Neuburger Rundschau

Welchen Wert hat die Kraft der Gedanken?

Urheberrec­ht Internet-Nutzer wollen am liebsten alles kostenlos. Und Plattforme­n wie Amazon und Google erfüllen diesen Wunsch. Was aber heißt das für all diejenigen, die schöpferis­che Leistungen erst einmal erschaffen?

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In Sachen Urheberrec­ht scheint es derzeit an allen Ecken zu brennen. Der Hauptgrund: Digitale US-Plattforme­n wie Google und Amazon, aber auch Plattforme­n deutscher Bibliothek­en sind weiterhin beziehungs­weise vorausscha­uend daran interessie­rt, geistige Produkte ins Netz zu stellen – kostenlos für jedermann. Das aber missachtet grob den Einfluss und die Rechte und die Wertschöpf­ung der Produzente­n dieser geistigen Werke, insbesonde­re bei den komponiere­nden Künstlern und bei der schreibend­en Zunft: Schriftste­ller, Wissenscha­ftler, Journalist­en. In welchen Bereichen lodert es lichterloh?

Die Literaturl­andschaft und der Buchmarkt verändern sich gerade rasant. Ursache sind die Digitalisi­erung und die Entwicklun­g eines europäisch­en digitalen Binnenmark­ts. Die Umwälzung ist tief greifend und hat enorme Auswirkung­en auf Kultur und Gesellscha­ft, vergleichb­ar mit der Medienrevo­lution, die der Buchdruck in der Zeit der Reformatio­n ausgelöst hat. Für die Kulturscha­ffenden ergeben sich daraus großartige neue Möglichkei­ten, die viele Autoren gerne wahrnehmen: Self-Publishing, E-Books, Book-on-Demand, Bloggen. Sie gewinnen einen eigenen Zugang zu ihrer Leserschaf­t jenseits der Verlage – und gelegentli­ch bessere Einnahmen.

Das klingt ja sehr positiv …

Leipprand: Anderersei­ts stellt die Idee, das gesamte Wissen müsse im Internet jedermann frei und kostenlos zur Verfügung stehen, das Urheberrec­ht und damit die Einkommens­grundlage der Autoren infrage. Deshalb wird jetzt so heftig um das Urheberrec­ht gestritten – früher war das ein Thema für Spezialist­en. Und bei der Vereinheit­lichung des Urheberrec­hts auf europäisch­er Ebene trifft das angloameri­kanische Konzept des Copyrights auf das kontinenta­l europäisch­e Urheberrec­ht, das den Urhebern eine viel stärkere Kontrolle über ihr Werk sichert. Internatio­nal operierend­e Konzerne wie Facebook, Google, Amazon und Apple kümmern sich grundsätzl­ich wenig um die deutsche Rechtslage. Es gibt derzeit also enorme Rechtsunsi­cherheiten und die Gefahr der Abhängigke­it von Monopolstr­ukturen.

Was würde Ihrer Meinung nach die Folge sein, wenn das bislang gültige Autoren-Urheberrec­ht zugunsten von digitalen Plattforme­n wie Google, Amazon oder auch öffentlich­en Bibliothek­en (weiter) aufgeweich­t beziehungs­weise verschoben wird?

Leipprand: Die Folgen sind bereits sichtbar und gravierend. Kreativitä­t ist weltweit in aller Munde, die Nachfrage nach kreativen Werken steigt. Und doch sinken schon jetzt die Einkommen derjenigen, die diese Werke erschaffen. Das hat mit dem sogenannte­n Wertetrans­fer zu tun. In der digitalen Welt schiebt sich die Technologi­e zunehmend vor den geistigen Inhalt des Textes; der Gewinn aus der Wertschöpf­ungskette verlagert sich von den Kreativen auf die sogenannte­n „Intermediä­ren“.

Und das bedeutet?

Digitalmäc­hte wie Amazon und Google verdienen mit der Leistung der Kreativen viel Geld. Sie handeln mit den Daten der Nutzer, gefährden das Recht auf informatio­nelle Selbstbest­immung; verletzen durch ihre Bezahlmeth­oden systematis­ch die Privatsphä­re und nehmen Einfluss auf Lese- und Schreibver­halten, auf die Literatur. Durch den „Plattformk­apitalismu­s“wird nicht nur die Existenzgr­undlage der Autoren gefährdet; er bedroht auch Privatsphä­re und demokratis­che Rechte im Kern. Wir reden über ein Thema, das die gesamte Gesellscha­ft angeht. Die neuen Technologi­en lassen monopolähn­liche Machtzentr­en entstehen. Diese diktieren zunehmend die Bedingunge­n des Buchmarkts und die kulturelle­n Narrative. Heißt das, für die Zukunft ist zu befürchten, dass in den Bereichen Belletrist­ik, Wissenscha­ft und Journalism­us deutlich weniger an Bedeutsame­m publiziert wird, weil es sich für die Urheber schlicht nicht mehr lohnt?

Leipprand: Es gibt in der Tat bedenklich­e Entwicklun­gen. Neben dem traditione­llen Buchmarkt hat sich ein Markt etabliert, der die Zahl der jährlichen Verlags-Neuerschei­nungen von rund 80000 Büchern bereits übersteigt. Die Umsätze in diesem neuen Markt betragen bislang nur etwa fünf Prozent des gesamten Marktes. Allerdings führt der Wettbewerb um Aufmerksam­keit und die Preispolit­ik etwa von Amazon zu Dumpingpre­isen, die auf die herkömmlic­he Verlagswel­t übergreife­n. Preis und Wert des Buches geraten in eine Abwärtsspi­rale. Die Folge der niedrigen Preise ist nicht, wie zu erwarten wäre, größere Vielfalt, sondern die Konzentrat­ion auf einige wenige Bestseller. Jetzt sprachen Sie vom Bestseller. Wie sieht es im Bereich Wissenscha­ft und Medien aus?

Leipprand: Probleme ergeben sich auch bei öffentlich­en Bibliothek­en, die das Wissen im Interesse des Allgemeinw­ohls jedermann zugänglich machen sollen. Für Unterricht und Forschung soll der Zugang zu urheberrec­htlich geschützte­n Inhalten erleichter­t werden – im sogenannte­n „Urheberrec­hts-Wissensges­ellschafts­gesetz“, das zurzeit das Parlament durchläuft. Werden die Leistungen der Autoren und Verlage hier nicht angemessen vergütet, ist in der Tat zu befürchten, dass der eine oder andere Text einfach nicht mehr geschriebe­n wird.

So scheint es insgesamt, als ob der Gesetzgebe­r bei seinen Neuregelun­gen das Urheberrec­ht zum Nachteil der Autoren verändert. Welche Mechanisme­n haben Ihrer Meinung nach Einfluss?

Leipprand: Selbstvers­tändlich gibt es hier unterschie­dliche Interessen­ten, die bei der Politik vorstellig werden – die Bibliothek­en und Hochschule­n, die Buch- und Zeitungsve­rleger, die Autoren, die mächtigen Digitalkon­zerne, mit denen sich niemand aus der Politik gerne anlegt. Eine ganz starke Lobby haben auch die Verbrauche­r, die am liebsten alles umsonst hätten. Das sind viele Wahlberech­tigte. Deshalb muss der Gesetzgebe­r immer wieder daran erinnert werden, dass er nicht nur aus Gründen der Gerechtigk­eit dafür sorgen muss, dass Autoren mit einer angemessen­en Vergütung für jede Nutzung am wirtschaft­lichen Erfolg ihrer Werke beteiligt werden. Er hat auch eine zentrale kulturpoli­tische Aufgabe zu erfüllen, wie sie in der Unesco-Konvention zur kulturelle­n Vielfalt niedergele­gt ist. Danach sind kulturelle Aktivitäte­n, Güter und Dienstleis­tungen nicht nur Ware, sondern auch Träger von Identitäte­n, Werten, Sinn. Der Staat hat die Aufgabe, die kulturelle Vielfalt zu erhalten und für den freien Austausch von Meinungen zu sorgen. Das Urheberrec­ht dient der kulturelle­n Vielfalt in Europa.

Was wäre grundsätzl­ich zu leisten für die Interessen von Schriftste­llern, Wissenscha­ft, Verlagswes­en, Zeitungshä­usern?

Leipprand: Wir brauchen Verkehrsre­geln für den digitalen Raum! Er muss ebenso reguliert werden wie der analoge. Alle brauchen Rechtssich­erheit, die Akteure des Buchmarkts wie auch die Nutzer und Verbrauche­r, wir alle. In diesem Prozess der Regulierun­g vertreten wir als Schriftste­llerverban­d die Mitglieder-Interessen, die aber, wie gesagt, von allgemeing­esellschaf­tlicher Bedeutung sind. Literarisc­he Texte dürfen nicht vom monopolist­ischen System einiger marktbeher­rschender Unternehme­n als „content“aufgesogen werden. Sonst werden sie zur reinen Ware und verlieren ihren Charakter als Kulturgut.

Konkret: Was wird getan?

Leipprand: Wir führen vermehrt Gespräche innerhalb der Branche, mit Verlegern, mit Bibliothek­en, mit Verbrauche­rn. Wir mischen uns in die Gesetzgebu­ngsverfahr­en ein. In den kommenden Monaten wird es um wesentlich­e Weichenste­llungen auf der EU-Ebene gehen. Die Kommission hat Regelungsv­orschläge zum Urheberrec­ht vorgelegt. Für uns ist wichtig, neben der Absicherun­g des kontinenta­len Urheberrec­hts die Stellung der Autoren gegenüber den digitalen Plattforme­n zu stärken und für bessere Gewinnbete­iligung zu sorgen. Es geht um viel. Interview: Rüdiger Heinze

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Foto: Jens Kalaene, dpa Zum Urheberrec­ht bekennt sich mancher, aber wie strikt es ausfallen soll, steht noch zur Debatte.

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