Machen freie Schulen glücklich?
Bildung Wer sein Kind auf eine Privatschule schickt, lässt sich das einiges kosten. Gründe gibt es viele: Vertrauen in die Reformpädagogik, Glaube oder die Hoffnung auf individuelle Förderung. Doch Kritiker warnen auch davor
Es klingt ziemlich pathetisch, was Nina Conrad da sagt: „Es gab bisher nicht einen Tag, an dem meine Kinder nicht gern in die Schule gegangen sind.“Die Augsburgerin schickt ihren zehnjährigen Sohn Jonah auf die LichtensteinRother-Grundschule, eine evangelische Privatschule im Augsburger Stadtteil Pfersee. Sein Bruder Julian war auch dort.
Jonah ist einer von mehr als 204000 Schülern im Freistaat, die im vergangenen Schuljahr eine allgemeinbildende Schule in freier Trägerschaft besuchten. Das sind nach Angaben des bayerischen Privatschulverbands 14 Prozent aller Schüler. Die Zeiten, in denen das Wort Privatschule für viele Eltern gleichgesetzt war mit Hippiemethoden auf der einen und dem strengen kirchlichen Internat auf der anderen Seite, sind lange vorbei. Es gibt viele Gründe, weshalb Eltern eine private Schule der staatlichen vorziehen: die Überzeugung von einer reformpädagogischen Ausrichtung etwa, der eigene Glaube oder die Annahme, das Kind bekomme eine individuellere Förderung als im staatlichen System.
Für Nina Conrad war es von allem ein bisschen. „Ich habe viel darüber mitbekommen, wie stressig Schule ist. Da habe ich nach Möglichkeiten gesucht, den Stress für meine Kinder möglichst gering zu halten. Ich habe mit Eltern anderer Schulkinder gesprochen, Infoabende verschiedener Schulen besucht.“Dass ein evangelischer Schulverein Träger der Lichtenstein-RotherGrundschule ist, war für sie zwar nicht ausschlaggebend, aber die Familie lebt im Alltag schon nach den Werten des evangelischen Glaubens. Und letztlich hat sie einfach das Konzept der Schule überzeugt, das sich nach den Ideen der Grundschulpädagogin Ilse LichtensteinRother richtet und – so beschreibt es die Schule in ihrem Leitbild – in einem „mehrdimensionalen Begabungskonzept“die emotionalen, sozialen, musischen und intellektuellen Fähigkeiten eines Kindes als gleichwertig ansieht. Die Eltern dürfen Vorschläge für den Unterricht machen, die Kinder bauen etwa Gemüse an, philosophieren oder machen gemeinsam Musik. In Kernfächern wie Mathematik oder Deutsch schreiben sie Proben wie an staatlichen Schulen, der Unterricht orientiert sich an den Inhalten des bayerischen Lehrplans.
Die „Liro“-Schule gehört zu den sogenannten staatlich anerkannten Privatschulen. Diese dürfen selbst Abschlüsse vergeben, die denen der Regelschulen gleichgestellt sind. Daneben gibt es die staatlich genehmigten Schulen. Kinder dürfen zwar dort lernen, müssen ihre Abschlüsse aber in externen Prüfungen an Regelschulen erwerben.
Die Lernkonzepte freier Schulen unterscheiden sich teils immens voneinander. Ein Alternativmodell, das zuletzt deutschlandweit beachtet wurde, ist die Sudbury-Schule am Ammersee. Das Leitbild der freien Grund- und Mittelschule sieht vor, dass die Schüler selbst entscheiden, was sie lernen möchten und was nicht – ganz ohne Klassen und ohne Stundenplan. Die Schule erhielt von der Regierung von Oberbayern eine auf Probe. Mitte 2016 wurde sie ihr wieder entzogen. Die Regierung sah zu wenig Nachweise, dass die Schule die Lerninhalte einer Regelschule einhielt. Jetzt ist der Fall vor Gericht, der Ausgang seit Monaten offen.
Dass ihr Kind an einer freien Schule individueller gefördert wird
In Bayern gibt es im Schuljahr 2016/2017 rund
1030 von ihnen sind staat lich anerkannt und dürfen Zeug nisse vergeben, die denen der Regel schulen gleichwertig sind. Träger sind oft Vereine oder Kirchen.
etwa für Alten pflege, machen nach Angaben des Privatschuldverbands rund die Hälfte aller Privatschulen aus. (AZ) als an einer staatlichen, in diesem Punkt sind sich viele Eltern einig. Und deshalb seien sie auch bereit, Schulgeld zu bezahlen, sagt Bernd Dietrich, der Vorstandsvorsitzende des Privatschulverbands. Die Kosten pro Schüler unterscheiden sich je nach Einrichtung stark. Ein Einflussfaktor ist zum Beispiel der Standort der Schule – Grundstücke und Gebäude in Großstädten wie München sind erheblich teurer als in strukturschwachen Gegenden. Eine Obergrenze für das Schulgeld gibt es nicht. Doch Dietrich zitiert aus Umfragen, nach denen viele Eltern „bereit wären, mehr Geld für die Bildung ihrer Kinder auszugeben als das, was sie tatsächlich zahlen“.
Nina Conrad bezahlt 100 Euro im Monat, und sie tut es gern. „So hat die Schule die Möglichkeit, Kinder differenzierter zu fördern. Wenn es nötig ist, kann sie ohne Probleme Hilfsmittel für den Unterricht beGenehmigung sorgen. Wir haben zum Beispiel einen eigenen Brennofen und Nähmaschinen. Außerdem kann sie mehr Lehrerstunden anbieten für Förderung in kleinen Gruppen, für Kurse und Arbeitsgemeinschaften.“
Ob die Kinder auf Privatschulen dadurch besonders gut sind und bessere Abschlüsse machen als Schüler in Regelschulen, ist umstritten. Einer der bekanntesten Kritiker des freien Schulwesens ist der Gießener Bildungsökonom Manfred Weiß. In einem Gastbeitrag für das Debattenmagazin The European schrieb er 2015, dass bei den Schulleistungen kaum Unterschiede auszumachen seien, die sich auf die Pädagogik zurückführen lassen. Auch belastbare Hinweise für einen größeren Berufserfolg gebe es nicht. Er warnt vor einem Privatschulboom, denn dieser würde die „soziale Segregation der Schülerschaft verstärken“. Überspitzt hieße das: Kinder aus den oberen Schichten gehen auf die Privatschule, die übrigen auf die staatliche. In den USA zeichnet sich dieser Trend schon ab, die neue Bildungsministerin Betsy DeVos – selbst Milliardärin – will Privatschulen fördern und das staatliche Angebot reduzieren.
Für Deutschland belegt unter anderem eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin, dass die Beliebtheit von Privatschulen bei Eltern mit Abitur in den vergangenen Jahrzehnten überdurchschnittlich stark angestiegen ist. 14,3 Prozent der Kinder, deren Eltern hoch angesehene Berufe wie Arzt, Ingenieur oder Professor ausüben, gehen auf freie Schulen, aber nur 3,5 Prozent der Kinder von Industriearbeitern, Taxifahrern oder Reinigungskräften. Das ist ein Vorwurf, dem sich Privatschulen oft ausgesetzt sehen. Bernd Dietrich vom Privatschulverband wehrt sich dagegen. Er empfiehlt den Schulen, Gespräche mit interessierten Eltern „blind zu führen“, also ganz ohne Wissen über ihren Kontostand. Und weil ein großer Teil der Schulen mit der finanziellen Unterstützung der Eltern eine Ganztagsbetreuung finanziere, würden Eltern die Privatschule sogar gezielt wählen, damit sie nachmittags arbeiten gehen können.
Nina Conrad sieht noch einen Zusammenhang. „Es ist schon so, dass das Konzept der Schule bestimmte Eltern anzieht: engagierte Eltern. Allein die Entscheidung, sein Kind auf eine Privatschule zu schicken, setzt voraus, dass man sich informiert und nicht einfach abwartet, welchem Sprengel das Kind zugeteilt wird.“Ihr Sohn Jonah wechselt im Herbst aufs Gymnasium. Auf ein staatliches. Dieser Weg hat schon beim älteren Sohn gut funktioniert. In zwei Jahren macht er Abitur.
„Das Konzept der Schule zieht bestimmte Eltern an.“
Nina Conrad Zahlen und Fakten