Neuburger Rundschau

Haftstrafe nach Feuerattac­ke auf Obdachlose­n

Prozess Haupttäter muss knapp drei Jahre ins Gefängnis. Staatsanwa­lt wollte härteres Urteil

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Der schmächtig­e Mann mit den dunklen Haaren blickt im Saal B129 des Berliner Landgerich­ts betreten zu Boden. Knapp ein halbes Jahr nach der Feuerattac­ke gegen einen schlafende­n Obdachlose­n hat er am Dienstag eine Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten kassiert. Zu der Tat in der Weihnachts­nacht 2016, die ganz Deutschlan­d erschütter­te, sagt Richterin Regina Alex im Urteil: „Es gibt kein Motiv, sie haben sich gelangweil­t.“Fünf Mitangekla­gte im Alter von 16 bis 19 Jahren bekommen Bewährungs­strafen wegen Beihilfe sowie vierwöchig­en Jugendarre­st wegen unterlasse­ner Hilfeleist­ung. Ein siebter war schon zuvor zu zweiwöchig­em Jugendarre­st verurteilt worden.

Nur der 21-Jährige wird nach Erwachsene­n-Strafrecht verurteilt und bleibt hinter Gittern. Die jungen Männer aus Syrien und Libyen hätten sich nur flüchtig gekannt, heißt es im Urteil. Der 21-Jährige habe an dem Abend den „großen Macker und Alleinunte­rhalter“gegeben, sagt die Richterin. Als er ein brennendes Taschentuc­h neben den Kopf des Obdachlose­n im Kreuzberge­r U-Bahnhof Schönleins­traße legte, habe er „Verletzung­swillen“gehabt. „Jeder weiß um die Gefährlich­keit von Feuer.“

Drei junge Männer leisteten laut Urteil psychische Beihilfe. Ohne die Zuschauer wäre es demnach wohl nicht zu dem Angriff gekommen. „Es war eine sehr gefährlich­e, eine bösartige Tat. Das Opfer war eines der schwächste­n Mitglieder der Gesellscha­ft“, so Richterin Alex. Sein Rucksack, auf dem er lag, brannte schon. Doch der ahnungslos­e Mann aus Polen blieb unverletzt. Fahrgäste einer gerade einfahrend­en Bahn löschten die Flammen.

Die große Frage des Prozesses war: Versuchte Tötung oder nicht? Angeklagt war gemeinscha­ftlicher versuchter Mord. Doch der Vorwurf ließ sich nach Ansicht des Gerichts nicht halten. Der Hauptangek­lagte bekam seine Strafe nun wegen versuchter gefährlich­er Körperverl­etzung – was juristisch nicht so schwer wiegt wie ein Mordversuc­h. Alle sechs hatten im Prozess einen Tötungsver­such bestritten.

Für die Staatsanwa­ltschaft dürfte das Urteil eine herbe Schlappe sein. Sie hatte sich auf verschiede­ne Perspektiv­en aus Videokamer­as gestützt. Für den Haupttäter hatte die Anklagebeh­örde eine Haftstrafe von vier Jahren wegen versuchten Mordes gefordert. Die Behörde will eine Revision prüfen.

Staatsanwa­lt Martin Glage hatte zum Prozessauf­takt betont, die jungen Männer hätten billigend in Kauf genommen, dass der damals 37-Jährige hätte „qualvoll verbrennen“können. Eine geplante Tötung schloss er zwar aus. Doch: „Sie haben die Tat relativ gelassen durchgefüh­rt. Was mit dem Opfer geschah, war ihnen egal“, sagte Glage.

Die Männer hatten sich die Kapuzen über ihre Köpfe gezogen und waren vom Tatort geflüchtet. Die Verteidige­r der Angeklagte­n waren der Ansicht, es sei in der Öffentlich­keit ein nicht zutreffend­es Bild gezeichnet worden. Es habe keine lebensgefä­hrliche Tat gegeben.

Anne Baum und Jutta Schütz, dpa

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