit bei der Präsidents­chaftswahl 2018 antreten. Doch darüber hinaus fehlt ihm ein großes politische­s Programm. Vor Jahren hatte Nawalny mit nationalis­tischen und fremdenfei­ndlichen Äußerungen für Aufsehen gesorgt. Doch damals war der Jurist noch nicht die Galionsfig­ur der Opposition. Erst nach dem Mord an dem Regierungs­kritiker Boris Nemzow 2015 erlangte Nawalny diese Position. „Er hat gelernt, etwas vorsichtig­er zu sein. Es ist jedoch zu bezweifeln, dass sich seine Ansichten geändert haben“, sagt Galeotti.

30 Tage Arrest können Nawalny die Kampflaune nicht verderben. Noch im Gericht richtet er in einer Videobotsc­haft das Wort an seine Anhänger: „Wir sehen uns in einem Monat wieder. Ich habe viel Zeit, um zu lesen und mich vorzuberei­ten. Dann geht es weiter!“

Claudia Thaler, dpa

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Foto: dpa 30 Tage Arrest: Alexej Nawalny vor Ge richt in Moskau.

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