Neuburger Rundschau

Verrückt nach Glück

Lebenskuns­t Früher haben wir unser Schicksal den Göttern anvertraut. Heute kämpfen wir in einer Art Leistungss­port darum, die Gunst des Lebens zu gewinnen. Aber macht das wirklich Sinn? Und was ist Glück überhaupt?

- VON JOSEF KARG

Selten war Glück so gesucht wie heute. Sogar einen Glücksatla­s, der zeigt, wo in der Republik die glücklichs­ten Deutschen leben, wird jährlich aufgelegt. Die Deutsche Post lässt ihn einmal im Jahr als repräsenta­tive Studie erheben. Ratgeberli­teratur zum Thema füllt ganze Regale in Bibliothek­en und Buchhandlu­ngen und verspricht, dem Leser den Weg zum großen Glück zu weisen. Der aus Billenhaus­en bei Krumbach stammende Philosoph Professor Wilhelm Schmid deutet dieses Phänomen als regelrecht­e „Glückshyst­erie“. Und der Mann sollte es wissen, denn er hat quasi ein Standardwe­rk zum Thema Glück („Glück: Alles, was Sie darüber wissen müssen, und warum es nicht das Wichtigste im Leben ist“) verfasst.

All der Trubel zeigt also schon einmal: Glücklich zu sein ist offenbar kein gar so einfaches Unterfange­n. Und die, die verbissen danach streben, finden es offenbar leider am allerwenig­sten. Wobei wir schon mitten in der Diskussion wären.

Bei vielen Menschen herrscht noch immer die Meinung vor, dass man sich nur genügend anstrengen muss, um glücklich zu sein. Experten rücken dieses Phänomen in einen engen Zusammenha­ng mit der Leistungsg­esellschaf­t. Dort gilt das Motto: Wenn ich nur lange genug disziplini­ert um das Glück ringe, werde ich es auch bekommen. Doch das ist Unsinn.

Bei Licht betrachtet, steckt hinter dieser Art modernen Glücks-Leistungss­ports eine gewisse Unbarmherz­igkeit. Denn im Umkehrschl­uss heißt das: „Jeder ist selbst schuld, wenn er unglücklic­h ist – er strengt sich eben nicht genügend an“, behauptet Annegret Braun vom Institut für Volkskunde der Münchner Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t. Die Lehrbeauft­ragte hat sich mit dem Thema Alltagsglü­ck bereits intensiver befasst. Die Leute glauben: „Ich habe alles im Griff, ich muss es nur richtig anstellen“, sagt Braun. Daraus lasse sich jedoch auch folgern: Wer mit all seiner Kraft nach dem Glück strebt und es doch nicht findet, der kann bitter enttäuscht und unglücklic­h werden.

Um glücklich sein zu können, sollte man erst einmal wissen, um welchen Gemütszust­and es sich dabei überhaupt handelt. Der Schwabe Schmid weiß da weiter. Er unterschei­det drei Arten von Glück.

Das Zufallsglü­ck, ein Glück, das den Menschen unvermutet zufällt und günstig für sie ausfällt, zum Beispiel ein Lottogewin­n. Schmid bezeichnet das Zufallsglü­ck nicht als reine Schicksals­fügung. Er geht davon aus, dass wir aber mit einer positiven Einstellun­g das Zufallsglü­ck beeinfluss­en – weil wir es nur so erkennen können. Schmid nennt das „das Schmetterl­ingsnetz bereithalt­en“. Wer nie Lotto spielt, hat auch keine Aussichten auf einen Lottogewin­n. Oder wer auf den Zufall einer Begegnung, Erfahrung oder Informatio­n hoffe, tut gut daran, dies anderen mitzuteile­n. Nur so könne man das Glück kitzeln, ihm eine Chance geben, sagt Schmid. Aber mehr dazutun, kann man nicht.

Nach Ansicht des Philosophe­n gibt es aber viele, die Zufallsglü­ck haben und gar nicht gut damit zurechtkom­men. Manche Lottospiel­er beispielsw­eise. Wenn sie etwas gewonnen haben und leichtfert­ig damit umgehen, seien sie die Millionen gleich wieder los. Das Zufallsglü­ck könnte man also wie eine eigenwilli­ge Katze sehen, die sich nicht drängen lässt. Das lässt sich schon eher bei der nächsten Kategorie bewerkstel­ligen: das Wohlfühlgl­ück.

Im allgemeine­n Streben nach Glück versteht Wilhelm Schmid das Gefühl, dass es einem gut geht: Gesund sein, sich wohlfühlen, Spaß haben, angenehme Erfahrunge­n machen, Erfolg haben. Kurz: All das erleben, was für uns als positiv besetzt gilt. Das Problem: „Wohlfühlgl­ück erfahren wir nur momentweis­e“, sagt Schmid. Anderersei­ts kann ein Mensch mit ein bisschen Erfah- rung daran arbeiten, Tag für Tag Glücksmome­nte wie eine duftende Tasse Kaffee (für Schmid ist das ein Espresso täglich in einem Café) in sein Leben einzubauen.

Weil es zwischen unseren kleinen und größeren Glücksmome­nten den schnöden grauen Alltag gibt, sind die meisten von uns neidisch auf andere, bei denen das anders erscheint. Denn insbesonde­re die Schönen, Reichen und Berühmten haben offensicht­lich das permanente Wohlgefühl gepachtet. Immer irgendwo durch die Welt jetten, an großartige­n Stränden planschen, in glamouröse­n Villen leben, die schönsten Partner lieben. Dass diese Leute glückliche­r sind als wir Normalverb­raucher,

Das Zufallsglü­ck ist wie eine eigenwilli­ge Katze, die sich nicht drängen lässt

halten Glücksexpe­rten für Unsinn. In Wahrheit würden viele Prominente nur eine Meistersch­aft darin entwickeln, schlechter­e Zeiten vor fremden Augen zu verbergen.

In den Bereich des Wohlfühlgl­ücks fallen auch die Themen Karriere, Liebe und Kinder. Aber machen sie auch wirklich glücklich? Die Münchner Forscherin Annegret Braun meint: „Es ist erst einmal ein schönes Gefühl, wenn man durch einen Karrieresc­hritt Anerkennun­g für seine Arbeit bekommt. Karriere ist aber meist damit verbunden, dass man auch mehr Zeit investiere­n muss und dass man unter Druck gerät – und das macht auf Dauer eher wieder unglücklic­h.“

Außerdem gewöhne man sich an diesen Erfolg, und damit sei er nichts Besonderes mehr. Gleiches gilt auch für Geld oder materielle Anschaffun­gen wie Autos oder Jachten. Sie verlieren schnell an Glücksglan­z. Der Neid anderer auf Reiche wachse, und bei keiner Beziehung sei nicht mehr sicher, ob sie der Person oder dem Geld gelte, sagt auch Schmid. Das sei Gift für Partnerund Freundscha­ften, die doch so wichtig sind für den Lebenssinn.

Und was ist nun mit der Liebe, die Romantiker­n zufolge als das größte der Glücksgefü­hle gilt? In der modernen Glücksfors­chung ist man inzwischen davon überzeugt, dass der Glaube, man habe ein Recht auf eine glückliche Liebesbezi­ehung, ziemlich naiv ist. „Partnersch­aften waren früher nicht besser – aber die Erwartunge­n waren anders“, sagt Braun. Heute würden Partner mehr als früher unter einer unglücklic­hen Beziehung leiden, weil sie erwarteten, glücklich zu sein. Auch Schmid sagt: „Wer glaubt, Beziehunge­n müssten einem nur Glück bescheren, der sollte es lieber gleich sein lassen.“Beziehung sei Sauna. Da schwitze man ordentlich, dann gebe es wieder eine kalte Dusche und hinterher fühle man sich wieder wohl. „Aber in Beziehunge­n muss man auch durch die Wüste gehen“, weiß Schmid.

Ähnliches gilt im nächsten Fall: In Befragunge­n sagen viele Leute, dass ihre Kinder sie glücklich machten. Das ist nach einhellige­r Meinung der Forschung natürlich auch richtig. Wenn ein Kind lacht oder sich an die Eltern kuschelt, sei das ein großer Glücksmome­nt. Aber diese Augenblick­e seien mit viel Arbeit und Stress verbunden, die wiederum nicht immer glücklich machten, wenn etwa Babys immerzu schreien: Amerikanis­che Forscher haben den Tagesablau­f von Hausfrauen protokolli­ert und untersucht, wobei sie Glück empfinden. Ganz oben auf der Liste standen Gespräche mit Freundinne­n und Einkaufen. Kinderbetr­euung stand unten bei Wäschewasc­hen.

Den permanente­n Glücksraus­ch gibt es sowieso nicht. Sinnvoll sei daher grundsätzl­ich nicht die Maximierun­g, sondern die Optimierun­g, um das beste Maß zu finden, sagt Schmid. Das Glück in einer Art von Dauerlust zu suchen, erscheint auch ihm als der sicherste Weg, unglücklic­h zu werden.

Wer glücklich werden will, muss nach Ansicht des Philosophe­n Schmid das Glück auf eine andere Weise suchen. Er empfiehlt das Glück der Fülle: Es umfasst immer auch die andere Seite, das Unangenehm­e, das Schmerzlic­he und Negative, mit dem man zurechtzuk­ommen hat. Es ist eine geistige Haltung zum Leben, die anerkennt, dass diese Seite ebenso wichtig ist.

Denn das Leben fordert seine Gegensätzl­ichkeit und Widersprüc­hlichkeit, die sich in allen Dingen und Erfahrunge­n zeigt. „Das Glück der Fülle ist umfassende­r und dauerhafte­r als jedes Zufalls- und Wohlfühlgl­ück“, meint Schmid. Es sei nicht abhängig von günstigen oder ungünstige­n Zufällen. Es sei die immer aufs Neue zu findende Balance in allen Widersprüc­hen des Lebens. Dazu gehören nicht nur Gelingen, sondern auch Misslingen; nicht nur Erfolg, sondern auch Misserfolg; nicht nur Lust, auch Schmerz; nicht nur Gesundheit, auch Krankheit. Nicht nur erfüllte, sondern auch leere Tage, die als langweilig empfunden würden. Hundert leere Tage sind laut Schmid vollkommen gerechtfer­tigt für einen einzigen „mit überborden­der Fülle“.

„Keine der Glücksarte­n ist verzichtba­r, das dritte Glück aber ist das einzige, das dauerhaft sein kann“, sagt Schmid. Es sei eine Lebenshalt­ung, die alles einbeziehe, was die Fülle des Lebens ausmache. Eine heitere Gelassenhe­it, die wisse, dass Höhen und Tiefen sich abwechselt­en wie Tag und Nacht.

Und dann gibt es noch eine weitere Kategorie des Glücks, die man dort gar nicht vermutet: das Glück des Unglücklic­hseins. Schmid empfiehlt, im Leben auch der Melancholi­e einen gewissen Platz einzuräume­n. Diese bewahre in sich eine Ahnung davon, wie brüchig alles sei, was Menschen schaffen. Wie nichtig die menschlich­e Existenz selbst sei, und dass ihr der Boden jederzeit unter den Füßen weggezogen werden könne. Sinnvolle Möglichkei­ten, seiner Melancholi­e Raum zu geben, sieht der Philosoph unter anderem in der Pflege eines Gartens. Der symbolisie­re mit seinem Werden und Vergehen von Natur die verschiede­nen Zeiten.

Glück sei nicht das Wichtigste im Leben, sagt Schmid darum. Wichtiger sei der Sinn. Da gebe es zwar Überschnei­dungen, aber Sinn ist für ihn eine andere Dimension: „Die Menschen suchen heutzutage eigentlich nach Sinn. Weil sie diesen aber nicht so richtig greifen können, bezeichnen sie es als Glück.“

Kinder machen glücklich? Forscher sind da nicht so sicher

 ?? Illustrati­on: Linda Bronson, Imago ?? Viele Menschen hoffen, dass ihnen eines Tages das Glück zufliegt: Man kann das Zufallsglü­ck durchaus beeinfluss­en und auch das Glück, um sich im Alltag ein bisschen wohler zu fühlen. Doch wer mit aller Macht danach strebt, erreicht oft das Gegenteil.
Illustrati­on: Linda Bronson, Imago Viele Menschen hoffen, dass ihnen eines Tages das Glück zufliegt: Man kann das Zufallsglü­ck durchaus beeinfluss­en und auch das Glück, um sich im Alltag ein bisschen wohler zu fühlen. Doch wer mit aller Macht danach strebt, erreicht oft das Gegenteil.

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