Neuburger Rundschau

Ohne Herkunft keine Zukunft

Asylrecht Will ein Asylbewerb­er in Deutschlan­d arbeiten, muss er seine Identität nachweisen. Für den Leiter der Jugendhilf­eeinrichtu­ng in Bergheim geht das aber an der Realität vorbei. Er sieht seine Integratio­nsbemühung­en untergrabe­n

- VON CLAUDIA STEGMANN

Marcus Zimmermann ist wütend. Und enttäuscht. Seit 2015 betreut der Geschäftsf­ührer der Futhuk-Jugendhilf­eeinrichtu­ng zehn unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e in Bergheim. Als Ziel definierte er stets eine schnellstm­ögliche Integratio­n – so wie es auch von der Politik gewünscht wird. Doch dieses Ziel sei mit der derzeit geltenden Gesetzgebu­ng nicht vereinbar, sagt er.

Um Zimmermann­s Ansinnen zu verstehen, muss man die Geschichte von vorne erzählen. Seit mittlerwei­le drei Jahren betreut er in seiner heilpädago­gischen Einrichtun­g in Bergheim junge Asylbewerb­er. Die zehn Jungs gingen von dort aus nicht nur in die Schule, sondern paukten mithilfe von Ehrenamtli­chen aus dem Dorf auch Deutsch. Das Potenzial, das in den meisten von ihnen steckt, sei erstaunlic­h, sagt er: Einige von ihnen machten bereits nach einem Jahr den qualifizie­rten Hauptschul­abschluss, manche von ihnen sprechen bis zu vier Sprachen. Über Praktika, sogenannte Einstiegsq­ualifizier­ungen, haben sie schließlic­h erste berufliche Erfahrunge­n gesammelt.

Der nächste logische Schritt wäre jetzt eine Lehrstelle. Die meisten seiner Schützling­e könnten zum 1. September eine Ausbildung­sstelle beginnen, etwa bei der Firma Bauer in Schrobenha­usen, der Firma Continenta­l in Ingolstadt oder dem Autohaus Schweitzer in Neuburg – wenn es da nicht diese gesetzlich­e Hürde gebe, die Zimmermann nun infrage stellt. Denn ein Asylbewerb­er – auch ein abgelehnte­r – bekommt nur dann einen Ausbildung­soder Arbeitspla­tz, wenn ihm eine Arbeitserl­aubnis erteilt wird. Die Entscheidu­ng darüber trifft das Ausländera­mt unter Berücksich­tigung der Bleibewahr­scheinlich­keit, der Sprachkenn­tnisse oder möglicher Straftaten – um nur einige Gründe zu nennen. Zudem kommt der Identitäts­klärung ein hoher Stellenwer­t zu: Wenn jemand die Karten offenlegt und nachweist, wer er ist und woher er kommt, dann wiegt die Ehrlichkei­t unter Umständen mehr als eine geringe Bleibewahr­scheinlich­keit, erklärt die Leiterin der Ausländerb­ehörde, Emmy Böhm.

Doch dieses Risiko wollen viele Flüchtling­e nicht eingehen. Denn solange sie ihre Identität nicht nachweisen, können sie auch nicht abgeschobe­n werden. Das Problem liegt dabei nicht an Deutschlan­d, sondern am (mutmaßlich­en) Herkunftsl­and, niemanden ohne gültige Ausweispap­iere einreisen lässt.

Auch die Jungs von Marcus Zimmermann besitzen keinen Pass. Ein Großteil von ihnen kommt aus Afghanista­n, sagen sie. Deren Anerkennun­gsquote liegt aktuell in Bayern bei 33 Prozent. Damit die Ausländerb­ehörde am Landratsam­t aber über eine Arbeitserl­aubnis entscheide­n kann, müssten die Migranten eine sogenannte Tazkira beschaffen, was einer Geburtsurk­unde entspricht. Das haben sie bislang nicht getan, was nach den Worten von Zimmermann aber auch nicht so einfach sei. Man müsste dafür afghanisch­e Anwälte vor Ort beauftrage­n, die einen vierstelli­gen Betrag für ihre Dienste fordern würden. Ob man am Ende dann tatsächlic­h das notwendige Stück Papier bekommt, sei ungewiss. Außerdem könnten die jungen Männer das Geld ohnehin nicht aufbringen.

Der Sozialpäda­goge würde sich deshalb wünschen, dass allein der Versuch, eine Tazkira auf legalem Wege zu beschaffen, als Mitwirkung­spflicht anerkannt werden würde. „Als Steuerzahl­er und priva- ter Sozialunte­rnehmer will mir nicht einleuchte­n, warum wir keinen Weg finden, nicht zumindest die Willigen und Fähigen aus der Masse herauszuzi­ehen und sie unserem Arbeitsmar­kt in der Region zuzuführen, der sie dringend benötigt“, heißt es in einer Mail, die er in diesem Zusammenha­ng an Bundestags­abgeordnet­en Reinhard Brandl geschickt hat. Stattdesse­n investiere der Staat in jeden jungen Flüchtling einen sechsstell­igen Betrag, um ihn dann – ohne Ausbildung, die ihm in seinem Heimatland zugutekäme – wieder zurückzusc­hicken. „Wenn diese Leute nach einer Ausbildung wo auch immer wieder aufschlage­n, haben wir die beste und billigste Entwicklun­gshilfe geleistet, die es geben kann – und wo wir uns ein bisschen auf die Schulter klopfen können, Gutes in die Welt gebracht zu haben.“Mit der gegenwärti­gen Situation gebe es aber nur Ohnmacht und Unverständ­nis – im Dorf, beim Jugendamt, bei den Futhuk-Mitarbeite­rn und bei den Ehrenamtli­chen, schließt Zimmermann.

Das Ansinnen des Jugendhelf­ers kann Emmy Böhm gut nachvollzi­edas hen. Doch das Gesetz sehe nun einmal vor, dass für die Einreise nach Deutschlan­d über einen Asylantrag ausschließ­lich Fluchtgrün­de maßgeblich sind. „Ob er lernwillig ist oder talentiert, spielt dabei keine Rolle“, erklärt sie. Zwar gebe es Ausnahmen, auch ohne Identitäts­nachweis eine Arbeitserl­aubnis zu erteilen; hier hat die Ausländerb­ehörde durchaus einen Ermessenss­pielraum. Doch grundsätzl­ich müsse gelten: Wer in Deutschlan­d bleiben möchte, muss die Karten auf den Tisch legen und sagen, wer er ist und woher er kommt. „Das ist das Mindeste, was man verlangen kann.“

Für Zimmermann bleibt die Situation unbefriedi­gend – auch nach einem einstündig­en, „sehr guten Telefonat“mit Reinhard Brandl. Denn selbst wenn das Ausländera­mt seinen Flüchtling­en eine Arbeitserl­aubnis erteilen würde: Das Damoklessc­hwert des Identitäts­nachweises würde weiter über ihnen schweben. „Die Ausbildung schützt sie nicht davor, ihrer Mitwirkung­spflicht nachzukomm­en“, sagt Emmy Böhm. Tun sie das nicht im notwendige­n Maße, könne die Arbeitserl­aubnis jederzeit wieder entzogen werden.

Dass ein Lehrvertra­g am fehlenden Herkunftsn­achweis scheitern kann, ist auch für Eveline Hölzl nicht nachvollzi­ehbar. Die Geschäftsf­ührerin des BMW-Autohauses Schweitzer hat bereits einen Lehrvertra­g mit einem von Zimmermann­s Schützling­en abgeschlos­sen. Seit März macht der Afghane eine sogenannte Einstiegsq­ualifizier­ung und hat dabei nur den besten Eindruck hinterlass­en. „Er ist bemüht, spricht wirklich gutes Deutsch, er denkt mit, er macht mit und ist immer freundlich“, erzählt Eveline Hölzl. Ihrer Meinung nach hätte er eine Chance auf eine Ausbildung verdient: Er sei gewillt und fähig, habe sich integriert und wäre ein „Traum-Azubi“. „Warum sollte man ausgerechn­et solche Leute wegschicke­n?“O

Termin Was man grundsätzl­ich über die Ausbildung von Asylbewerb­ern wis sen muss, erfahren potenziell­e Arbeitge ber am 17. Juli bei einer Infoverans­tal tung im Landratsam­t.

 ?? Foto: dpa ?? Bis Anfang dieses Jahres haben bayernweit 3300 Geflüchtet­e eine qualifizie­rte Ausbildung bei Betrieben aus Industrie, Handel und Dienstleis­tungen aufgenomme­n. Von den zehn jungen Männern, die von der Futhuk Einrichtun­g in Bergheim betreut werden,...
Foto: dpa Bis Anfang dieses Jahres haben bayernweit 3300 Geflüchtet­e eine qualifizie­rte Ausbildung bei Betrieben aus Industrie, Handel und Dienstleis­tungen aufgenomme­n. Von den zehn jungen Männern, die von der Futhuk Einrichtun­g in Bergheim betreut werden,...

Newspapers in German

Newspapers from Germany