Buben, das schwächere Geschlecht?
Interview Nicht nur Mädchen, auch Jungen sollten geschlechtsspezifisch erzogen und gefördert werden. Aber wie können Eltern und Lehrer das leisten? Ein Gespräch mit der Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes
Frau Fleischmann, jahrelang hat man propagiert, dass man aus Gerechtigkeitsgründen in Erziehung und Schule Mädchen besonders fördern sollte. Dann aber gab es die Kehrtwende, bei der man von Buben, dem neuen schwachen Geschlecht, sprach. Ist das immer noch Thema in der pädagogischen Fachwelt? Simone Fleischmann: Das Thema ist in der Tat nach wie vor aktuell. Das belegen einschlägige Studien wie etwa Pisa oder Tim.
Was besagen denn diese Studien?
Fleischmann: Auf einen allgemeinen Nenner gebracht: Buben lesen schlechter. Sie bekommen weniger häufig eine Empfehlung für den Besuch eines Gymnasiums. Es verlassen deutlich überproportional mehr Jungen eine Schule ohne Abschluss als Mädchen. Sie schneiden bei AbiPrüfungen schlechter ab. Dazu kommen noch weitere Punkte, die man aber an dieser Stelle nicht alle ausführen kann.
Immer wieder wird diskutiert, dass eine Ursache für diese Ergebnisse sein könnte, dass Buben zu wenig unter dem Einfluss männlicher Bezugspersonen stehen. Das beginnt daheim, wo meist der Papa zum Arbeiten geht. Setzt
sich fort in Kindertagesstätten und in den Schulen.
Fleischmann: In der Tat sind beispielsweise Grundschulen inzwischen weiblich. 90 Prozent des Lehrpersonals sind Frauen – man könnte mit freundlicher Ironie von einem weiblichen Wohlfühlbiotop sprechen. Dort kommen dann Mädchen besser mit. Sie sind oft brav und leise, fleißig, pflichtbewusst, lesen gern – und malen auch noch ein Blümchen oder Herzchen auf ein Prüfungsblatt. Das kommt natürlich vielen Lehrerinnen entgegen.
Und die Buben?
Fleischmann: Die sind halt, wie Buben oft sind und wie sie sozialisiert werden in unserer Gesellschaft. Unruhiger, weniger konzentriert, auf Bewegung aus. Sie raufen gern, stellen öfter kritische Nachfragen, sind eher bereit, zu provozieren. Das kostet eine Lehrkraft im Unterricht natürlich mehr Energie als der Umgang mit Mädchen.
Also sind die Lehrerinnen schuld ... Weil es von ihnen zu viele gibt?
Fleischmann: Könnte man meinen. Stimmt aber nicht. Starkes Gegenargument beispielsweise: In der Sekundarstufe II, also in den oberen Klassen der Gymnasien, unterrich- viel mehr Männer. Trotzdem haben auch in der Sekundarstufe II Jungs im Schnitt schlechtere Noten als Mädchen.
Was kann man denn jetzt mit diesem Problem überhaupt tun?
Fleischmann: An den Schulen geht es vor allem darum, dass man sich bei den Lehrern dieser Problematik bewusst wird. Wenn man die Proben einer Klasse korrigiert, dürfen das oftmals wunderschöne Schriftbild eines Mädchens sowie auch die gerne lieblos hin geschmierte Schrift eines Buben nicht überbewertet werden. Zudem geht es darum, passende Förderprogramme ins Leben zu rufen. Seit Jahren schon gibt es an Schulen den Girls Day, bei dem Mädchen in typische Männerberufe reinschnuppern können. Dann hat man irgendwann gesagt: Ok, wir brauchen auch einen Boys Day – mit der umgekehrten Zielsetzung. Der hat sich inzwischen etabliert.
Das soll reichen? Ist das nicht ein bisschen wenig?
Fleischmann: Ganz wichtig im pädagogischen Sinn ist es, nicht die Schwächen, sondern die Stärken der Buben zu fördern.
Wie macht man das?
Fleischmann: Indem man beispielsweise das kritische Nachfragen der Jungs nicht als lästig, sondern als poten sitive Eigenschaft erkennt – und lobt. Das gilt sowohl für Lehrer als auch für Eltern. Sie tun gut daran, so vorzugehen. Außerdem weiß ich aus meiner schulischen Praxis, dass Buben häufig vielleicht nicht die stärksten Leistungsträger bei einer Gruppenarbeit sind – aber diejenigen, die diese Arbeit viel besser und selbstbewusster präsentieren können. Eine Fähigkeit, die ja später im Berufsleben sehr entscheidend sein kann. Auch so etwas sollte man loben und fördern. Zwar habe ich vorhin gesagt, dass mehr männliche Lehrer das Oberstufenniveau der Buben nicht unbedingt heben. Trotzdem wäre es zu begrüßen, wenn es ein ausgewogeneres Verhältnis gäbe. Das Image einer Tätigkeit hat immer auch mit dem Geld zu tun, das man verdient. Darum sollten die Gehälter in den Kitas steigen. Und Grund- und Mittelschullehrer sollten endlich so viel verdienen wie Realschul- und Gymnasiallehrer – was ja in Bayern, im Gegensatz zu anderen Bundesländern, noch nicht der Fall ist.
Was können Sie Eltern von Buben noch mit auf den Weg geben?
Fleischmann: Auch wenn Jungs nun eher wie die Verlierer wirken: Man
„Das kostet eine Lehrkraft natürlich mehr Energie“ „Oft starten Buben einfach später durch“
sollte sich nicht zu viele Sorgen machen. Oft starten Buben einfach später durch. Und oft setzen sie sich später im Berufsleben durch. Die Führung der Wirtschaftswelt ist doch bis heute im Prinzip männlich. Jungs machen schon ihren Weg.
Allerdings gibt es auch schwere Fälle.
Fleischmann: Das ist richtig. Manchmal gelingt es als Eltern oder Lehrern einfach nicht, einen Buben auf die richtige Spur zu bringen. Das kann vielerlei, auch schwere Ursachen haben – Traumata, schwierige Charakterzüge. In der Tat führen Jungs ja auch die Gewaltstatistik an. Handelt es sich um einen sehr schwierigen Fall, dann muss man weitere fachliche Hilfen zu Rate ziehen. Und bei alledem sollte man nie vergessen: Es gibt auch bei Mädchen sehr schwierige Verläufe. Gerade in der Pubertät, wo man die Betreffende nicht mehr erreicht. Aber das alles ist ja zum Glück nicht der Regelfall, weder bei Mädchen noch bei Buben. Interview: Markus Bär