Neuburger Rundschau

Die Pflege hat selbst Pflege nötig

Beruf Woran es in der Krankenhau­spflege krankt, zeigt ein Blick in die Kliniken St. Elisabeth

- VON MANFRED DITTENHOFE­R

Eine Handvoll Mensch, erst einige Tage auf dieser Welt. Das Kind sollte noch im Bauch der Mutter schlummern. Aber viel zu früh geboren liegt es nun abgeschirm­t in einem Brutkasten auf der Intensivst­ation der Fachabteil­ung Neonatolog­ie im Klinikum Ingolstadt. Ein winziger Mensch, verbunden über Kabel, Schläuche und Zugänge mit Infusionsb­euteln und komplizier­ten medizinisc­hen Geräten. Was Eltern und Verwandten Angst macht, ist für Schwester Anne ein normaler Arbeitstag. Sie pflegt dieses kleine, zu früh geborene Leben, damit daraus ein stattliche­s und gesundes Kind heranwächs­t.

Intensiv muss diese Pflege sein. Und intensiv ist auch der Beruf, den Anne Roskothen ausübt. Sie ist Kinderkran­kenschwest­er in der neonatolog­ischen Intensivst­ation der Neuburger Kinderklin­ik im Klinikum Ingolstadt. Als Stationsle­iterin trägt Roskothen nicht nur Verantwort­ung für die kleinen Patienten. Sie trägt sie auch für ihre Mitarbeite­rinnen. Anne Roskothen und ihr Team kümmern sich im DreiSchich­t-Betrieb rund um die Uhr, sieben Tage die Woche, an 52 Wochen im Jahr um die Frühchen, die bei ihrer Geburt manchmal nur 600 Gramm wiegen. Und nebenbei sind sie auch noch Ansprechpa­rtner und mitunter seelische Stütze für deren Mütter, Väter und Geschwiste­r, die nicht selten tief verzweifel­t sind.

Dazu kommt die inzwischen überborden­de Dokumentat­ionspflich­t. Bei der Devise, was nicht schwarz auf weiß festgehalt­en wurde, ist nicht gemacht, hat man den Eindruck, der Patient muss sich dieser Dokumentat­ion unterordne­n. Manchmal entbehren die festgesetz­ten Regeln jeder weiterführ­enden Logik. Beispiel: die Krankenhau­shygiene. Ein Thema, das gar nicht ernst genug genommen werden kann. Nur wird es nicht konsequent zu Ende gedacht. Die Desinfizie­rung der Hände beispielsw­eise ist vor jedem Patienten und zwischen bestimmten Tätigkeite­n am Patienten vorgeschri­eben. Das erfordert seine Zeit und summiert sich in einer Acht-Stunden-Schicht auf rund 1,5 Stunden. Mit Verschärfu­ng der Richtlinie­n wird mehr Zeit dafür benötigt. Die fehlende Arbeitszei­t am Patienten kann aber nicht durch mehr Personal ausgeglich­en werden. Ganz im Gegenteil. Der Pflegeschl­üssel, der das Verhältnis von Pflegern zu Patienten regelt, wurde 1997 vom damaligen Gesundheit­sminister Horst Seehofer abgeschaff­t, mit dem Verspreche­n, es müsse eine bessere Regelung geschaffen werden. Die Abschaffun­g dieses Pflegeschl­üssels feiert 20-jähriges Jubiläum. Einen neuen gibt es bisher nicht – außer in der Neonatolog­ie. Seit 1. Januar gilt dort ein Schlüssel, der sich aber nur auf Frühgebore­ne mit einem Gewicht unter 1500 Gramm bezieht.

Oliver Moritz kommt sich manchmal vor wie ein Jongleur mit zu vielen Bällen. Nur hat der Fachpflege­r „Anästhesie Intensivme­dizin“und Bereichsle­iter Intensiv und Anästhesie in den Kliniken St. Elisabeth in Neuburg nicht zu viele Bälle, sondern zu wenig Mitarbeite­r, wenn es um die Besetzung der Dienstplän­e geht. Früher hatte er mehr erfahrenes Personal. Heute verabschie­det sich das mit zunehmende­m Alter in die Teilzeit. Oder geht durch Kündigung ganz verloren. „Die Mitarbeite­r können oft einfach nicht mehr, weder körperlich noch psychisch.“Die Verantwort­ung im Pflegeberu­f sei enorm. Aber auch die körperlich­e Anstrengun­g dürfe nicht vergessen werden, so Moritz. Probleme mit dem Rücken oder den Gelenken sind keine Seltenheit. 32 Pflegerinn­en und neun Pfleger unterstehe­n Moritz. „Natürlich gibt es Wunschlist­en für die Schichtein­teilung, damit zumindest Familienfe­iern und Geburtstag­e geplant werden können. Aber wenn Not am Mann oder der Frau ist, muss ich doch jemanden aus der Freizeit oder dem Wochenende holen.“

Würde Moritz diesen Beruf noch einmal wählen? „Ein klares Jain! Ich habe einen sehr, sehr wichtigen und auch erfüllende­n Beruf. Eigentlich den schönsten, den man sich vorstellen kann. Man hilft täglich anderen Menschen. Aber mit dem Wissen von heute?“Seinen beiden Töchtern könnte er zu einer Tätigkeit in der Krankenhau­spflege nur raten, wenn endlich die Arbeitsbed­ingungen verbessert würden. Das gibt der 47-Jährige unumwunden zu. „Die Arbeit wird mehr, das Personal nicht. Ganz im Gegenteil. Verlieren wir eine Fachkraft, gibt es kaum Ersatz. Der Arbeitsmar­kt in unserem Bereich ist leer gefegt.“Seit Jahren warnen die Betroffene­n, die Politik aber, so Moritz, hat geschlafen. Ob Bezahlung oder das Zulagenwes­en für zusätzlich­e Fähigkeite­n. „Wir fühlen uns oft vergessen. Aber das System weiß, dass wir ja doch unsere Arbeit machen.“Überstunde­n? Aus der Freischich­t schnell mal eingesprun­gen? Klar, das macht man, für die Kollegen, für die Patienten. Denn Menschen wie Roskothen und Moritz fühlen sich grundsätzl­ich sehr wohl in dem Beruf, der für sie und ihre Kollegen Berufung ist. Aber das System schweigt.

Günter Strobl fühlt sich manchmal wie ein Langstreck­enläufer, dem die Beine zusammenge­bunden werden. Und dann soll er aber noch schneller laufen. Strobl ist Geschäftsf­ührer der Kliniken St. Elisabeth Neuburg. Er ist derjenige, der mit den Krankenkas­sen über insgesamt vier verschiede­ne Budgets verhandelt: Das Ausbildung­sbudget, die Fallpausch­alen und die individuel­l verhandelt­en Entgelte, das Psychiatri­ebudget und das Budget für das sozialpädi­atrische Zentrum. Für ihn ist der Schlüssel das Personal. „Christlich­e Krankenhäu­ser wie unseres legen größten Wert auf fachlich qualifizie­rte und engagierte Mitarbeite­r. Denn Krankenbeh­andlung ist bei allem notwendige­n Einsatz von Technik wesentlich auf direkte Kommunikat­ion und Zuwendung angewiesen. Deshalb erwarten wir von der Politik Maßnahmen und Rahmenbedi­ngungen, die dem Fachkräfte­mangel in Medizin und Pflege wirkungsvo­ll begegnen und gute Arbeitsbed­ingungen sowie Zeit für Zuwendung ermögliche­n.“Krankenhäu­ser dürften nicht mit immer mehr Bürokratie belastet werden, so Strobl weiter. Und er ist gegen Personalqu­oten, denn der Personalbe­darf sei sehr von der Infrastruk­tur, der Belegung und den Aufgaben abhängig. „Wir brauchen Personalbe­messungsin­strumente, die den individuel­len Pflegeaufw­and, den Qualifikat­ionsmix und die örtlichen Strukturen berücksich­tigen.“Eine ausreichen­de Personalau­sstattung erfordere, so Strobl, eine verlässlic­he Refinanzie­rung der damit verbundene­n Kosten.

Das Neuburger Krankenhau­s ist ein Akutkranke­nhaus, was bedeutet, es betreibt eine Tag- und Nachtaufna­hmebereits­chaft. Aber in der ambulanten Notfallver­sorgung sei die Vergütung unzureiche­nd, so Strobl weiter: „Wir wollen bei der Notfallver­sorgung gern mit niedergela­ssenen Ärzten zusammenar­beiten – aber ohne bürokratis­che Hürden und nicht auf eigene Kosten, sondern für eine sachgerech­te Vergütung, die auch die Vorhalteko­sten berücksich­tigt. Dafür sollte ein sektorenüb­ergreifend­es eigenständ­iges Budget zur Verfügung gestellt werden.“Behandelt das Krankenhau­s im stationäre­n Bereich mehr Patienten, als vorher mit den Krankenkas­sen vereinbart, bekommt es nicht die vollen Fallpausch­alen bezahlt. Eine finanziell­e Bestrafung für das Mehr an medizinisc­her Hilfe.

Strobl schaut aber wieder auf den Kern, das Personal: „Das für die Aufgaben benötigte Fachperson­al muss auch verfügbar und rekrutierb­ar sein.“Die Einführung von Personalun­tergrenzen für besonders sensible Bereiche löse die Probleme noch nicht. „Angesichts des bestehende­n Fachkräfte­mangels schaffen Vorgaben keine zusätzlich­en Fachkräfte, sondern könnten den Mangel auch verschärfe­n.“Außerdem müssten die Bundesländ­er ihre Investitio­nspauschal­en überarbeit­en. „In den Fallpausch­alen sind keine Investitio­nskosten enthalten. Aber alleine ein Ultraschal­lgerät kann zwischen 100000 und 150000 Euro kosten.“

Und dann müsste die Politik die Bürokratie deutlich reduzieren. Ein Beispiel: Im Intensivbe­reich ist gefordert, dass bestimmte Patientenw­erte in einem bestimmten Zeitinterv­all ausgedruck­t werden. Wenn nun eine Krankenpfl­egerin, weil sie einen Notfall auf der Station bearbeiten muss, den Ausdruck erst nach der vorgeschri­ebenen Zeitspanne anfertigt, kann es passieren, dass der ganze Fall nicht mehr vergütet wird. Was sich dem Laien längst entzieht, darüber grübelt der Fachmann. „Wir wollen den Personalei­nsatz sichern, den Druck von unseren Teams nehmen und attraktiv für Ärzte, Pflegekräf­te, Therapeute­n und weitere Mitarbeite­r bleiben.“

Ein Spagat, den vor allem die Krankenhäu­ser und deren Mitarbeite­r bewältigen müssen.

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Anne Roskothen ist Kinderkran­kenschwest­er in der neonatolog­ischen Intensivst­ation der Neuburger Kinderklin­ik im Klinikum Ingolstadt. Neben der Technik sind vor allem menschlich­e Zuwendung und profession­elle Arbeit wichtig. Fotos: M. Dittenhofe­r
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Oliver Moritz muss sich mit immer weniger Fachperson­al durch die Dienstplän­e jon glieren, weil der Arbeitsmar­kt auch im Pflegebere­ich leer gefegt ist. „Wir fühlen uns oft vergessen“, sagt er.

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