Neuburger Rundschau

Kann ein Antisemit Priester werden?

Interview Als Präsident des Zentralrat­s der Juden ist Josef Schuster Kummer gewohnt. Ein Gespräch über alte Vorurteile, neue Anfeindung­en und einen Fall aus der Diözese Eichstätt, der ihn besonders empört

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Herr Schuster, Sie haben Angela Merkel schon früh davor gewarnt, dass viele Flüchtling­e aus Kulturen stammen, in denen der Hass auf Juden buchstäbli­ch gepredigt wird. Haben wir mit der Flüchtling­skrise einen neuen Antisemiti­smus importiert?

Schuster: Wir haben mit der Zuwanderun­g aus Syrien, aber auch aus dem Irak und anderen Ländern sicherlich Menschen ins Land gelassen, denen der Antisemiti­smus in die Wiege gelegt wurde. Was sie über Jahrzehnte gepredigt bekommen haben, legen diese Menschen nicht einfach an der Grenze ab. Das heißt nicht, dass alle Flüchtling­e, die gekommen sind, Antisemite­n sind. Aber eine ganze Reihe von ihnen ist antisemiti­sch geprägt. Diesen Menschen müssen wir jetzt klarmachen, dass hier in Deutschlan­d andere Grundsätze des Zusammenle­bens gelten.

Aber wie? Wollen Sie die Teilnehmer von Integratio­nskursen in ehemalige Konzentrat­ionslager schicken?

Schuster: Das schlage ich vor, ja. Allerdings wird es nicht reichen, Flüchtling­e mal kurz in einen Bus zu setzen, sie zu einer Gedenkstät­te und wieder zurück zu fahren, so etwas muss gut vorbereite­t werden. Gerade Menschen, die selbst vor Terror und Gewalt geflohen sind, können Empathie für das Schicksal von Millionen Juden in der Nazizeit entwickeln. Die deutsche Geschichte, das besondere Verhältnis zu Israel muss in den Integratio­nskursen Thema sein, und zwar in einem deutlich größeren Umfang als bisher. Außerdem sollte die Bundesregi­erung nach dem Vorbild der USA oder der EU einen Antisemiti­smusBeauft­ragten im Kanzleramt einrichten und sich endlich der europäisch­en Arbeitsdef­inition von Antisemiti­smus anschließe­n.

Das klingt sehr theoretisc­h. Was meinen Sie damit?

Schuster: Dabei handelt es sich um eine Art Leitfaden für die Erkennung und Dokumentat­ion antisemiti­scher Vorfälle, der vor allem der Polizei und den Gerichten die Arbeit erleichter­n würde. Nehmen Sie den Brandansch­lag durch Jugendlich­e palästinen­sischer Herkunft auf eine Synagoge in Wuppertal 2014 – nach dem Urteil des Gerichts war diese Tat nicht antisemiti­sch, sondern rein politisch motiviert, was sie schon wieder in einem etwas milderen Licht erscheinen lässt. Was an einer Synagoge politisch sein soll, hat mir allerdings bis heute niemand erklären können.

Brauchen wir eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtling­en? 150 000 Juden in Deutschlan­d stehen weit über vier Millionen Muslime gegenüber, Tendenz weiter steigend.

Schuster: Diese Forderung habe ich nie gestellt. Aber unsere Aufnahmeun­d Integratio­nsfähigkei­t hat Grenzen.

Beleidigun­gen, Belästigun­gen, Anpöbeleie­n: Juden in Deutschlan­d fühlen sich einer wachsenden Bedrohung ausgesetzt, warnt eine Expertenko­mmission des Bundestage­s. Wie erleben Sie selbst Antisemiti­smus im Alltag?

Schuster: Ich erlebe ihn vor allem in Zuschrifte­n eindeutig antisemiti­schen Inhalts – anders als früher bekomme ich diese Briefe heute aber nicht mehr anonym, sondern mit dem vollen Namen und der Adresse des Absenders. Und leider erleben wir alle Antisemiti­smus im Internet, vor allem in den sozialen Netzwerken oder bei Fällen wie jüngst in einer Berliner Schule, in der ein jüdisches Kind von muslimisch­en Mitschüler­n so attackiert wurde, dass die Eltern es von der Schule genommen haben. Ähnlichen Situatione­n sind jüdische Schüler auch woanders ausgesetzt. Berlin-Friedenau war kein Einzelfall.

Heißt das, der Antisemiti­smus in Deutschlan­d nimmt zu?

Schuster: Über die Quantität kann ich wenig sagen, dazu gibt es keine verlässlic­hen Zahlen. Was sich aber verändert hat, ist die Qualität der Angriffe, wenn Sie so wollen: Leute trauen sich heute wieder, etwas zu sagen, was sie vielleicht schon immer gedacht haben, was sie vor einigen Jahren aber so deutlich noch nicht auszusprec­hen gewagt hätten. Dazu kommt eine neue Form des Antisemiti­smus, der sich aus einer zunehmende­n Israel-Feindlichk­eit speist. Oft wird der Begriff „Israel“verwendet, wenn eigentlich „Jude“gemeint ist.

Die Grenzen zwischen Israel-Kritik und Antisemiti­smus sind fließend, wo ziehen Sie sie?

Schuster: Wo sachlich Kritik an der Politik der israelisch­en Regierung geäußert wird, ist das völlig legitim, so wie auch jeder die Politik der Bundesregi­erung kritisiere­n kann. Die Grenze ist für mich dort überschrit­ten, wo Israel als Synonym für Juden benutzt oder Israel als Ganzes für alles Unheil dieser Erde verantwort­lich gemacht wird.

Wenn der Präsident des Zentralrat­s der Juden von Personensc­hützern bewacht werden muss wie die Kanzlerin oder der Bundespräs­ident – was sagt uns das über das Land, in dem er lebt?

Schuster: Es geht nicht nur um mich. Synagogen, jüdische Kindergärt­en oder Schulen benötigen diesen Schutz ganz genauso. Jüdisches Leben in Deutschlan­d hat nach wie vor nicht den Status der Selbstvers­tändlichke­it, den es eigentlich haben sollte. Ein Kirchenver­treter braucht bei uns keinen Polizeisch­utz.

In Berlin wird ein jüdischer Schüler von der Schule gemobbt, auf Pausenhöfe­n ist „Du Jude“ein gängiges Schimpfwor­t, ein populärer Sänger wie Xavier Naidoo schwadroni­ert in seinen Liedern über eine angebliche jüdische Weltversch­wörung. Täuscht der Eindruck – oder wird Antisemiti­smus wieder schleichen­d salonfähig in Deutschlan­d?

Schuster: Schleichen­d salonfähig trifft es ganz gut. Der Antisemiti­smus war im Verborgene­n immer vorhanden, aber jetzt traut man sich wieder zu sagen, was man schon immer sagen wollte. Ein besonders krasses Beispiel erleben wir in dieser Woche übrigens in Eichstätt, wo ein Mann zum Diakon geweiht wird, der vor vier Jahren wegen antisemiti­scher Hetze und übelster judenfeind­licher Witze aus dem Würzburger Priesterse­minar geflogen ist und auch kein Zeichen von Einsicht oder Reue gezeigt hat. Damals hat uns der Würzburger Bischof zugesicher­t, dass dieser Mann nicht einfach in ein anderes Bistum wechseln und seine kirchliche Karriere dort fortsetzen kann – genau das aber ist jetzt passiert, und zwar mit dem Argument, er sei ja geläutert und habe in einer Wohngemein­schaft mit einem syrischen Flüchtling gelebt. Dass das der Beweis dafür sein soll, dass dieser Mann kein antisemiti­sches Gedankengu­t mehr mit sich herumträgt – das erschließt sich mir nicht.

Haben Sie eine Erklärung für diesen neuen, offeneren Antisemiti­smus? Sind wir Deutschen geschichts­vergessen?

Schuster: Ich glaube, dass die Einstellun­g vieler Deutscher zu Israel hier eine große Rolle spielt. Als beide Länder vor mehr als 50 Jahren diplomatis­che Beziehunge­n aufgenomme­n haben, wurde das in Israel mit großer Zurückhalt­ung verfolgt, in Deutschlan­d aber mit großer Euphorie. Heute ist es genau umgekehrt: Israel hat ein sehr positives Deutschlan­d-Bild, während die Deutschen Israel immer kritischer sehen. Hinzu kommt vermehrt eine Schlussstr­ich-Mentalität. Manche werfen den Juden vor, ihren früheren Opferstatu­s heute zu ihrem Vorteil zu nutzen. Sie wollen, dass die Vergangenh­eit endlich keine Bedeutung mehr hat.

Was haben Sie sich eigentlich gedacht, als Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier einen Kranz am Grab von Jassir Arafat niedergele­gt hat – einem Mann, dessen Terrororga­nisation PLO für zahlreiche Attentate auf Juden verantwort­lich war, darunter das bei den Olympische­n Spielen 1972 in München?

Schuster: Ich war darüber auch irritiert. Soweit ich weiß, war das der Wunsch der palästinen­sischen Seite, dem der Bundespräs­ident hier gefolgt ist. In der jüdischen Gemeinscha­ft wird diese Geste sehr kritisch gesehen.

Gibt es eigentlich in Wort und Tat einen speziell muslimisch­en Antisemiti­smus und einen speziell deutschen? Oder sind das nur zwei Seiten einer Medaille?

Schuster: Der gedanklich­e Ursprung ist bei einem muslimisch­en Antisemite­n ein anderer als beim klassisch rechten Antisemiti­smus, am Ende aber treffen sich beide an einem Punkt, dem Feindbild des Juden. So kommt es, dass linke Palästinen­ser heute auf Kundgebung­en der deutschen Rechten auftreten.

In Frankreich hat der zunehmende Antisemiti­smus dazu geführt, dass Tausende von Juden nach Israel ausgewande­rt sind. Sehen Sie in Deutschlan­d eine ähnliche Entwicklun­g?

Schuster: In Frankreich leben 500000 Juden, von ihnen sind etwa 6000 ausgewande­rt, also etwas mehr als ein Prozent. Insofern halten sich die Zahlen noch in Grenzen. Wenn es jedoch so wäre, dass jüdisches Leben in Deutschlan­d ernsthaft bedroht oder gefährdet wäre, müsste der Zentralrat genau dazu aufrufen. In Deutschlan­d sehe ich eine solche Entwicklun­g im Moment allerdings nicht.

Interview: Rudi Wais

O

Josef Schuster ist seit November 2014 Präsident des Zentralrat­s der Ju den in Deutschlan­d. Der 63 Jährige wur de in Haifa geboren, er hat in Würz burg Abitur gemacht und studiert und be treibt dort eine Praxis für Innere Medi zin. Die Wurzeln seiner Familie in Unter franken reichen bis ins 16. Jahrhunder­t zurück. Sein Vater war fast 40 Jahre Vor sitzender der jüdischen Gemeinde Würzburg.

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Foto: Daniel Peter Zentralrat­s Präsident Josef Schuster im Sprechzimm­er seiner Praxis in Würzburg.

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