Energiebündel mit Taktstock
Sommerkonzerte Dirigentin, City of Birmingham Symphony Orchestra und Pianist überzeugten
Ein wahres Energiebündel stand da am Pult des Festsaals im Ingolstädter Stadttheater. Mirga Grazinyte-Tyla dirigierte im Audi Sommerkonzert das City of Birmingham Symphony Orchestra. Das Resultat war ein Triumph der klassischen Moderne.
Erst mal ganz leise: Walentyn Silwestrows neoklassische Komposition „Der Bote“für Klavier und Streichorchester gab den behutsamen Einstand. Hauchzartes Pianissimo ließ Melodie im Sphärenklang wie aus einer anderen Welt herüberschweben. Die Musik, geschrieben unter dem Eindruck des Todes der Ehefrau, vereint Trauer und Trost, Entschwinden und Nahen dem Engelsflug gleich in achtsamem Klang.
Frédéric Chopins 2. Klavierkonzert, eigentlich ja sein erstes, ein Frühwerk des damals erst 19-Jährigen, ist ein echtes Virtuosenstück. Jan Lisiecki ist auch erst 22 und trotz seiner Jugend bereits ein internationaler Star. Er meldete sich im ersten Satz zu Wort mit deutlichem Klartext am Flügel, mitten hinein ins Schwelgen des Orchesters: Entschlossenheit, Klarheit und ein ungemein prägnanter Anschlag! Sein Spiel verlässt sich ganz auf sich selbst, verzichtet auf jegliche Theatralik, bleibt im Gestus immer dienlich, in der Sache freilich ungebrochen intensiv. Sei es im Maestoso des ersten Satzes, im Larghetto des zweiten oder im Allegro vivace des dritten: Lisiecki schöpft pianistisch aus dem Vollen. Mal springt er forte fast in die Tastatur hinein, mal strei- chelt er sie sacht in sensitiver Stille, immer ist er eins mit der Musik, immer im rechten Maß und immer auf der Höhe. Von der unglaublichen Virtuosität einmal ganz abgesehen!
Geht noch mehr? Es geht. Mitten hinein ins pralle Leben führt Igor Strawinskys „Petruschka“, jener „schreckliche Wirrwarr, der auf seinem Höhepunkt mit dem schmerzlich-klagenden Zusammenbruch des armen Hampelmannes endet“, wie es der Komponist selbst beschrieb. Von wegen Wirrwarr, hochkomplexe, vielgestaltige, wundervolle Musik! Transparent, präzise, prägnant dirigiert Mirga Grazinyte-Tyla in purer Energie. Die erst 31-jährige Chefdirigentin der Birminghamer setzt sich mit dem ganzen Körper ein und reißt fließend, tänzerisch und ungemein bestimmt das Orchester jede Sekunde unmittelbar mit.
Strawinskys Ballettmusik wirft ganz unterschiedliche Schlaglichter, ruft vielfältigste Bilder hervor. Akzentuierte Rhythmen, kraftvolle Dynamik, variable Farben, mal hell leuchtend, mal sanft abgetönt – großes Hörkino. Punktgenau reagiert das Orchester und hält die Spannung in höchster Konzentration bis zum unerwarteten Schluss. So wird die klassische Moderne zum reinen Genuss. Eine Sternstunde!