„Die Bilder bleiben noch lange im Kopf“
Notfallseelsorge Pfarrer Andreas Münster war nach dem Busunglück auf der A9 im Einsatz. Wie er Rettungskräften hilft und warum Medien und Minister zu einem Problem werden können
Das dramatische Busunglück mit 18 Toten und 30 Verletzten auf der A9 ist gut eine Woche her. Sie waren gemeinsam mit Ihrer Frau als Notfallseelsorger vor Ort. Welche Bilder, Gespräche oder Eindrücke sind bei Ihnen besonders hängengeblieben? Andreas Münster: Das sind mehrere Sachen. Natürlich die Bilder von dem komplett ausgebrannten Bus und den Leichen, die aus dem Wrack geborgen wurden. Dann aber auch das immense Presseaufgebot und die Minister, die plötzlich direkt an der Unfallstelle waren. Sie waren zwar sehr betroffen und einfühlsam, trotzdem macht so ein Trubel die Arbeit an der Unfallstelle nicht unbedingt einfacher.
Haben Medien und Politiker Ihre Arbeit behindert?
Münster: So weit würde ich nicht gehen, aber es erschwert die Arbeit der Rettungskräfte auf jeden Fall. Es ist völlig klar, dass über ein Unglück dieses Ausmaßes öffentlich berichtet werden muss und auch, dass Minister vor Ort sind. Der eigentliche Ablauf einer Rettung und Bergung gerät dadurch aber schnell ins Stocken. Und das kann zum Problem werden: Wenn Einsatzkräfte mit Blick auf das Wrack und die Leichen dastehen und nicht weitermachen können, dann sind das genau die Momente, in denen die Gefahr für eine Traumatisierung besonders hoch ist.
Warum das?
Münster: Während eines Einsatzes haben die meisten Rettungskräfte gar keine Zeit, große Emotionen an sich heranzulassen. Das geschieht dann eher in den Momenten, in denen sie Zeit haben, darüber nachzudenken, was da gerade passiert ist und was sie Schreckliches gesehen haben. Hier sind wir als Notfallseelsorger gefordert.
Wie können Sie den Leuten in solchen Momenten helfen?
Münster: Das Wichtigste ist in der Regel, zu signalisieren: Ich bin für dich da und habe Zeit für dich, so lange du mich brauchst. Dem einen hilft schon ein kurzes Gespräch am Rande des Geschehens. Anderen geht ein Unfall näher, sie werden blass und geraten in Panik. Da geht es dann darum, sie zur Ruhe zu bringen und erzählen zu lassen. Ihnen muss man zuhören und helfen, die Gedanken zu sortieren. Warum geht einem gerade dieser Einsatz so nahe? Welche Erinnerungen kommen hoch? Welche Ängste spielen eine Rolle? Darüber zu reden, hilft vielen schon, die eigenen Emotionen einzuordnen.
Hatten Sie auch Kontakt zu den Opfern des Unfalls, die überlebt haben?
Münster: Nein, als wir an der Unfallstelle ankamen, waren die verletzten Opfer schon auf dem Weg ins Krankenhaus. Um sie haben sich 15 Kollegen gekümmert. Meine Frau und ich waren für die psychosoziale Betreuung der Rettungskräfte zuständig
Was hat die Retter auf der A9, mit denen Sie gesprochen haben, am meisten beschäftigt?
Münster: Bei diesem Unfall kamen mehrere Dinge zusammen, die besonders schwer zu verarbeiten sind. Als Rettungskraft hast du immer den Drang, jeden Menschen zu retten. Zu akzeptieren, dass das trotz gutem Willen, Schnelligkeit und Einsatz nicht immer möglich ist, ist eine besonders große Herausforderung. Erst recht, wenn es nicht nur ein Opfer, sondern gleich 18 sind. Und Brandleichen machen so eine Situation noch schwieriger. Die Bilder der verkohlten Körper bleiben den meisten noch lange im Kopf, und den Geruch hat man noch Tage danach in der Nase.
Wie gehen Sie selbst mit dem Erlebten um?
Münster: Mir geht es im Grunde nicht anders als allen anderen Rettungskräften auch. Ich persönlich habe den Vorteil, dass ich in der Regel gemeinsam mit meiner Frau zu Unfällen fahre und das Ganze dann mit ihr auch zu Hause besprechen und aufarbeiten kann. Immer mehr Menschen in unserer Gesellschaft haben allerdings keine Familie mehr und sind auf sich alleine gestellt. Das war auch einer der Gründe, warum ich vor rund 20 Jahren in der psychosozialen Notfallversorgung angefangen habe. Ich glaube, dass der Bereich der Seelsorge immer wichtiger wird. Nicht nur, aber auch bei so schweren Unfällen wie auf der A9.