Neuburger Rundschau

Energiebün­del mit Taktstock

Sommerkonz­erte Dirigentin, City of Birmingham Symphony Orchestra und Pianist überzeugte­n

- VON TOBIAS BÖCKER

Ein wahres Energiebün­del stand da am Pult des Festsaals im Ingolstädt­er Stadttheat­er. Mirga Grazinyte-Tyla dirigierte im Audi Sommerkonz­ert das City of Birmingham Symphony Orchestra. Das Resultat war ein Triumph der klassische­n Moderne.

Erst mal ganz leise: Walentyn Silwestrow­s neoklassis­che Kompositio­n „Der Bote“für Klavier und Streichorc­hester gab den behutsamen Einstand. Hauchzarte­s Pianissimo ließ Melodie im Sphärenkla­ng wie aus einer anderen Welt herübersch­weben. Die Musik, geschriebe­n unter dem Eindruck des Todes der Ehefrau, vereint Trauer und Trost, Entschwind­en und Nahen dem Engelsflug gleich in achtsamem Klang.

Frédéric Chopins 2. Klavierkon­zert, eigentlich ja sein erstes, ein Frühwerk des damals erst 19-Jährigen, ist ein echtes Virtuosens­tück. Jan Lisiecki ist auch erst 22 und trotz seiner Jugend bereits ein internatio­naler Star. Er meldete sich im ersten Satz zu Wort mit deutlichem Klartext am Flügel, mitten hinein ins Schwelgen des Orchesters: Entschloss­enheit, Klarheit und ein ungemein prägnanter Anschlag! Sein Spiel verlässt sich ganz auf sich selbst, verzichtet auf jegliche Theatralik, bleibt im Gestus immer dienlich, in der Sache freilich ungebroche­n intensiv. Sei es im Maestoso des ersten Satzes, im Larghetto des zweiten oder im Allegro vivace des dritten: Lisiecki schöpft pianistisc­h aus dem Vollen. Mal springt er forte fast in die Tastatur hinein, mal strei- chelt er sie sacht in sensitiver Stille, immer ist er eins mit der Musik, immer im rechten Maß und immer auf der Höhe. Von der unglaublic­hen Virtuositä­t einmal ganz abgesehen!

Geht noch mehr? Es geht. Mitten hinein ins pralle Leben führt Igor Strawinsky­s „Petruschka“, jener „schrecklic­he Wirrwarr, der auf seinem Höhepunkt mit dem schmerzlic­h-klagenden Zusammenbr­uch des armen Hampelmann­es endet“, wie es der Komponist selbst beschrieb. Von wegen Wirrwarr, hochkomple­xe, vielgestal­tige, wundervoll­e Musik! Transparen­t, präzise, prägnant dirigiert Mirga Grazinyte-Tyla in purer Energie. Die erst 31-jährige Chefdirige­ntin der Birmingham­er setzt sich mit dem ganzen Körper ein und reißt fließend, tänzerisch und ungemein bestimmt das Orchester jede Sekunde unmittelba­r mit.

Strawinsky­s Ballettmus­ik wirft ganz unterschie­dliche Schlaglich­ter, ruft vielfältig­ste Bilder hervor. Akzentuier­te Rhythmen, kraftvolle Dynamik, variable Farben, mal hell leuchtend, mal sanft abgetönt – großes Hörkino. Punktgenau reagiert das Orchester und hält die Spannung in höchster Konzentrat­ion bis zum unerwartet­en Schluss. So wird die klassische Moderne zum reinen Genuss. Eine Sternstund­e!

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Foto: Audi AG Mirga Grazinyte Tyla dirigierte im Audi Sommerkonz­ert das City of Birmingham Symphony Orchestra.

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