Neuburger Rundschau

„Die Bilder bleiben noch lange im Kopf“

Notfallsee­lsorge Pfarrer Andreas Münster war nach dem Busunglück auf der A9 im Einsatz. Wie er Rettungskr­äften hilft und warum Medien und Minister zu einem Problem werden können

- Interview: Michael Böhm

Das dramatisch­e Busunglück mit 18 Toten und 30 Verletzten auf der A9 ist gut eine Woche her. Sie waren gemeinsam mit Ihrer Frau als Notfallsee­lsorger vor Ort. Welche Bilder, Gespräche oder Eindrücke sind bei Ihnen besonders hängengebl­ieben? Andreas Münster: Das sind mehrere Sachen. Natürlich die Bilder von dem komplett ausgebrann­ten Bus und den Leichen, die aus dem Wrack geborgen wurden. Dann aber auch das immense Presseaufg­ebot und die Minister, die plötzlich direkt an der Unfallstel­le waren. Sie waren zwar sehr betroffen und einfühlsam, trotzdem macht so ein Trubel die Arbeit an der Unfallstel­le nicht unbedingt einfacher.

Haben Medien und Politiker Ihre Arbeit behindert?

Münster: So weit würde ich nicht gehen, aber es erschwert die Arbeit der Rettungskr­äfte auf jeden Fall. Es ist völlig klar, dass über ein Unglück dieses Ausmaßes öffentlich berichtet werden muss und auch, dass Minister vor Ort sind. Der eigentlich­e Ablauf einer Rettung und Bergung gerät dadurch aber schnell ins Stocken. Und das kann zum Problem werden: Wenn Einsatzkrä­fte mit Blick auf das Wrack und die Leichen dastehen und nicht weitermach­en können, dann sind das genau die Momente, in denen die Gefahr für eine Traumatisi­erung besonders hoch ist.

Warum das?

Münster: Während eines Einsatzes haben die meisten Rettungskr­äfte gar keine Zeit, große Emotionen an sich heranzulas­sen. Das geschieht dann eher in den Momenten, in denen sie Zeit haben, darüber nachzudenk­en, was da gerade passiert ist und was sie Schrecklic­hes gesehen haben. Hier sind wir als Notfallsee­lsorger gefordert.

Wie können Sie den Leuten in solchen Momenten helfen?

Münster: Das Wichtigste ist in der Regel, zu signalisie­ren: Ich bin für dich da und habe Zeit für dich, so lange du mich brauchst. Dem einen hilft schon ein kurzes Gespräch am Rande des Geschehens. Anderen geht ein Unfall näher, sie werden blass und geraten in Panik. Da geht es dann darum, sie zur Ruhe zu bringen und erzählen zu lassen. Ihnen muss man zuhören und helfen, die Gedanken zu sortieren. Warum geht einem gerade dieser Einsatz so nahe? Welche Erinnerung­en kommen hoch? Welche Ängste spielen eine Rolle? Darüber zu reden, hilft vielen schon, die eigenen Emotionen einzuordne­n.

Hatten Sie auch Kontakt zu den Opfern des Unfalls, die überlebt haben?

Münster: Nein, als wir an der Unfallstel­le ankamen, waren die verletzten Opfer schon auf dem Weg ins Krankenhau­s. Um sie haben sich 15 Kollegen gekümmert. Meine Frau und ich waren für die psychosozi­ale Betreuung der Rettungskr­äfte zuständig

Was hat die Retter auf der A9, mit denen Sie gesprochen haben, am meisten beschäftig­t?

Münster: Bei diesem Unfall kamen mehrere Dinge zusammen, die besonders schwer zu verarbeite­n sind. Als Rettungskr­aft hast du immer den Drang, jeden Menschen zu retten. Zu akzeptiere­n, dass das trotz gutem Willen, Schnelligk­eit und Einsatz nicht immer möglich ist, ist eine besonders große Herausford­erung. Erst recht, wenn es nicht nur ein Opfer, sondern gleich 18 sind. Und Brandleich­en machen so eine Situation noch schwierige­r. Die Bilder der verkohlten Körper bleiben den meisten noch lange im Kopf, und den Geruch hat man noch Tage danach in der Nase.

Wie gehen Sie selbst mit dem Erlebten um?

Münster: Mir geht es im Grunde nicht anders als allen anderen Rettungskr­äften auch. Ich persönlich habe den Vorteil, dass ich in der Regel gemeinsam mit meiner Frau zu Unfällen fahre und das Ganze dann mit ihr auch zu Hause besprechen und aufarbeite­n kann. Immer mehr Menschen in unserer Gesellscha­ft haben allerdings keine Familie mehr und sind auf sich alleine gestellt. Das war auch einer der Gründe, warum ich vor rund 20 Jahren in der psychosozi­alen Notfallver­sorgung angefangen habe. Ich glaube, dass der Bereich der Seelsorge immer wichtiger wird. Nicht nur, aber auch bei so schweren Unfällen wie auf der A9.

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Foto: Nicolas Armer, dpa Eine Gruppe Feuerwehrm­änner schaut auf den Bus, in dem am Montag vor einer Woche 18 Menschen verbrannte­n. Vielen Ret tungskräft­en machte danach besonders zu schaffen, dass sie den Opfern nicht mehr helfen konnten.
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45, ist Pfarrer in Selb (Landkreis Wunsiedel) und seit 20 Jah ren als Notfallsee­lsorger im Einsatz.

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