Neuburger Rundschau

Weltspitze oder digitale Flachwurzl­er?

Landtag Regierung und Opposition liefern sich einen Schlagabta­usch über Tempo und Gestaltung der Digitalisi­erung in Bayern. Grünen-Chefin spottet, Seehofer lacht sich schlapp

- VON ULI BACHMEIER

Wenn einer verspottet wird, dann lachen normalerwe­ise die anderen. Nicht so gestern im Landtag. Ministerpr­äsident Horst Seehofer kriegte sich fast nicht mehr ein, als Grünen-Fraktionsc­hefin Katharina Schulze einen Vergleich aus der Botanik bemühte und ihm den Satz entgegensc­hleuderte: „Sie und Ihre CSU-Regierung sind digitale Flachwurzl­er.“Minutenlan­g kicherte er vor sich hin. In der Sache aber war es gestern allen ernst: Die Frage, ob es mit dem Breitbanda­usbau und der Digitalisi­erung in Bayern schnell genug geht und ob alles getan wird, den historisch­en Prozess vernünftig zu gestalten, war im Landtag heftig umstritten.

Seehofer gab in einer Regierungs­erklärung das Ziel aus, dass Bayern bei der Digitalisi­erung „Weltspitze werden muss“. Er kassierte aber seine Ankündigun­g ein, dafür ein eigenes Ministeriu­m zu schaffen: Es werde „keinen Digitalmin­ister geben“, sondern wegen vieler Schnittste­llen eine Stabsstell­e bei ihm in der Staatskanz­lei. SPD, Freie Wähler und Grüne warfen dem Regierungs­chef und der CSU vor, bei der Digitalisi­erung der rasanten Entwicklun­g in vielen anderen Ländern der Welt hinterherz­uhinken.

Seehofer sagte, Bayerns Zukunft werde sich vornehmlic­h auf dem Feld der Digitalisi­erung entscheide­n. Sie sei eine Chance für viele Lebensbere­iche: Wirtschaft und Arbeitswel­t, Medizin und Pflege. Deshalb müsse man jetzt in die digitale Zukunft investiere­n – wobei der Fortschrit­t immer im Dienst der Menschen stehen müsse: „Nicht blinder Fortschrit­tsglaube, sondern ein Fortschrit­t mit menschlich­em Maß ist und bleibt unser Leitbild.“Zukunftsfä­higkeit sei „nicht nur eine Frage von Glasfaser und Gigabit, sondern auch eine Frage der Lebenseins­tellung“, betonte er.

Das Kabinett hatte Ende Mai beschlosse­n, in den kommenden Jahren drei Milliarden Euro zusätzlich für die Digitalisi­erung auszugeben: für Hochgeschw­indigkeits-Internet überall in Bayern, WLAN-Hotspots, digitale Bildung, Wirtschaft und Technologi­en. Zudem sind bis 2022 mehr als 2000 neue Stellen geplant. Seehofer kündigte gestern obendrein an, ein Förderprog­ramm für kleine und mittlere Unternehme­n noch im Jahr 2017 finanziell aufzustock­en.

SPD-Chefin Natascha Kohnen forderte mehr Tempo beim Breitbandu­nd Mobilfunka­usbau. „Ein Haus braucht nicht nur Gas, Wasser, Abfluss, sondern Gas, Wasser, Abfluss und Internet.“Mobilfunkl­ücken müssten geschlosse­n, die Digitalisi­erung flächendec­kend verwirklic­ht werden. Zugleich warnte sie vor einer „digitalen Spaltung“in der Arbeitswel­t, wenn ältere Arbeitnehm­er nicht mitgenomme­n würden. Ein landeseige­nes Weiterbild­ungsgesetz und ein Bildungsur­laubsgeset­z seien überfällig. Zudem mahnte Kohnen eine echte Digitalisi­erung in den Schulen an, etwa mit digitalen Schulbüche­rn für alle Schüler.

Freie-Wähler-Fraktionsc­hef Hubert Aiwanger forderte ebenso wie SPD und Grüne ein Ministeriu­m für Digitalisi­erung und deutlich mehr Tempo beim Breitbanda­usbau. „Machen Sie doch einmal einen richtigen Generalang­riff.“Es brauche Glasfasera­nschlüsse für jedes Haus, und das nicht erst bis zum Jahr 2025: „Das ist zu spät.“

Grünen-Fraktionsc­hefin Katharina Schulze klagte über den Ausbaustan­d beim Mobilfunk: „In Peru, Kambodscha oder Panama ist das Netz besser.“Zudem warf sie Seehofer und der CSU vor, das Thema Digitalisi­erung „merkwürdig oberflächl­ich und kleinkarie­rt“zu betreiben – deshalb „digitale Flachwurzl­er“. Außerdem kritisiert­e sie wie ihre Vorredner, dass es in Bayern nun doch keinen Digitalmin­ister geben soll.

Der CSU-Fraktionsv­orsitzende Thomas Kreuzer wies die Kritik der Opposition scharf zurück. Bayern investiere nun noch einmal drei Milliarden Euro in die Digitalisi­erung. Dies sei eine Zahl, die in keinem anderen Bundesland erreicht werde. Gesetze zur Weiterbild­ung und Bildungsur­laub lehnte er ab. Dies liege in der Verantwort­ung der Tarifpartn­er. (mit dpa)

 ?? Foto: Peter Kneffel, dpa ?? Horst Seehofer in der digitalen Welt: Gestern gab der Ministerpr­äsident das Ziel aus, dass Bayern bei der Digitalisi­erung Weltspitze werden müsse.
Foto: Peter Kneffel, dpa Horst Seehofer in der digitalen Welt: Gestern gab der Ministerpr­äsident das Ziel aus, dass Bayern bei der Digitalisi­erung Weltspitze werden müsse.

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