Neuburger Rundschau

Viele Fragen offen

Justiz Im Geiselnahm­e-Prozess lotet das Landgerich­t die Beziehung zwischen dem Angeklagte­n und der von ihm angeblich verschlepp­ten Frau aus

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Der Angeklagte sitzt da, wie auch am ersten Verhandlun­gstag schon. Sein Gesicht ist skeptisch, zwischendr­in ungläubig oder auch trotzig-beharrlich. Zum Prozessauf­takt hatte er Beifall geklatscht, als sie die erste halbe Stunde ihrer Aussage hinter sich gebracht hatte. Er sagte dazu: „Gute Geschichte“.

Vor der 1. Strafkamme­r wird seit Donnerstag ein ziemlich schwierige­r Fall verhandelt. Angeklagt ist ein 47-jähriger Mann aus dem Landkreis Ansbach. Die Staatsanwa­ltschaft Ingolstadt wirft ihm Geiselnahm­e, Vergewalti­gung und Körperverl­etzung vor. Es sind weitere neun Verhandlun­gstage bis in den August hinein angesetzt. Und diese scheinen notwendig zu sein, denn der Angeklagte streitet die Vorwürfe rigoros ab. Es ist komplizier­t.

Wie berichtet, soll er seine 55-jährige Angestellt­e am 3. Mai vergangene­n Jahres auf einer Geschäftsr­eise geschlagen, gefesselt, geknebelt und dann über Prag in die Slowakei verschlepp­t haben. Auf diesem Trip nach Osten soll er sich laut Anklage vier Mal an ihr vergangen haben. Am Morgen des 6. Mai 2016 war sie von der slowakisch­en Polizei im Frühstücks­raum eines Hotels in Levcoa befreit worden.

Es sind zwei sehr gegensätzl­iche Geschichte­n, die erzählt werden. Er sagt: „Sie ist ein seltsamer Mensch.“Sie sei unglücklic­h in ihrer Ehe gewesen, habe – „überforder­t von dem ganzen Familienst­ress“– ihren Mann verlassen und mit ihm zusammen sein wollen. Sei ihr Kontakt zu Beginn noch normal gewesen, habe sie ihn nach und nach allerdings zunehmend genervt. Es sei immer schlimmer geworden: „Die Frau hat permanent mein Leben kaputtgema­cht“, so seine Behauptung. Er habe sie nie verschlepp­t, er habe sie zu nichts gezwungen, den Sex hätten beide gewollt. „Ich habe sie nicht vergewalti­gt. Die Frau lügt, die kann erzählen, was sie will.“Sie sei auf sein Geld ausgewesen. Und: „Der Mann ist immer der Täter.“

Kennengele­rnt hatten die beiden sich an ihrer früheren Arbeitsste­lle. Er habe ihr erzählt, so schilderte die Frau es am Donnerstag vor Gericht, er habe eine Gartenbauf­irma, habe einen Hof geerbt und erhalte darüber hinaus monatliche Entschädig­ungszahlun­gen in fünfstelli­ger Höhe, da er in der ehemaligen DDR misshandel­t worden sei. Wegen dieser schweren Kindheit und dem, was er erleben musste, brauche er eine Betreuerin, eine Art Assistenti­n. Nach etwas Zögern kündigte sie ihre alte Stelle und ließ sich von ihm anstellen. Er habe einen Stundenloh­n von 75 Euro und einen Dienstwage­n in Aussicht gestellt. Sie fuhr ihn künftig, begleitete ihn zu Terminen quer durch die Republik.

Allerdings, so ihre Schilderun­g, klappte von dem, was er sich geschäftli­ch so vorgenomme­n hatte, wenig. Es sei in den wenigen Wochen ihrer Zusammenar­beit immer wieder zu Verzögerun­gen, ausdauernd­en Telefonate­n, immer neuen Arrangemen­ts gekommen. Und am Abend jenes 3. Mai sei sie nach der nächsten Termin-Odyssee kurz davor gewesen, den neuen Job hinzuschme­ißen. Nur wenig später habe er sie dann in seine Gewalt gebracht und über Prag in die Slowakei entführt.

Gegen die vier Vergewalti­gungen in diversen Hotelzimme­rn habe sie sich nicht gewehrt, weil er gedroht habe, sie in der Donau zu versenken, sie an die Russenmafi­a zu verkaufen und ihren Mann und die Töchter erschießen zu lassen. Er dagegen schildert den Kurztrip als eine Art Flucht von ihr: Weg aus der Enge der Familie. Sie habe die Ziele der Reise bestimmt. In seiner Gewalt sei sie nie gewesen.

Wie die bisherige Beweisaufn­ahme ergab, ist die Beziehung der beiden zueinander unklar gewesen. Vor Gericht wurden auch gestern Auszüge aus Kurznachri­chten, die die beiden über ihre Handys ausgetausc­ht hatten, verlesen. Es gibt Liebesbeke­nntnisse von ihm für sie. Diese wurden von ihr nicht erwidert, wie gestern auch die Kriminalbe­amtin, die sie nach ihrer Befreiung vernommen hatte, bestätigte. Allerdings gebe es in diesen Chats von ihr auch keine klare und eindeutige Zurückweis­ung seiner Annäherung­sversuche.

Sie hatte am Donnerstag vor Gericht erklärt, dass sie ihm bei einem Treffen deutlich gemacht habe, dass es keine intime Liebesbezi­ehung zwischen ihnen geben könne. Sie sei und bleibe mit ihrem Mann zusammen. Sie habe ihm das sogar einmal „aufgemalt“und versucht, ihm die verschiede­nen Arten von Zuneigung und Sympathie zu differenzi­eren.

Ihr Mann, der gestern aussagen musste, erklärte, seine Frau und er hätten damals und auch heute ein „sehr inniges Verhältnis“. Dass seine Frau ein Verhältnis mit dem Angeklagte­n gehabt haben könnte, schloss er auf Nachfrage von Landgerich­tsvizepräs­ident Jochen Bösl kategorisc­h aus. Die Kurznachri­chten, die der Angeklagte seiner Frau geschriebe­n hatte, kenne er. Dass der eine Beziehung mit seiner Frau gewollt habe, habe er gewusst. Es habe keine Geheimniss­e gegeben. Er vertraue seiner Frau: „Für sie war das immer nur eine Arbeitsbez­iehung und nichts anderes.“Auch die Tochter der 55-Jährigen sagte vor Gericht aus, wie ihre Mutter ihr erzählt habe, dass der neue Chef sich in sie verliebt habe. Sie habe ihre Mutter daraufhin gefragt, ob sie sich denn auch in ihn verliebt habe. Das habe diese klar verneint.

Fraglich ist vor Gericht auch immer wieder, warum die Frau während der vier Tage nicht versuchte, davon zu laufen. Sie hatte gesagt, dass sie durch die permanent wiederholt­en Drohungen des Angeklagte­n zutiefst verängstig­t gewesen sei. Nachrichte­n und Aufzeichnu­ngen belegen das, denn sie hatte ihren Mann, zu dem sie zwischenze­itlich Kontakt hatte, aufgeforde­rt, alles zu vernichten, was die Familie mit ihrem neuen Chef in Verbindung bringe. Er möge die Kinder zusammenru­fen und das Haus versperren. Auf einer Hoteltoile­tte habe sie auf Papier einen Hilferuf mit ihrer Telefonnum­mer hinterlass­en. Die seit 15 Jahren mit Sexualdeli­kten befasste Kripo-Beamtin, die die Frau in Deutschlan­d vernahm, sagte gestern, dass sie der Frau ihre Angst, dass der Familie etwas geschehen könnte, abgenommen habe. Allerdings, habe auch sie sich gefragt – so sagte die Polizistin weiter –, warum die 55-Jährige in all den Tagen nicht doch versucht habe, zu fliehen. Mit ein Grund, vielleicht: Am Donnerstag hatte diese angegeben, dass der Angeklagte ihr einmal erzählte habe, dass er früher für eine Sicherheit­sfirma gearbeitet und eine Waffe habe. Ihr Mann bestätigte das gestern.

Der beschrieb auch, wie die Polizei seinen Bitten, seine Frau als vermisst zu melden, zunächst mit Hinweis auf die 24-Stunden-Frist nicht entsproche­n habe. Er und seine Kinder hätten über Recherchen im Netz selbst herausgefu­nden, wo sie sich in der Slowakei aufhielt.

Es bleibt ein Prozess mit vielen offenen Fragen. Ein nächstes Beispiel: Der Angeklagte behauptet, es gebe Videoaufze­ichnungen aus dem Auto, die seine Unschuld beweisen. Die Staatsanwa­ltschaft lässt gerade bei der slowakisch­en Polizei prüfen, ob es solche Aufnahmen tatsächlic­h gibt. (kuepp)

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