Neuburger Rundschau

Der Täter feuert das ganze Magazin leer

Verbrechen Die Schüsse auf eine Polizistin in München machen die Ermittler ratlos. Am Ende dieser sinnlosen Tat bleiben viele Fragen, viele Zeugen und viele Menschen, die ans Ziel kommen müssen

- VON GIDEON ÖTINGER

Hubschraub­er. Blaulicht. Sperrbände­r. Schüsse sind gefallen. Großeinsat­z der Polizei am Bahnhof Unterföhri­ng bei München. Der erste Gedanke – wie so oft in diesen Zeiten: War es Terror? Doch die Polizei kann zumindest das ausschließ­en. Es ist eine zunächst gewöhnlich­e Schlägerei in der S-Bahn, die eskaliert. Und die der Münchner Polizeiprä­sident Hubertus Andrä später als „sinnlose Tat“bezeichnen wird. Die Bilanz: vier Verletzte, darunter eine lebensgefä­hrlich verletzte Polizeibea­mtin.

Der Münchner Stadtteil Unterföhri­ng im Nordosten der Landeshaup­tstadt ist für sein Medienzent­rum bekannt. Viele große Fernsehsen­der haben hier ihren Sitz. Morgens herrscht auf der S-Bahn-Linie 8 Hochbetrie­b. Sie führt nicht nur nach Unterföhri­ng, sondern ist auch die Verbindung zum Flughafen. Es ist 8.20 Uhr, als bei der Polizei mehrere Notrufe eingehen. Fahrgäste

In der S Bahn sitzen bis zu 700 Menschen

berichten von einer Schlägerei in der S-Bahn. Als die Bahn in Unterföhri­ng stoppt, warten bereits zwei Beamte der Polizeiins­pektion Ismaning am Gleis. Es ist ein Routineein­satz für die 26-jährige Polizeikom­missarin und ihren 30 Jahre alten Kollegen. Sie halten die beiden Streithähn­e auseinande­r. Dann fährt die nächste S-Bahn ein, darin sitzen bis zu 700 Fahrgäste. Plötzlich geht einer der beiden Männer – ein 37-jähriger Deutscher – auf den Polizisten los und versucht, ihn vor die Bahn zu stoßen. Es kommt zu einer Rangelei am Boden. Der Mann greift sich die Pistole des Polizisten, zieht sie aus dem Holster, löst die Sicherung und schießt um sich – bis das ganze Magazin leer ist.

Die 26-jährige Polizistin schießt auf den Mann, trifft ihn. Er schießt auf sie – sie wird am Kopf getroffen. Querschläg­er verletzen zwei Unbeteilig­te, erklärt Polizeispr­echer Marcus da Gloria Marins. Sie erleiden Durchschüs­se am Arm und am Bein. Der Angreifer flieht verletzt. Er wird kurz darauf vor einem Bürogebäud­e festgenomm­en.

Einmal mehr wird damit ein Bahnhof Schauplatz einer Gewalttat. Erst vor einem Jahr hat ein Amokläufer am S-Bahnhof Grafing bei München einen Menschen getötet und drei verletzt. In Berlin attackiert­en kürzlich drei Jugendlich­e einen Mann, der sie für ihr rüpelhafte­s Verhalten gerügt hatte. 2009 starb am Münchner S-Bahnhof Solln der Geschäftsm­ann Dominik Brunner, als er sich schützend vor Kinder stellte und in eine Schlägerei mit Jugendlich­en verstrickt wurde.

Was nun sind die Gründe in Unterföhri­ng, wer ist der Mann, der schoss? Aus Oberbayern stammend. Derzeit ohne Wohnsitz in Deutschlan­d. Zum Zeitpunkt der Tat wohl nicht betrunken – jedenfalls nicht schwer. Ob Drogen oder Alkohol im Spiel waren, müssen Untersuchu­ngen klären. Vor einigen Jahren war er von der Polizei mit einer kleinen Menge Cannabis aufgegriff­en worden. Das Verfahren wurde wegen Geringfügi­gkeit eingestell­t. Jetzt wird gegen ihn wegen versuchten Mordes ermittelt. Der Haftbefehl sei beantragt, sagt der Sprecher der Staatsanwa­ltschaft.

Der Verkehr in und um Unterföhri­ng kommt zum Erliegen. Der Bahnhof wird geschlosse­n, der S-Bahn-Betrieb steht still. In der S 8 in Richtung Flughafen fragen sich die Passagiere, wie sie ihren Flieger jetzt bekommen sollen. Die Bahn hat schnell reagiert und einen Schienener­satzverkeh­r eingericht­et. Tahier xis warten auf die Passagiere und bringen sie zwei Stationen weiter.

Vor Ort stehen dutzende Polizeiaut­os, zwischenze­itlich kreisen Hubschraub­er am Himmel. Der Bereich rund um den Bahnhof ist abgesperrt. Die Ermittler beginnen mit ihrer Arbeit. Etwa 200 Zeugen müssen vernommen werden. Dafür hat die Polizei eine „Zeugensamm­elstelle“eingericht­et. In der Sammelstel­le geht es nicht nur um die Vernehmung der Zeugen, sondern auch darum, die Menschen psychologi­sch zu betreuen – auch Polizisten, die geschockt sind und um das Leben ihrer jungen Kollegin bangen. Am Abend meldet sich Ministerpr­äsident Horst Seehofer zu Wort. „Ich hoffe und bete dafür, dass sie das übersteht“, sagt er bei einer Wahlkampfv­eranstaltu­ng. „Es gibt überhaupt keine Rechtferti­gung dafür, dass man einen Polizeibea­mten angreift, versucht ihn ins Gleis zu schubsen, die Pistole entreißt, das Magazin leer schießt und eine Polizistin lebensgefä­hrlich verletzt.“Das habe auch etwas mit Respekt vor dem Staat zu tun. (mit dpa)

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Foto: Peter Kneffel, dpa Ein Großaufgeb­ot der Polizei sichert den S Bahnhof Unterföhri­ng. Auch das Sondereins­atzkommand­o (SEK) ist im Einsatz.
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Foto: dpa Die Polizei Pistolen sind im Holster spe ziell gesichert.

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