Was falsche Nachrichten so erfolgreich macht
Interview Nach ihrem Buch „Hass im Netz“widmet sich Ingrid Brodnig nun den „Lügen im Netz“. Die österreichische Journalistin erklärt, warum wütende Internetnutzer und Facebooks Algorithmus eine gefährliche Mischung sind
Frau Brodnig, gibt es denn aktuell eine Falschmeldung, die Sie beschäftigt?
Ja, ich habe erst vor kurzem auf der sehr unseriösen Seite „Anonymous News“gelesen: „Kein Tag in Deutschland, an dem Merkels Migranten keinen Mord verüben.“Diese Falschmeldung ist ein typischer Fall: Es geht um Messerangriffe, im Text liest man dann, dass gar nicht klar ist, wie viele Attacken von Migranten begangen werden. Aber in der Überschrift heißt es, jeden Tag würde ein Migrant jemanden in Deutschland ermorden. Ohne irgendeinen Beleg.
Solche Geschichten sind im Netz oft erfolgreicher als ausgewogene Berichte. Woran liegt das?
Fake News schüren bewusst Wut. Und Wut ist eine Emotion, die extrem aktiviert. Der Politologe Timothy Ryan aus den USA hat politische Werbung auf Facebook untersucht. Er konnte messen, dass Werbung, die Menschen wütend macht, mehr als doppelt so oft angeklickt wird. Hinzu kommt die Technik. Auf Facebook entscheidet ein Algorithmus, welche Meldungen einem Nutzer eingeblendet werden. Wütend machende Beiträge erhalten tendenziell mehr Likes. Und Facebooks Software wertet die Zahl der Likes als wichtigen Faktor für die Entscheidung, wie viele Menschen eine Meldung sehen sollen. Im schlimmsten Fall begünstigt auch noch die Technik Falschmeldungen. Viele Medienhäuser versuchen ja, mit Faktenchecks dagegen zu arbeiten.
Faktenchecks sind ein Teil der Lösung. Das Problem ist aber, gerade online, dass Menschen in sogenannten Echokammern aktiv sind – das heißt, sie umgeben sich eher mit Gleichdenkenden. Die Gefahr ist, dass man mit einem Faktencheck nur die Menschen erreicht, die nie gefährdet waren, die Falschmeldung zu glauben. Facebook arbeitet daran, Faktenchecks allen Usern einzublenden, die eine nachweislich falsche Meldung sehen. In den USA gibt es das bereits, in Deutschland soll es auch kommen.
Wessen Aufgabe ist es, zu verhindern, dass sich Lügen weiterverbreiten?
Der Staat und die großen Plattformen sind in der Pflicht. Der Staat sollte zum Beispiel eine Justiz haben, die Anzeigen, zum Beispiel wegen übler Nachrede im Netz, wirklich ernst nimmt. Darüber hinaus gibt es eine Verantwortung der großen Plattformen. Auf Facebook lesen jeden Tag 1,28 Milliarden Menschen mit. Das Problem ist, dass viele strafbare Inhalte sehr lange stehen bleiben. Die Frage ist auch, inwieweit Facebooks Software emotionalisierende Fehlinformation begünstigt und die Debatte zusätzlich anheizt. Hierzu fehlt es allerdings an Untersuchungen.
Weil der Algorithmus geheim ist? Genau. Wir können nicht was Facebook uns alles nicht anzeigt. Diese Daten hat nur Facebook. Und das Unternehmen ermöglicht keine unabhängigen Tests. Mit Experimenten könnte man prüfen, welche Informationen eher herausgefiltert und welche eher eingeblendet werden. Bevor wir über Regulierung und weitere Maßnahmen reden, bräuchten wir Transparenz. Über Regulierung wird aber geredet, aktuell über einen Gesetzesentwurf von Justizminister Heiko Maas. Der sieht hohe Strafen vor, wenn Facebook illegale Inhalte nicht schnell genug löscht.
Ich verstehe, warum härtere Töne angeschlagen werden. Bei Facebook werden nur rund 40 Prozent der gemeldeten strafbaren Inhalte entfernt – bei Twitter ist es sogar nur ein Prozent. Die Gefahr an Maas’ Gesetz ist, dass Unternehmen es sich leicht machen könnten und dann extrem viele der gemeldeten Inhalte löschen. Es besteht das Risiko, dass selbst harmlose Inhalte entfernt werden. Vorstellbar wäre etwa ein Anhörungsrecht – ehe eine Plattform einen Eintrag löscht, soll sich die betroffene Person rechtfertigen können. Ziel von so einem Gesetz muss sein, dass eine Balance zwischen Schutz der Opfer von Hassrede und dem Recht auf Meinungsfreiheit hergestellt wird.
Politiker reagieren auch, weil es immer wieder heißt, Fake News hätten Wahlen entscheidend beeinflusst.
Es ist wahnsinnig schwierig zu sagen, wie groß der Effekt von Falschmeldungen ist. Ich würde sagen: In knappen Abstimmungen können sie das Zünglein an der Waage sein. Sie sind aber mit Sicherheit nicht der einzige Faktor, der entscheidet, wie Menschen wählen.
Wir haben ja im September eine Bundestagswahl. Auf was müssen wir uns in Deutschland einstellen?
Unseriöse Seiten werden auch im deutschen Wahlkampf gehässige Behauptungen veröffentlichen. In Frankreich kamen vor den Präsidentschaftswahlen Falschmeldungen auch von ausländischen Accounts. Da haben sich amerikanische Trump-Fans als französische User getarnt, weil sie sich einen Sieg der Rechtspopulistin Marine Le Pen wünschten. Man muss davon ausgehen, dass das auch in Deutschland passiert. Und es gibt die russische Komponente. Der russische Staat versucht online Stimmung zu machen, er hat Medien, die die russische Perspektive verbreiten sollen. Wir erleben hier eine neue Form der Propaganda. Früher war es das Ziel, Menschen für eine Idee zu begeistern. Heute geht es darum, Mensehen, schen zu verunsichern. Nutzer sollen einfach gar nichts mehr glauben. Verunsicherung nutzt Akteuren, die keine guten Argumente haben.
Wir reden in dem Zusammenhang häufig über Fake News, die aus dem rechtspopulistischen Bereich kommen.
Es wäre falsch zu sagen, dass eine politische Seite immer die Wahrheit sagt und eine andere immer lügt. In jedem politischen Spektrum tauchen Falschmeldungen auf. Wir können aber online sehen, dass speziell im rechten Spektrum sehr viele unseriöse Webseiten aufgekommen sind. Wenn man sich die Meldungen ansieht, die 2016 in sozialen Netzwerken am erfolgreichsten waren, tauchen in den Top 100 mehrere rechte Seiten mit Falschmeldungen auf – linke Seiten hingegen nicht. Das heißt nicht, dass es keine linken Seiten gibt, die so arbeiten. Aber die rechten Seiten sind einfach erfolgreicher.
Interview: Jakob Stadler
O
Lügen im Netz. Wie Fake News, Populisten und unkontrol lierte Technik uns manipulieren. Brand stätter Verlag, 208 Seiten, 19,90 Euro. Das Buch erscheint am Montag, 26. Juni.
geboren 1984, ist Journalistin und Autorin. Sie arbeitete unter anderem für das österrei chische Magazin „Profil“.
Das erste Indiz ist Ingrid Brodnig zufolge „extreme Emotionalisierung“– wenn eine Meldung also derart extrem klingt, dass der erste Impuls lautet: Das muss ich allen Freunden mitteilen. Daraufhin sollte man sich die Frage stellen: Was lese ich hier eigentlich?
Wer die Seite, die eine Nachricht verbreitet, nicht kennt, sollte diese googeln, rät Brodnig. Oft gebe es Hinweise, dass die Seite schon einmal mit Falschmeldungen aufgefallen ist. Eine andere Möglichkeit seien Bilder im Artikel. Hier hilft die Google-Bildersuche. Dafür muss man bei Google auf „Bilder“und dann ins Suchfeld klicken. Dort erscheint ein Kamera-Symbol. Nach einem Klick darauf kann man ein Foto hochladen oder die URL eines Bildes im Netz einfügen. Die Suchmaschine zeigt, wo das Foto bereits erschienen ist. Dabei kann herauskommen, dass ein Bild nichts mit dem Artikel zu tun hat und schon mehrere Jahre alt ist.
Ein weiterer Tipp der Expertin: Auf der Internetseite ganz nach unten scrollen. Manchmal stehe dort ein Hinweis wie: „Diese Seite ist frei erfunden, alles hier ist Satire.“Einige Seiten versuchen sich juristisch abzusichern, indem sie behaupten, alles wäre nur Satire. Ein weiteres Indiz: Jede Website ist verpflichtet, ein Impressum zu haben, in dem der Inhaber der Seite genannt ist. Manche unseriöse Seiten haben kein Impressum oder nur dubiose Angaben.
„Fake News schüren bewusst Wut. Und Wut ist eine Emotion, die aktiviert.“
Ingrid Brodnig
„Der größte Fehler ist, dauernd die falsche Behauptung zu wiederholen, aber nicht die richtige Information“, sagt Brodnig. Wenn es etwa heiße, die deutsche Bevölkerung werde durch Muslime ersetzt, reagierten viele Nutzer und schrieben: „Diesen Bevölkerungsaustausch gibt es nicht.“Dadurch wiederholt man aber, so Brodnig, was man widerlegen möchte. Besser sei es, direkt mit der richtigen Information zu kontern: „In Deutschland gibt es nur fünf Prozent Muslime.“Mit einer derartigen Richtigstellung im Kommentarbereich hilft man allerdings zugleich ungewollt den unseriösen Seiten. Denn durch jeden Kommentar hält der Google-Algorithmus den Beitrag für relevanter. Brodnig rät, einen Screenshot zu machen, den zu veröffentlichen und dazu zu schreiben: „Diese Falschmeldung kursiert, richtig ist Folgendes.“(jako)