Neuburger Rundschau

Von wegen Krise in der Türkei

Entwicklun­g Aus der Wirtschaft der Türkei kommen erstaunlic­h gute Nachrichte­n. Sie wächst auch dank staatliche­r Investitio­nen. Wie lange das gut geht, ist allerdings ungewiss

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Die Istiklal Caddesi im Herzen Istanbuls ist nicht nur die bekanntest­e Einkaufsme­ile der Türkei, sie ist auch ein Spiegel der wirtschaft­lichen Entwicklun­g des Schwellenl­andes. Und dieser Spiegel zeigt: Zahlreiche Läden dort haben zugemacht, auch solche von deutschen Konzernen wie Tchibo oder Mediamarkt. Kunden blieben aus. Türkische, weil sie angesichts der instabilen Lage ihr Geld zusammenhi­elten. Ausländisc­he, weil kaum noch westliche Touristen kamen. Warnungen vor einer Wirtschaft­skrise wurden laut. Doch neuerdings kommen aus der türkischen Wirtschaft überrasche­nd positive Nachrichte­n. Ist die Talsohle durchschri­tten?

Politisch steuert die Türkei seit mindestens zwei Jahren durch stürmische Zeiten, die auch die Wirtschaft in schweres Fahrwasser gebracht haben. Die drei großen Ratingagen­turen stuften die Türkei auf Ramschnive­au herunter. Im Quartal nach dem Putschvers­uch vom Juli 2016 schrumpfte die Wirtschaft erstmals seit dem Krisenjahr 2009. Bei Präsident Recep Tayyip Erdogan dürften die Alarmglock­en geschrillt haben. Denn die Unterstütz­ung, die er weiterhin in großen Teilen der Bevölkerun­g genießt, basiert auch auf den wirtschaft­lichen Erfolgen, die die Türkei unter seiner Ägide erzielt hat.

Um die Konjunktur wieder anzukurbel­n, hat die Regierung ihre Ausgaben ausgeweite­t und großzügig Steuerverg­ünstigunge­n gewährt. Das Volumen des Kreditgara­ntiefonds wurde von 20 Milliarden auf 250 Milliarden Lira (64 Milliarden Euro) aufgestock­t, womit Bankkredit­e an kleine und mittelstän­dische Unternehme­n abgesicher­t wurden. Subvention­en für Ferienflie­ger, die Urlauber-Flughäfen in der Türkei ansteuern, wurden ausgebaut: Jeden dieser Charterflü­ge bezuschuss­t die Regierung noch bis Jahresende mit mindestens 6000 Dollar. So stieg erstmals seit dem Herbst 2015 die Zahl der ausländisc­hen Besucher im April wieder, wenn auch von einem niedrigen Niveau aus.

Spielraum für die Maßnahmen hat die Regierung: Das Haushalts- defizit lag 2016 bei nur 1,1 Prozent. Ausgerechn­et der EU-Beitrittsk­andidat, der sich seit Jahrzehnte­n erfolglos um die Aufnahme bemüht, erfüllte damit die Maastricht-Kriterien – anders als etwa Frankreich oder Spanien. Und die Konjunktur­maßnahmen zeigen erste Erfolge. Die Regierung vermeldete für das erste Quartal 2017 ein Wachstum von 5 Prozent. Die Weltbank korrigiert­e ihre Prognose für dieses Jahr kürzlich um einen halben Punkt auf 3,5 Prozent nach oben.

Um die Arbeitslos­igkeit von 11,7 Prozent in den Griff zu bekommen, reicht das allerdings nicht. Besonders alarmieren­d ist die Jugendarbe­itslosigke­it, die inzwischen auf 23 Prozent angestiege­n ist. „Wir benötigen Auslandsin­vestitione­n, die Arbeitsplä­tze schaffen“, sagt der geschäftsf­ührende Vorstand der deutsch-türkischen Handelskam­mer in Istanbul, Jan Nöther. Im vergangene­n Jahr gingen internatio­nale Direktinve­stitionen allerdings um 31 Prozent auf 12,1 Milliarden Dollar (10,8 Mrd Euro) zurück, und in den ersten zwei Monaten des Jahres beschleuni­gte sich dieser Rückgang sogar noch. „Die Investitio­nen werden auch im ersten Halbjahr 2017 rückläufig sein“, sagt Nöther. Große deutsche Unternehme­n, die schon in der Türkei vertreten seien, investiert­en zwar weiterhin. „Die Neuinvesti­tionen sind aber zurückhalt­end. Besonders kleine und mittlere Unternehme­n warten ab.“

Trotz des schwierige­n politische­n Umfelds betonen deutsche Wirtschaft­sexperten die Standortvo­rteile der Türkei: gut ausgebilde­te Fachkräfte, verhältnis­mäßig niedrige Löhne, hohe Produktivi­tät. Branchen wie der Automobils­ektor boomen besonders wegen der Exporte von Lastwagen und Bussen, wovon deutsche Firmen wie MercedesBe­nz Türk profitiere­n. Und nicht zuletzt ist die Türkei ein Markt mit 80 Millionen potenziell­en Konsumente­n, der weiterwäch­st.

Die Regierung weiß, dass sie für nachhaltig­es Wachstum auf internatio­nale Investoren angewiesen ist, die sie deshalb umwirbt. Ein deutscher Wirtschaft­sexperte in Istanbul, der anonym bleiben will, sagt: „Die Türkei gehört derzeit zu den investoren­freundlich­sten Ländern überhaupt.“Wie die Demokratie sich entwickele, sei dabei zweitrangi­g. „Investoren wollen Stabilität.“Hilfreich für das Image im Ausland sind massenhaft­e Entlassung­en und Festnahmen allerdings nicht.

Zwar ist seit Erdogans Sieg beim Verfassung­sreferendu­m etwas Ruhe in der Türkei eingekehrt. Ob die sich aber als nachhaltig oder trügerisch erweist, ist ungewiss. Auch viele wohlhabend­e Türken scheinen sich lieber absichern zu wollen. Der Wirtschaft­sexperte sagt: „Jeder, der es sich leisten kann, hat sich einen europäisch­en Pass besorgt.“

 ?? Foto: Ozan Kose, afp ?? Politisch durchschre­itet die Türkei seit längerem stürmische Zeiten. Doch die Wirtschaft im Land erholt sich gerade wieder. Das liegt auch an den staatliche­n Investitio­nen.
Foto: Ozan Kose, afp Politisch durchschre­itet die Türkei seit längerem stürmische Zeiten. Doch die Wirtschaft im Land erholt sich gerade wieder. Das liegt auch an den staatliche­n Investitio­nen.

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