Der Soldat im Mädchenpensionat
Die Verführten Die Geschichte vom verwundeten Bürgerkriegssoldaten kam schon einmal mit Starbesetzung ins Kino. Jetzt hat Sofia Coppola den Stoff verfilmt – als Studie nicht nur des Begehrens, sondern auch der Machtverhältnisse
Das Mädchen wird in den Wald geschickt, um Pilze zu sammeln, bringt stattdessen aber einen schwer verletzten Soldaten mit nach Hause. Im Virginia des Jahres 1864 tobt der amerikanische Bürgerkrieg und es ist kein Ende in Sicht. Abgelegen umgeben von einem hohen Gitter und einem verwilderten Garten steht die Südstaatenvilla, in der das Mädcheninternat untergebracht ist. Mit gebührender Strenge leitet Martha Farnsworth (Nicole Kidman) das Haus.
Aber durch den gegnerischen Soldaten, der im Musikzimmer einquartiert wird, gerät das weibliche Gemeinschaftsgefüge aus der Balance. Wenn Martha den Bewusstlosen wäscht, wird deutlich, dass hier nicht nur krankenschwesterliche Pflichten erfüllt werden, sondern auch sexuelles Begehren erwacht. Das gilt nicht nur für die Direktorin, sondern auch für die zugeknöpfte Edwina (Kirsten Dunst) und die Schülerinnen verschiedenen Alters, für die der Verletzte auf ganz unterschiedliche Weise zur Projektionsfläche eigener Liebesbedürftigkeit wird. Als Corporal John McBurney (Colin Farrell) wieder zu Bewusstsein kommt, kann er sein Glück kaum fassen. Er wünscht sich nichts sehnlicher, als dem Krieg zu entkommen und sieht hier seine Chance gekommen. Mit romantisch-strategischem Geschick baut er die eigene Stellung als Hahn im Korb aus.
In der ihr eigenen entspannten Intensität erzählt Sofia Coppola („Lost in Translation“) diese Geschichte aus dem amerikanischen Bürgerkrieg, in der es nicht um große Historie, sondern um die Wechselverhältnisse zwischen Begehren und Macht geht. „Die Verführten“beruht auf einem Roman von Thomas Cullinan aus dem Jahre 1966 und wurde bereits 1971 von Don Siegel mit dem jun- gen Clint Eastwood in der Rolle des verletzten Soldaten verfilmt. War in der alten Adaption Eastwoods Figur schnell als manipulativer Bösewicht identifiziert, sind in Coppolas Version die Karten weniger klar verteilt. Colin Farrells Corporal McBurney strahlt eine braunäugige Vertrauensseligkeit und warmherzige Sexyness aus, die ihre Wirkung weder bei den Damen im Hause noch beim Publikum im Saal verfehlen dürfte. Wenn Martha den Verletzten mit einem sehr kleinen Waschlappen abschrubbt und dabei nicht nur wegen der körperlichen Anstrengung ins Schwitzen gerät, zeigt auch die Kamera den nur mit einem Lendentuch bekleideten Körper des bewusstlosen Mannes als sinnliches Objekt der Begierde.
Dem gegenüber steht die sittenstrenge Moral im Mädcheninternat, dessen Regeln die aufkommenden Sehnsüchte mit zunehmender Vergeblichkeit in Zaum zu halten verLehrerin suchen. Aber nicht nur das weibliche Begehren, sondern auch die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern bleiben in Coppolas Film in Bewegung. Als Verletzter ist der feindliche Soldat den Frauen zunächst wehrlos ausgesetzt und erarbeitet sich nur langsam seine männliche Machtposition zurück, die dann aber in den sich überstürzenden Ereignissen wieder kollabiert und nur mit Gewalt erneut besetzt werden kann. Sind die ersten beiden Drittel des Filmes von einer schwelenden Spannung durchzogen, wird die Handlung im letzten Teil wie durch ein unkontrollierbares Erdbeben vorangetrieben. Aber auch hier verliert sich Coppola nicht in hektischer Plotmechanik, sondern bleibt in ihrer unnachahmlichen Weise stets fokussiert, erzählt vieles gewissermaßen über Bande, mit einer traumsicheren Bildgestaltung, die das Geschehen immer wieder in Beziehung zur umgebenden Natur setzt.