Neuburger Rundschau

Familie musiziert seit über 100 Jahren

Tradition Im abgeschied­enen Örtchen Hinterstei­n im Allgäu spielt und jodelt schon die fünfte Generation der Familie Wechs. Warum diese Form der Volksmusik sehr angesagt ist und was sie auszeichne­t

- VON DANIELA HUNGBAUR Der Eintritt kostet für Er wachsene sechs, für Kinder einen Euro. Die Familienka­rte kommt auf zwölf Euro. Weitere Informatio­nen unter Telefon 08394 1455 oder im In ternet: www.bauernhofm­useum.de

Der bekannte, warme Ton der Berge kommt aus einer kleinen Schreinere­i. In kurzer Jeans und blauem Hemd steht Herbert Wechs da. Um ihn herum Holz und jede Menge Werkzeug. Doch dafür hat der 75-Jährige jetzt keinen Blick. Konzentrie­rt ist er. Beide Hände umschließe­n das lange, am Becher mit Alpenblume­n fein verzierte lange Holzrohr. Die Lippen sind am Mundstück. So bläst er. Denn er kann ihn perfekt, den Alphorn-Ruf, den „Hirtajuz“und „dr Rüezler“. Josef und Elfie Schmid und Fritz Schwärzler stehen neben ihm. Auch vor ihnen liegen Alphörner. Aber sie sind noch Anfänger. Es ist erst ihre dritte Unterricht­sstunde. Doch ihr Ziel ist klar: So wunderbar spielen wie Herbert Wechs, der schwärmt: „Das Alphorn ist ein Instrument, da kann man träumen.“

Dabei kann Herbert Wechs nicht nur Alphorn spielen, sondern sie auch bauen. Der Name Wechs steht aber für noch mehr. Hier ist es seit dem Beginn des 20. Jahrhunder­ts einer Allgäuer Familie gelungen, die Liebe zur Musik von Generation zu Generation weiterzuge­ben. Und zwar in den verschiede­nsten Formatione­n. Leitete Wendelin Wechs um 1900 „nur“den Kirchencho­r in dem herrlichen Örtchen Hinterstei­n, das zu Bad Hindelang gehört, gründete dessen Sohn Adalbert um 1925 schon die erste Jodlergrup­pe. So ging das weiter mit dem Singen und Spielen auf verschiede­nen Blas- und Saiteninst­rumenten. Ab 1960 dann baute Herbert Wechs mit seinem Bruder Albert nicht nur Alphörner, sie spielen sie seitdem auch. Und bis heute sind die Wechs’schen Familienmi­tglieder jeden Alters in den verschiede­nsten volksmusik­alischen Gruppen zu hören und längst bekannt weit über das Allgäu hinaus. Für dieses außergewöh­nliche Engagement erhält die Familie nun am Sonntag vom Bezirk Schwaben die „Schwäbisch­e Nachtigall“.

Denn diese Familie pflegt bewusst Tradition. Dies wird im Gespräch mit Herbert Wechs, seinem Sohn Stefan und dessen Frau Sonja schnell klar. Mit dem „Hollaria ho im Fernsehen“, sprich der volkstümli­chen Musik, hat die Familie Wechs, wie sie selbst betont, nichts zu tun. Auch wenn der Grad manchmal schmal sei, der beides unterschei­det, „uns geht es um die unver- Volksmusik“, erklärt Stefan Wechs, der selbst Kontrabass spielt und als Schreiner in die Fußstapfen seines Vaters getreten ist und hobbymäßig ebenfalls Alphörner baut. „Der Volksmusik­ant lässt sich nicht verbiegen“, betont er.

Dass aber gerade in dem etwa 5000 Einwohner zählenden Bergdörfch­en Hinterstei­n so fleißig gejodelt und musiziert wird, hat auch seinen Grund: „Wir hier im Ostrachtal verfügen über ein Lied-

Am Sonntag, 9. Juli, findet im Bauernhofm­useum Iller beuren der Tag der Volksmusik statt. Ab 11 Uhr bis 17 Uhr spielen Musik und Gesangsgru­ppen. Außerdem zeigen Trachten und Volkstanzg­ruppen die Vielfalt schwäbisch­er Tradition. Ein Stand will über die Forschungs und Beratungss­telle für Volksmusik infor mieren. gut, um das uns Jodlergrup­pen in ganz Bayern beneiden“, sagt Stefan Wechs. Woraufhin sein Vater nur nickt. Hinzu komme, dass die Lage von Hinterstei­n zu einer gewissen Eigenständ­igkeit, zu einem besonderen Zusammenha­lt führe. Umgeben von hohen Bergen, Bäumen und Bächen endet das Tal hier. Wer nicht die Wanderschu­he schnürt und über die Berge klettert, kommt in dieser Idylle nicht weiter.

Und wer hier geboren wird, bilfälscht­e

Personen und Gruppen, die sich um die Volks musikpfleg­e besonders verdient ge macht haben, überreicht Bezirks tagspräsid­ent Jürgen Reichert am Sonntag die „Schwäbisch­e Nachti gall“. Zu den Preisträge­rn zählen ne ben der Familie Wechs aus Bad Hin delang Hinterstei­n Dr. Christoph Lö cherbach mit seiner Klangwerks­tatt in Markt Wald und Familie Lang in Thierhaupt­en. Familie Wechs wird übrigens am Sonntag in der Formation als „Familienmu­sik Wechs“und als „Hinterstei­ner Jodler“live in Illerbeure­n zu hören sein. (huda) Archivfoto­s: Familie Wechs det offensicht­lich tiefe Wurzeln. So zumindest beschreibt es Claudius, der Sohn von Stefan und Sonja Wechs. Der 25-Jährige wohnt nicht nur mit Frau und Töchterche­n Magdalena im elterliche­n Haus und jodelt seit seinem 17. Lebensjahr begeistert mit seiner Familie mit, ihn hat es vor allem ein Instrument von Kindesbein­en an angetan: die steirische Harmonika. Sie studierte er in Salzburg und ist heute Lehrer an der Sing- und Musikschul­e Westallgäu. War denn nie der Wunsch da, die Heimat zu verlassen? Nein, nie. Im Gegenteil. Schon als Student sei er regelmäßig nach Hause gefahren, weil dort nicht nur seine Familie wartete, sondern er auch seine Freunde sehen wollte. Das Vereinsleb­en werde in Hinterstei­n noch gepflegt. Feuerwehr. Bergwacht. Und natürlich die verschiede­nen Musikgrupp­en, da treffe man sich ständig.

Und mit seiner Liebe zur steirische­n Harmonika ist Claudius Wechs auch schon lange nicht mehr allein. „Die steirische Harmonika erlebt einen richtigen Boom“, sagt er. In allen Altersgrup­pen habe er Schüler. Tendenz steigend. Wie das? Das Instrument sei für Kinder relativ leicht zu erlernen und biete schnell die Möglichkei­t, schöne Melodien zu spielen. Doch, wie schafft man es als Eltern überhaupt, in seinen Kindern die Leidenscha­ft für Volksmusik zu wecken? „Das muss man vorleben“, sagt Stefan Wechs. Das kann Herbert Wechs nur bestätigen. „Unser Vater war ein begeistert­er Musiker“, beginnt er zu erzählen. Jeder der vier Söhne durfte ein Instrument lernen. Früher sei es selbstvers­tändlich gewesen, dass man sich nach der Arbeit gemeinsam auf die Bank gesetzt und gesungen hat. „Fernseher hat es ja damals noch nicht gegeben.“Doch gerade heute, in einer Zeit, in der längst nicht mehr der Fernseher, sondern vor allem das Internet viele Menschen

Am Sonntag gibt es die Schwäbisch­e Nachtigall Tag der Volksmusik in Illerbeure­n Musizieren erdet und hat eine meditative Wirkung

fesselt und sie mit der ganzen Welt verbindet, wächst nach Beobachtun­g von Stefan und Sonja Wechs die Sehnsucht nach einer Beschäftig­ung, „die erdet“. So ist ihrer Ansicht nach auch das wachsende Interesse gerade junger Leute für Volksmusik, für Tracht, für Heimat zu erklären. Hinzu kommt die Stressredu­zierung: „Musizieren hat etwas Meditative­s“, beschreibt Sonja Wechs die Wirkung. „Da taucht man ein und kann total abschalten.“

Doch für die echte Volksmusik braucht es nach Einschätzu­ng von Herbert Wechs mehr: „Da muss man hineingebo­ren werden.“Und seine Schwiegert­ochter, die Harfe und Hackbrett spielt, ergänzt: „Das Herz muss mit dabei sein. Wenn wir musizieren, spürt man, wo man hingehört.“Daher werde auch der Dialekt so gepflegt. Und wenn Herbert Wechs auf den Bergen steht und die warmen Töne seines Alphorns hören lässt, trägt er natürlich keine Jeans, sondern Tracht.

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So sind sie bekannt weit über das Allgäu hinaus, die Familienmu­sik Wechs: Stefan Wechs am Kontrabass, seine Frau Sonja an der Harfe, Sohn Claudius spielt Steirische Harmonika und Anna Lena Kotz Hackbrett.
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Er kann sie nicht nur wunderbar blasen, er baut auch Alphörner: Herbert Wechs

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